„Für Tschechien sind Phasenschieber eine Schutzmaßnahme“
Der Geschäftsführer der Deutschen Energie-Agentur zu den Problemen mitteleuropäischer Stromflüsse
28. 11. 2012 - Interview: Stefan Welzel, Foto: dena
Stephan Kohler leitet seit 2002 die Deutsche Energie-Agentur (dena) als Vorsitzender der Geschäftsführung. Die dena ist das Kompetenzzentrum für Energieeffizienz, erneuerbare Energien und intelligente Energiesysteme. Damit nimmt sie eine wichtige Rolle bei der deutschen Energiewende ein und wirkt als Schnittstelle zwischen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Die Gesellschafter der dena sind die Bundesrepublik Deutschland sowie verschiedene Finanzdienstleister. Kohler sprach mit PZ-Redakteur Stefan Welzel über das deutsche Stromnetz, potente Photovoltaik-Anlagen und Energieversorgung zum Minustarif.
Im Sommer 2011 hat der Bundestag das Netzbaubeschleunigungsgesetz (Nabeg) beschlossen. Welche Projekte wurden seither in Angriff genommen?
Kohler: Bis zum Jahr 2022 sollen in Deutschland insgesamt rund 4.800 Kilometer neue Stromtrassen gebaut werden. Bisher wurden lediglich 200 fertiggestellt. Das sagt schon einiges aus, da hinkt Deutschland den Zielen hinterher. Ein sehr wichtiges Projekt ist unter anderem der Ausbau des Netzes aus den neuen Bundesländern nach Bayern, der Thüringer Trasse. In Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg stehen viele neue Windkraftwerke, weitere werden gebaut. Dieser Strom muss am besten direkt nach Süddeutschland und nicht zuerst über Polen, Tschechien oder Österreich transportiert werden. So wollen wir in Zukunft sogenannte Ringflüsse über jene Länder verhindern.
Hat man die Probleme unterschätzt, die durch die schwankenden und somit schwerer zu kontrollierenden Energiezuflüsse aus erneuerbaren Energien entstehen?
Kohler: Es geht hier um zwei Technologien: Photovoltaik und Windenergie. Diese produzieren Strom nicht einfach dann, wenn Bedarf vorhanden ist, sondern wenn das Wetter es bedingt. Wir verzeichnen eine hohe Ausbaudynamik bei diesen erneuerbaren Energien, das hat man in der Tat völlig unterschätzt. Wir haben in sehr kurzer Zeit sehr viel Leistung aufgebaut, allein in diesem Jahr wurden Photovoltaik-Anlagen mit einer Leistung von 8.000 Megawatt gebaut. An einem schönen Sommerwochenende werden in ganz Deutschland nur 30.000 Megawatt benötigt. Wir haben aber eine installierte Photovoltaik-Leistung, die bereits über diesem Betrag liegt. Dies führt dazu, dass wir in Situationen der Überproduktion den Strom ins Ausland „drücken“.
Unter anderem nach Tschechien…
Kohler: Genau. Wir liefern den Strom zu sehr günstigen Konditionen auch nach Tschechien. Teilweise bezahlen wir sogar dafür, dass sie uns den Strom abnehmen.
Wie funktioniert denn der europäische Elektrizitätsmarkt? Gibt es für solche Situationen spezielle Absprachen und Abmachungen?
Kohler: Der gesamteuropäische Elektrizitätsmarkt funktioniert ganz marktwirtschaftlich. Wir bieten unseren Strom an der Börse an. Und natürlich kaufen die Unternehmen und Netzbetreiber den Strom, der am billigsten angeboten wird. Im Falle von oben geschilderten Lastsituationen, in denen wir mehr Strom produzieren als wir brauchen, bieten wir unser Produkt zum Nulltarif an oder bezahlen sogar für dessen Abnahme. Das ist natürlich gut für den tschechischen oder auch polnischen Verbraucher, beeinflusst aber negativ die dortigen Kraftwerkbetriebe, die ihre Produktion dann drosseln müssen. So entstehen Diskussionen, das ist klar. Aber diese übermäßigen Stromflüsse durch erneuerbare Energien sind nur temporär vorhanden und nicht konstant.
Und wie sieht dies bei den Ringflüssen aus?
Kohler: Wenn der Strom nur durchfließen soll, kann es natürlich zu Problemen im tschechischen Stromnetz kommen. Mit sogenannten Phasenschiebern will man in jenen Ländern diesen Schwierigkeiten begegnen.
Wenn Phasenschieber in Tschechien oder Polen zum Einsatz kommen, was bedeutet das dann für das deutsche Stromnetz?
Kohler: Dann muss die Produktion in den Kraftwerken aus jenen Regionen, in denen zu viel Energie erzeugt wird, runtergefahren und die Energiespeisung daraus abgeklemmt werden.
Ein Blackout würde dabei nicht drohen?
Kohler: Wenn eine enorme Überbelastung droht, dann dürfen Betreiber ihre Kraftwerke abschalten. Das ist die Norm und eigentlich kein Problem.
Tschechische Netzbetreiber sagen, ihrem Stromnetz drohen solche Blackouts bei Zuflüssen aus Deutschland. Sind das reale Szenarien oder lediglich ein wirtschaftspolitisches Druckmittel?
Kohler: Das sind in erster Linie Druckmittel. Für Polen und Tschechien sind Phasenschieber Schutz- und Regulierungsmaßnahmen, die sie dann selbst durchführen können. Es ist ihnen ja nicht möglich, die deutsche Stromerzeugung runterzufahren, das können nur die Betreiber dort. Natürlich gibt es da aber schon längst eine funktionierende Kommunikation. Wenn in Tschechien so etwas droht, rufen die tschechischen Netzbetreuer ihre Kollegen beim für Nord- und Ostdeutschland zuständigen Betreiber 50Hertz an und dann wird das Problem gemeinsam gelöst.
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