Geringschätzung mit Tradition
Die Evangelische Kirche in Deutschland will 2015 nicht an den böhmischen Reformator Jan Hus erinnern
29. 1. 2014 - Interview: Marcus Hundt
Im Sommer vergangenen Jahres veröffentlichte die „Prager Zeitung“ einen offenen Brief an Margot Käßmann, Botschafterin für das Reformationsjubiläum im Jahr 2017. Darin kritisierten renommierte Historiker, Theologen, Slawisten und Germanisten aus Tschechien und Deutschland, dass die Lutherdekade dem böhmischen Reformator Jan Hus, der im Jahr 1415 auf dem Konzil von Konstanz den Feuertod starb, keine Beachtung schenkt. Chefredakteur Marcus Hundt sprach mit dem Initiator und Erstunterzeichner des offenen Briefes, dem in Prag lebenden evangelischen Theologen Friedrich Goedeking über die hervorgerufenen Reaktionen.
Im kommenden Jahr wird der 600. Todestag von Jan Hus begangen. In Ihrem offenen Brief haben Sie gefordert, dem böhmischen Reformator in der Lutherdekade einen besonderen Platz einzuräumen. Wie hat die EKD, die Evangelische Kirche in Deutschland, darauf reagiert?
Friedrich Goedeking: Die für die sogenannte Lutherdekade Verantwortlichen haben meine Bitte, im Jahr 2015 Jan Hus und die böhmische Reformation zu thematisieren, abgelehnt beziehungsweise überhaupt nicht darauf reagiert. Die Botschafterin der Lutherdekade Frau Margot Käßmann ließ mir durch ihre Assistentin ausrichten, dass sie auf offene Briefe nicht antworte. Dabei stehen doch gerade offene Briefe in einer lutherischen Tradition. Luther selbst hat solche Schriftstücke, er nannte sie Sendschreiben, an Ratsherren und Fürsten gerichtet.
Worauf führen Sie das vermeintliche Desinteresse zurück?
Goedeking: Die Geringschätzung von Jan Hus hat in der deutschen Theologie- und Kirchengeschichte eine jahrhundertelange Tradition. Ich vermute, dass sich die für das Reformationsjubiläum Verantwortlichen bei der Planung der Themen für die Dekade gar nicht bewusst waren, dass sich die Hinrichtung von Jan Hus im nächsten Jahr zum 600. Mal jährt.
Gab es auch positive Reaktionen auf Ihren Aufruf?
Goedeking: Ja. Ich war zum Beispiel überrascht, dass ich von tschechischen und deutschen Historikern so viel Zuspruch erhielt. Der Erste, der meinen offenen Brief unterschrieb, war der renommierte tschechische Hus-Forscher František Šmahel. Dazu kamen Unterschriften einiger Professoren von Universitäten in Prag, Brünn, Leipzig, Tübingen, Regensburg und Berlin. Aber auch engagierte katholische und evangelische Laien haben den Brief unterzeichnet. Schließlich ist der Lit-Verlag in Münster an mich herangetreten. Ich wurde gebeten, einen Sammelband zum Hus-Jahr herauszugeben, an dem sich tschechische und deutsche Wissenschaftler beteiligen. Dieser Bitte versuche ich nun nachzukommen.
Auch Joel Ruml, der Synodalpräses der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder, gehört zu Ihren Unterstützern.
Goedeking: Darüber habe ich mich besonders gefreut. Und ich habe deswegen die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass die EKD doch noch auf die Kirche der Böhmischen Brüder zugeht, um gemeinsame Projekte zu verabreden.
Geht es Ihnen vor allem darum, dass Jan Hus in der deutschen Kirche bekannter wird?
Goedeking: Es wäre schön, wenn der vergessene Reformator, der fast alle Reformen der Kirche schon hundert Jahre vor der deutschen Reformation zu seinem Programm gemacht hat, in Deutschland endlich die ihm gebührende Anerkennung erfährt. In einer Würdigung von Jan Hus durch die deutschen Kirchen sehe ich aber auch einen Beitrag zum Versöhnungs- und Friedensprozess zwischen den Kirchen in Deutschland und Tschechien – und darüber hinaus auch zwischen Deutschen und Tschechen, deren Verhältnis zueinander noch immer häufig von gegenseitiger Unkenntnis und Vorurteilen geprägt ist.
Inwiefern könnte die Evangelische Kirche in Deutschland im Hus-Jahr zu einer besseren Verständigung mit Tschechien beitragen?
Goedeking: Die Kirche der Böhmischen Brüder hat bereits vor fast 20 Jahren in einem offenen Brief an die Evangelische Kirche in Deutschland das von tschechischer Seite den Deutschböhmen nach Kriegsende zugefügte Leid in einer Deutlichkeit beim Namen genannt, die noch heute in Tschechien ungewöhnlich ist. Nun könnte die EKD ihrerseits ein Zeichen setzen. Was hindert die EKD eigentlich daran, das Jahr 2015 als eine Gelegenheit zu ergreifen, um beispielsweise gemeinsam mit der Kirche der Böhmischen Brüder Projekte und Veranstaltungen zum Hus-Jahr zu planen? Die Veranstaltungen zum Reformationsjubiläum und der Lutherdekade sollen mit über 100 Millionen Euro finanziert werden. 35 Millionen gibt der Bund, das übrige Geld steuern die Evangelische Kirche, die Bundesländer und die Europäische Union bei. Es wäre eine lobenswerte Geste, wenn die im Vergleich zur Kirche der Böhmischen Brüder so reiche Evangelische Kirche in Deutschland 2015 einige Projekte anlässlich des Hus-Jahres finanziell mittragen würde.
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