Gegen Heuchler und Gauner
Protestmarsch am „Tag des Kampfes für Freiheit und Demokratie“
21. 11. 2012 - Text: Marcus HundtText: mh/čtk
Am 17. November 1939 stürmen SS-Sonderkommandos zahlreiche Studentenwohnheime in Prag, schlagen mit Knüppeln auf die Bewohner ein und lassen bis zu 1.300 Studenten ohne jede Gerichtsverhandlung in das Konzentrationslager Sachsenhausen verschleppen. Die NS-Besatzungsmacht schließt auf Geheiß Hitlers sämtliche tschechische Hochschulen und findet damit eine brutale Antwort auf den anhaltenden Widerstand tausender Studenten in den Wochen zuvor.
Am 17. November 1989 erinnern in Prags Straßen mindestens 15.000 Menschen nicht nur an jene Ereignisse, sondern auch an die herrschenden Missstände im Land; es folgt ein Studentenstreik, die Schauspielhäuser der Stadt stellen ihren Spielbetrieb ein. Die Samtene Revolution nimmt ihren Anfang, das sozialistische Regime in der Tschechoslowakei ist am Ende.
Am 17. November 2012 treffen sich am „Tag des Kampfes für Freiheit und Demokratie“ an die 15.000 Menschen auf dem Prager Wenzelsplatz. Auch sie protestieren. Und wieder richtet sich der Unmut der Demonstranten gegen die Machthaber. Doch dieses Mal ist der Protest seit Monaten geplant. Gewerkschaftsverbände und Bürgerinitiativen hatten bereits im April, als über 100.000 Menschen in Prag gegen die Reformpolitik der Regierung demonstrierten, zu der Aktion aufgerufen.
Plötzlich werden auf dem Wenzelsplatz rote Fahnen mit Hammer und Sichel geschwenkt. Gehalten von hinzugekommenen Teilnehmern des „Umzugs für Arbeit und Solidarität“, der von der Prager Kommunistischen Partei (KSČM) organisiert wurde. „Das ist geschmacklos. Das ist so, als ob die Hitlerjugend die Gedenkfeiern zum Ende des Zweiten Weltkrieges organisiert hätte“, beschwert sich ein älterer Mann sowohl über die Demonstranten als auch die Partei, die bei den kürzlich stattgefundenen Regionalwahlen beachtliche Erfolge feierte und seit Dienstag sogar einen Kreishauptmann in Ústí nad Labem stellt.
Den meisten Demonstranten gemein ist der Wunsch nach einem Rücktritt der liberal-konservativen Regierung von Premier Nečas und der Ruf nach vorgezogenen Neuwahlen. Auf den Transparenten heißt es: „Wir sehen kein Licht am Ende des Tunnels“ oder „Weg mit der Regierung der korrupten und asozialen Schleimscheißer!“ Wenn auch weniger derb: Die Grundhaltung, die Sparpolitik der Regierung geht zu weit, teilen tausende Menschen, die sich am Nationalfeiertag versammelt haben. Vom Wenzelsplatz aus ziehen sie weiter in die Nationalstraße (Národní třída), in der am 17. November 1989 die politische Wende eingeleitet wurde.
Genau dort, an der offiziellen Gedenkstätte für die Studentendemonstration, legt Václav Klaus gerade einen Kranz nieder. Vorbeikommende Demonstranten beschimpfen den einstigen Regierungschef und jetzigen Staatspräsidenten als „Gauner“, der im Zuge der Privatisierung den Ausverkauf des Landes vorangetrieben habe. Klaus lässt sich davon nicht beirren. Ebenso zeigt sich Premier Nečas unbeeindruckt von der größten Demonstration an einem 17. November seit 23 Jahren. Unisono mahnen sie in ihren Reden an, die historischen Ereignisse dieses Tages dürften nie in Vergessenheit geraten.
„Wie 1938“
„Unterdurchschnittlich regiert“