Generation Hamlet
Thomas Ostermeier ist einer der wichtigsten Theaterregisseure der Gegenwart. Mit dem Ensemble der Berliner „Schaubühne“ eröffnet er das „Prager Theaterfestival deutscher Sprache“
16. 11. 2016 - Text: Jan NechanickýInterview: Jan Nechanický, Fotos: Brigitte Lacombe, Arno Declair
Thomas Ostermeiers Karriere hat steil begonnen. Nach dem Regie-Studium an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch leitete er ab 1996 die „Baracke“, die Nebenspielstätte des Deutschen Theaters Berlin, die Kritiker damals zum Theater des Jahres wählten. Drei Jahre später stand er an der Spitze einer der renommiertesten Sprechbühnen des Landes, der Berliner Schaubühne. Noch heute ist der 48-Jährige deren künstlerischer Leiter. Zudem wirkte er in der Zwischenzeit unter anderem am Deutschen Schauspielhaus Hamburg, an den Münchner Kammerspielen und am Burgtheater Wien. Mit seinen Inszenierungen reiste Ostermeier unter anderem nach Paris, New York und Hongkong. In Prag bringt er Shakespeares „Hamlet“ mit Lars Eidinger in der Hauptrolle auf die Bühne des Theaters in den Weinbergen.
Sie zeigen in Prag Shakespeares „Hamlet“ – ein bekanntes Stück, an dem man nicht mehr viel Neues entdecken kann, oder?
Bei vielen anderen Inszenierungen hat mich der Eindruck gestört, dass sich der Regisseur in den Hamlet hineinträumt. Als würde er glauben, dass er mitten in einer verrotteten, korrupten Welt wie ein Hamlet dasteht – und als hätte er einen Botschafter auf der Bühne, der intellektuell, empfindsam und romantisch ist.
Was machen Sie anders?
Ein großer Unterschied liegt darin, dass wir Hamlet kritisch sehen. Wir zeigen ihn auch als verwöhntes Kind und als jemanden, der aufgrund seiner politischen Handlungslosigkeit in den Wahnsinn gerät. Das Stichwort für die Inszenierung war für uns die Generation Hamlet.
Wofür steht das?
Das war zu Beginn des Jahrtausends ein Begriff für eine Generation, die ein großes Bewusstsein für die fehlerhafte Welt hat, aber handlungsunfähig ist. Der andere Grund für den Erfolg dieser Produktion liegt bestimmt in der Tatsache, dass auf der Bühne ein Ensemble steht, das zusammenspielt und zusammenhält. Wir machen eine Art von Schauspielertheater, die nicht mehr so sehr gepflegt wird.
Sie sind mit Ihren Stücken viel unterwegs und dadurch auch Botschafter der deutschen Kultur. Gibt es derzeit etwas, was man als typisch „deutsches Theater“ bezeichnen könnte?
Die Schaubühne steht zwar nicht alleine in der deutschen Theaterlandschaft, aber sie verfolgt dennoch eine Sache, die in anderen Theater nicht mehr so präsent ist. Wir versuchen, die Stoffe in ihrer Gänze, mit ihren Konflikten und mit ihrer ganzen Handlungslinie auf die Bühne zu bringen.
Was heißt das im Fall von „Hamlet“?
Wir versuchen, Shakespeare-Theater zu machen – ein Theater, das nah am Publikum ist, mit dem Publikum kommuniziert und es als Spielpartner versteht. Dazu gehören durchaus auch Momente aus der Populärkultur, Fechtkampf zum Beispiel. Wir sehen den Stoff zwar neu, nehmen ihn aber trotzdem ernst und bringen ihn in seiner Gänze zu Gehör. Damit sind wir im deutschsprachigen Theater, wo man sehr viel mit Dekonstruktion und performativen Elementen arbeitet, eine Ausnahme.
In Tschechien fällt es einigen gerade schwer, Deutschland zu verstehen – vor allem wenn es um Flüchtlingspolitik geht. Kann Theater in solchen Krisen eine Hilfe sein?
Wir versuchen, in solchen Fragen Stellung zu beziehen. „Hamlet“ nimmt nicht direkt Stellung. Andere Aufführungen von mir, wie zum Beispiel „Ein Volksfeind“ machen das ganz konkret. Auch das Stück, an dem ich im Moment arbeite, beschäftigt sich mit Antisemitismus. Wir versuchen, unseren Beitrag zur Aufklärung zu leisten. Ich gebe mich aber nicht der Illusion hin, dass Theater die Welt verändern könnte.
Vielleicht nicht die Politik. Aber könnte das Theater nicht mehr Verständnis für den anderen schaffen?
Die Werke im Theater behandeln all die Themen, mit denen wir heute zu tun haben – Korruption, Verrat und im Fall von Hamlet Usurpation. Ich glaube, dass diese Stoffe uns auch etwas über unsere derzeitige Situation sagen und dass sie auch auf die Gesellschaft wirken.
Haben Sie eine Beziehung zum tschechischen Theater?
Ich habe eine Beziehung zu den Stücken von Václav Havel, die ich gelesen habe, als ich vor mehr als 25 Jahren in Landshut lebte. Dort bin ich aufgewachsen, nicht so weit von der tschechischen Grenze entfernt. Von daher habe ich durchaus eine Beziehung zu dieser Mentalität, die wesensverwandt mit der deutschen ist. Außerdem habe ich Freunde in Prag. Und ich finde es sehr wichtig, dass es in Europa über die Grenzen hinweg Koalitionen von Kulturschaffenden gibt, die zu den brennenden Fragen eine andere Haltung einnehmen, die für Humanismus, Aufklärung und Vernunft stehen – und gegen Populismus und Hass. Es ist wichtig, eine aufgeklärte Kultur zu pflegen und sich auch an den Werken der Weltliteratur zu orientieren, damit wir nicht dieselben Fehler machen, die schon so viele Generationen vor uns gemacht haben.
„Markus von Liberec“
Geheimes oder Geheimnistuerei?