Ganz nah am Klang
Gerd Albrecht ist gestorben. Von 1993 bis 1996 leitete er als erst ausländischer Dirigent die Tschechische Philharmonie in Prag
5. 2. 2014 - Text: Franziska NeudertText: fn; Foto: YNSO
„Es gibt kein besseres Publikum“, fasste Gerd Albrecht seine Begeisterung für die unverbildete Jugend einst zusammen. Der Vermittlung von Musik an junge Menschen galt seine Leidenschaft, zeit seines Lebens setzte sich der Dirigent für die Förderung neuer Talente ein. Seine Tätigkeit bezeichnete er stets als einen „Schwerstarbeiterberuf“. Wie schwierig sich dieser bisweilen gestaltete, konnte er unter anderem in Prag erfahren. Als erster Ausländer leitete er hier die Tschechische Philharmonie. Es war eine kurze Zusammenarbeit, die einen bitteren Nachgeschmack hinterließ.
Gerd Albrecht kam am 19. Juli 1935 in Essen zur Welt. Nach Studienjahren in Kiel und Hamburg gewann er mit 22 Jahren den ersten Preis beim Internationalen Dirigentenwettbewerb im französischen Besançon. Fünf Jahre später begann er als Deutschlands jüngster Generalmusikdirektor in Lübeck. Nach weiteren Stationen in Kassel, Berlin, Zürich und Hamburg wählten ihn die Musiker der Tschechischen Philharmonie 1991 auf einer Japan-Tournee zu ihrem Chefdirigenten. Albrecht sollte damit in der fast 100-jährigen Geschichte als erster – und bisher einziger – ausländischer Orchesterleiter dem Ensemble vorstehen. Nach nur zweieinhalb Jahren allerdings trat Albrecht vorzeitig von seinem Posten zurück. „Politische Intrigen“, wie er selbst später sagte, zwangen ihn dazu.
In den tschechischen Medien für seine musikalische Arbeit kritisiert, wurde Albrecht unter anderem vorgeworfen, eher dem Ruf des nationalen Klangkörpers zu schaden, denn seinem künstlerischen Anspruch zu genügen. Unbeliebt machte sich Albert beispielsweise, als er sich im Frühjahr 1994 weigerte, im Vatikan ein Konzert zur Versöhnung von Katholiken und Juden aufzuführen. Als der damalige Kulturminister Pavel Tigrid ein neues Orchesterstatut erließ, das die Kompetenzen des Chefdirigenten sichtlich beschnitt, warf Albrecht das Handtuch. „Ich wollte den bestmöglichen Job mit der Philharmonie machen und habe versucht, jene, die gegen mich waren, zu ignorieren“, resümierte er seine Prager Zeit später.
Öffentliches Aufsehen erregte 1997 auch seine Aufführung von Giuseppe Verdis „Messa da Requiem“ im ehemaligen Konzentrationslager Theresienstadt. Für das Konzert mit dem Bundesjugendorchester, dem Prager Kammerchor und dem Tschechischen Philharmonischen Chor Brünn bemühte sich Albrecht um eine Schirmherrschaft Václav Havels, der das Gesuch jedoch als zu kurzfristig ablehnte. Zu einer Annäherung mit der Tschechischen Philharmonie sollte es später erneut kommen. Ab 2004 arbeitete Albrecht wieder kontinuierlich mit dem Orchester zusammen, das er zu den Salzburger Festspielen und auf Konzerttour durch Südamerika begleitete.
Getrieben von unerschöpflicher Neugierde und immer ganz nah am Klang schaffte es Albrecht, mit seinen Gesprächskonzerten viele Menschen für Klassik zu interessieren. Vor allem Kindern und Jugendlichen brachte er mit seinen „Klingenden Museen“ in Hamburg und Berlin klassische Musik näher. Albrecht schrieb Bücher und moderierte Konzerte für mehr als 50 Fernsehproduktionen und Filme. Für seine Erklärkonzerte wurde er 1974 mit dem Adolf-Grimme-Preis ausgezeichnet.
Am Samstagabend starb Albrecht nach schwerer Krankheit im Alter von 78 Jahren in Berlin.
„Markus von Liberec“
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