Gemeinsam in die Vergangenheit
Im Geschichtspark Bärnau-Tachov kann man seit fünf Jahren ins Mittelalter reisen – jetzt soll dort ein bayerisch-böhmisches Archäo-Zentrum entstehen
25. 5. 2016 - Text: Philipp SchönerText: Philipp Schöner; Foto: Geschichtspark
Man hört ein Hämmern. Als würden Nägel in eine Wand geschlagen. Dazu ein dumpfes Klatschen, als würde man Brotteig zum Ausrollen auf einen Tisch werfen. Im Nordwesten von Bärnau, einer bayerischen Grenzstadt nahe dem böhmischen Tachov, arbeiten Menschen in mittelalterlicher Kleidung. Sie schlagen Kerben in Holzbalken und werfen Lehmklumpen auf ein Geflecht aus jungen Ästen. Wer sehen und hören will, wie Hausbau vor rund tausend Jahren funktionierte, ist hier richtig.
Vor sechs Jahren begann der Bau des grenzübergreifenden Geschichtsparks Bärnau-Tachov. „Wir haben nur wenige Balken vorgesägt und dann Oberflächen von Hand nachbearbeitet. Alles wurde wie im Mittelalter errichtet“, erzählt Alfred Wolf, der den Park mitgegründet hat. Bevor er und seine Mitstreiter ein etwa tausend Jahre altes slawisches Dorf nachbilden konnten, mussten sie erst mittelalterliche Werkzeuge rekonstruieren.
Das und die Skepsis mancher bayerischer Behörde hinsichtlich der Statik waren Herausforderungen, die gelöst werden mussten, bevor der Geschichtspark im August 2011 für Besucher öffnete. Mittlerweile zählt die Anlage 26 Nachbildungen und etwa 20.000 Besucher pro Jahr.
Drei historische Gebäudegruppen laden zu einer Zeitreise durch mehrere Jahrhunderte ein, vom frühen bis zum späten Mittelalter. Ein Blickfang ist die sogenannte Motte, eine von einem Wassergraben umgebene Wehranlage, die Soldaten mit Lanzen und Kettenhemden verteidigen. Von der Spitze des Turmes, der auf einem Hügel erbaut ist, bewachen Bogenschützen ein Herrenhaus und eine hölzerne Kirche aus dem elften Jahrhundert.
An der Kirche vorbei fließt die Naab, der im Bereich des Geschichtsparks ihr ursprünglicher Verlauf wiedergegeben wurde. Am Wasser breitete sich einst die slawische Besiedlung aus.
Ein paar Häuser weiter sieht man Menschen in Gärten arbeiten und einen Schmied auf seinen Amboss schlagen. In einem Teich schwimmen alte Fischarten, es werden Wollschweine gehalten und Getreidesorten angebaut, die damals die Menschen ernährten.
An der Goldenen Straße
Im Hochmittelalter kannte man bereits ausgefeiltere Methoden, um Gebäude zu bauen. Die Wände bestanden nicht mehr nur aus Lehmgeflecht, sondern auch aus Brettern. Man konnte dank Fachwerk auch schon zweistöckig bauen. Über das Erdgeschoss hinaus hat es die Herberge geschafft, die für den Ort vor allem in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts wichtig wurde.
An Bärnau vorbei führte zu dieser Zeit die Via Carolina, die Handelsroute zwischen Nürnberg und Prag. Sie bescherte der Stadt zahlende Gäste und reisende Händler in den Wirtshäusern. Nach ihr hat sich auch der gemeinnützige Verein benannt, der den Bau des Parks angestoßen hat und bis heute ihr Träger ist. „Mit der Goldenen Straße hat alles angefangen“, erklärt Wolf. In den neunziger Jahren habe man erstmals recherchiert und entdeckt, welche Bedeutung der Ort zur Zeit Karls IV. hatte. „Mein Traum war es, die Geschichte erfahrbar zu machen“, sagt der hauptberufliche Polizist. Den Verein gründete er dann 2006 zusammen mit seinen tschechischen Partnern Robert Dvořák und Roman Soukup.
Mittlerweile engagieren sich mehr als 600 Mitglieder aus vier Staaten für den Park. Zusätzlich kümmern sich wenige hauptamtliche Mitarbeiter um die Anlage. Ein wissenschaftlicher Beirat berät zweimal jährlich, wie man die historische Authentizität fördern und gewährleisten kann.
Dafür ist auch der wissenschaftliche Leiter Stefan Wolters verantwortlich. „Am Anfang mussten wir überlegen, was regional authentisch ist. Ein Wikingerdorf in der Oberpfalz zu bauen, wäre zum Beispiel nicht angebracht gewesen.“ Die Experten einigten sich schließlich, sich auf die slawische Besiedelung zwischen dem 12. und 13. Jahrhundert zu konzentrieren. Damit habe man es geschafft, wissenschaftlich ernst genommen zu werden, so der Archäologe. „Das hat uns am Anfang auch keiner zugetraut.“
Lebendiges Museum
Auf dem Gelände trifft man immer wieder Darsteller in mittelalterlicher Kleidung, die nähen, Schwertkampf üben oder Essen zubereiten. Sie kommen in ihrer Freizeit, für die meisten ist der Park ein Hobby. Sylvia Suttner aus Weiden in der Oberpfalz und ihr Mann sind von Beginn an aktiv. Zusammen verkörpern sie ein Bauernpaar. Etwa jedes zweite Wochenende tauscht die Arzthelferin ihre Alltagskleidung im Sommer gegen ein mittelalterliches Kostüm. „2009 haben mein Mann und ich uns erstmals Gewänder genäht“, erzählt die Oberpfälzerin. Das sei gar nicht so einfach gewesen. „Am schwierigsten waren die Schuhe. Mein Mann hat erst nach und nach gelernt, wie man sie herstellt.“ Ihr Gewand besteht aus fünf Teilen. Neben Strümpfen, Schuhen und dem traditionellen Kopftuch sind noch das Unterkleid und das Überkleid, die sogenannte Kotte anzulegen. „Anfangs habe ich zum Anziehen ziemlich lange gebraucht, mittlerweile geht das in zehn Minuten.“ Der Geschichtspark, meint sie, biete eine besondere Atmosphäre – „vor allem nachts, wenn Nebelschwaden bei Vollmond an der Motte vorbeiziehen“.
In Zukunft möchte Wolf fünf Handwerker fest anstellen, die ständig auf dem Gelände des Geschichtsparks arbeiten. „Die Leute sollen sehen, wie damals Eisenerzeugnisse und Möbel hergestellt wurden. Alles soll sein wie damals, die Kleidung, die Werkzeuge, die Materialien“, erklärt Wolf. „Living history“ nennt man dieses Modell auch. „Ich begreife den Park weniger als abgeschlossenes Projekt, sondern als Prozess der ständig in Bewegung ist.“ Als nächstes soll eine bei Pilsen ausgegrabene Reisestation Karls IV. auf dem Parkgelände nachgebildet werden.
Zum fünften Geburtstag des Geschichtsparks plant man ein weiteres ambitioniertes Projekt – in Bärnau soll ein grenzübergreifendes archäologisches Zentrum Bayern-Böhmen entstehen. „Wir haben viel Wissen angehäuft, ob über mittelalterlichen Gartenbau oder die Herstellung von Farben für Kleider, und wir haben Strukturen geschaffen, die über den reinen Museumsbetrieb hinausgehen“, erklärt Wolf.
Große Zukunftspläne
Zusammen mit dem wissenschaftlichen Leiter Stefan Wolters entstand die Idee für das Zentrum. „Ich hatte bereits einen Lehrauftrag der Universität Bamberg. Da wir so nah an der Grenze sind, lag der Gedanke eines Seminars für tschechische Studenten nicht weit“, erzählt Wolters. Gemeinsam mit den tschechischen Partnern habe man die Universität Pilsen kontaktiert, die wiederum die Universität Prag eingeschaltet habe. „Danach sind noch die Didaktiker der Universität Regensburg auf uns aufmerksam geworden und zusammen haben wir dieses Riesenbündel geschnürt“, erklärt Wolters.
Nun soll in Bärnau die erste Archäo-Werkstatt Deutschlands entstehen. „Wir wollen einen Komplex bauen, in dem historische Artefakte nicht nur rekonstruiert, sondern auch restauriert werden können. Das gibt es schon in anderen Ländern, aber nicht bei uns“, so Wolf. Künftig sollen angehende Geschichtslehrer und andere Studenten in angewandter Archäologie ausgebildet werden. Wolters soll weiterhin in Bärnau arbeiten, aber als Dozent der Universität Bamberg fungieren. „Damit wird Bärnau zu einer universitären Außenstelle“, sagt Wolf stolz.
Seine Vision geht darüber aber noch hinaus. „Ich bin an der Grenze zum ehemaligen Eisernen Vorhang aufgewachsen und will, dass wir dieses Grenzdenken überwinden.“ Er wünscht sich für Bärnau deshalb zusätzlich ein grenzüberschreitendes offenes Klassenzimmer, in dem tschechische und deutsche Schüler und Studenten sich Geschichte gemeinsam erarbeiten.
Ob die Vision Realität wird, hängt nur noch von der Zusage der entsprechenden Stellen ab – im Juli wird der gemeinsame Antrag abgegeben. „Wir hoffen natürlich sehr, dass wir den Zuschlag bekommen, das wäre eine Riesensache für uns“, so Wolf. Bei positivem Ausgang hätte man bis 2020 Zeit, Baumaßnahmen durchzuführen und Strukturen für einen universitären Betrieb zu schaffen. „Persönlich liegt mir das sehr am Herzen, weil der Fortbestand des Parks dadurch auf lange Zeit gesichert wäre“.
Geschichtspark Bärnau-Tachov (Naaber Straße 5b, Bärnau), geöffnet: März bis November, täglich außer montags, 10 bis 18 Uhr, Eintritt: 7 Euro (ermäßigt 4,50 Euro), www.geschichtspark.de
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