Gesund durch Gesang
Corona-Hilfe

Gesund durch Gesang

Jana Kurucová ist eine erfolgreiche Opernsängerin. Zugleich sollen Long-Covid-Patienten mit ihrer Hilfe wieder besser Luft bekommen

2. 6. 2021 - Text: Klaus Hanisch

Zeit für ein längeres Gespräch? Erst um 22 Uhr, schreibt Jana Kurucová. Ihr Terminkalender ist prall gefüllt. Daher gleich zu Beginn die entscheidende Frage: Hat sie mit ihrem Atemtraining für Covid-19-Geschädigte etwas erreicht? Die Sängerin holt ein Schreiben hervor. Darin schildert eine Patientin ihre Erfahrungen mit der Krankheit. Und mit dem Unterricht, den sie mehrere Wochen lang unter Anleitung von Jana Kurucová absolviert hat.

Der jungen Frau ging es noch im Januar ziemlich schlecht. „Ich hatte Anfälle von akuter Luftnot, vor allem nachts, trockenen Husten, Fieber, war schon bei der geringsten Belastung sofort erschöpft“, erläutert sie. Dazu verlor sie komplett ihren Geruchs- und Geschmackssinn, hatte Brust-, Kopf-, Glieder- und Muskelschmerzen. „Meine Konzentration und meine Wortfindung waren gestört“, führt Franziska aus.

Sie ist Ärztin, wurde daher regelmäßig getestet. Die 33-Jährige erkrankte Anfang dieses Jahres an Covid-19. Drei Tage nach dem positiven Befund verschlechterte sich ihr Gesundheitszustand rapide. Nur knapp entging sie einem Aufenthalt im Krankenhaus. Die akute Phase ihrer Erkrankung hielt drei Wochen an. Und auch danach verbesserte sich ihre Lage nur langsam. Wegen ihrer eingeschränkten Lungenfunktion und Kraftlosigkeit konnte Franziska nur wenige Schritte gehen, kaum Treppen steigen. Damit widerlegte auch sie ein Vorurteil, das sich hartnäckig in der Bevölkerung hielt: Wer eine Corona-Erkrankung überwunden hatte, galt in den Augen vieler als geheilt. „Genesen ist gleich gesund“ – diese Formel war nie richtig.

„Es war eine sehr schwere Zeit für mich, da mir niemand genaue Antworten darauf geben konnte, ob ich jemals wieder vollständig gesund werde“, blickt Franziska zurück. Zu den körperlichen Beschwerden kam die psychische Belastung. „Kann ich meinen Beruf als Chirurgin irgendwann wieder ausüben?“, fragte sie sich. Und „wie soll es überhaupt weitergehen?“ Erst drei Monate später war Franziska soweit fit, dass sie – eingeschränkt – wieder arbeiten konnte.

Gleichzeitig stellte sie sich in der Lungenambulanz am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) vor, wurde ab März Probandin in einer Studie, die sich mit Langzeitfolgen nach einer Covid-Erkrankung beschäftigt. Dabei erhielt die Ärztin das Angebot, ein Atemtraining durchzuführen – mit Jana Kurucová.

Opernsängerin Jana Kurucová | © Simon Pauly

Jana Kurucová ist eine gefeierte Opernsängerin auf vielen Bühnen dieser Welt. Zugleich arbeitet Kurucová, die 1982 in der Tschechoslowakei geboren wurde, seit mehr als 20 Jahren auch als Coach für Körperarbeit, Atmung und Gesang. Derzeit hat sie ein Engagement als Solistin und Ensemblemitglied an der Staatsoper Hamburg. Dieses Haus ging eine ungewöhnliche Kooperation mit dem UKE ein: Mit Hilfe von Gesangstechniken sollte die Genesung von Covid-19-Erkrankten unterstützt werden. Dass viele Patienten wie Franziska nach einer überstandenen Covid-19-Erkrankung noch lange an Luftnot leiden, hat seine Ursache darin, dass die Atemmuskulatur durch die Infektion nachhaltig geschwächt wurde.

Die Mezzosopranistin unterrichtete die Ärztin mehrere Wochen lang, virtuell, jeweils eine Stunde pro Woche. Dazu gab sie ihr ein Video mit Übungen für jeden Tag. Kurucová war wichtig, dass ihre Patientin ein Bewusstsein dafür bekam, wie ihre Atmung funktioniert. Es ging um Physis und Psyche zugleich: Übungen für die Atemluft und Verständnis dafür, was mit dem Körper passiert, welche chemischen Prozesse dabei entstehen. „Wenn man durch die Nase atmet, dann entsteht Stickstoffmonoxid, das im Körper selbst produziert wird“, führt Kurucová aus. Das Gas wird in den Nasennebenhöhlen durch bestimmte Enzyme gebildet und hilft, den Sauerstoff gleichmäßig im Körper zu verteilen und den „Blutfluss“ zu regulieren. Zudem ist es wichtig für Körperzellen.

„Long Covid“ gibt den Forschern Rätsel auf. | © European Molecular Biology Laboratory, CC BY-NC-ND 4.0

Kurucová informierte darüber, wie ein Immunsystem gestärkt und Infektionen abgewehrt werden können. „Auch dies trägt wesentlich dazu bei, dass sich Patienten besser fühlen“, merkt sie an. „Wenn sie wissen, welchen Profit sie davon haben, nur noch durch die Nase statt durch den Mund zu atmen, dann werden sie dies in Zukunft und vielleicht sogar in ihrem gesamten weiteren Leben tun.“

Nach Angaben von Medizinern können gerade professionelle Sängerinnen und Sänger Post-Covid-Patientinnen und -Patienten gut unterstützen. „Wir wissen, dass Singen bei Menschen mit chronischen respiratorischen Erkrankungen die Lungenfunktion und die Lebensqualität verbessert“, erklärt Dr. Hans Klose, Leiter der Pneumologie der II. Medizinischen Klinik und Poliklinik des UKE. Sängerinnen und Sänger der Hamburger Oper statteten die Long-Covid-Patienten daher „mit Werkzeugen aus, die sie für ihre Genesung benötigen“, ergänzt Professor Hermann Reichenspurner, stellvertretender ärztlicher Leiter des Universitären Herz- und Gefäßzentrums am UKE.

Universitätsklinikum in Hamburg-Eppendorf | © UKE

Jana Kurucová vermutet nicht, dass ihr Lungenvolumen sehr viel größer ist als bei anderen Menschen. „Aber Sänger achten mehr auf ihre Atmung und können mit ihrer Luft viel besser umgehen“, doziert sie. Beim professionellen Singen sei nicht so wichtig, ob man viel Luft habe, sondern wie man die verfügbare Luft dosiere. „Je weniger Luft ich beim Singen verbrauche, desto schöner ist der Ton.“ Daher müsse die Ausatmung gekonnt verzögert werden, man müsse sie „verlaaaangsaamen“, dehnt Kurucová bewusst. Dann komme der Körper länger mit Kohlendioxid in Berührung, Gefäße würden weiter, beim nächsten Atemzug werde Sauerstoff besser gebunden und der Körper damit besser versorgt. Deshalb gilt für Jana Kurucová: „Singen macht gesünder!“

Die Zusammenarbeit zwischen Oper und Klinikum lief sechs Wochen, Kurucovás Hilfe war ehrenamtlich. Doch: „Die Umstellung der Atmung braucht mindestens 90 Tage“, konstatiert sie. Aus diesem Grund bot sie schon vor Corona Kurse über ein halbes Jahr an. Für Gesangsstudenten, zu Beginn ihrer Unterrichtsstunde, damit sich der Atmungsapparat richtig aufwärmte. „Erst dann ist auch die Stimme in Bestform.“ Ebenso aber auch schon für Patienten, die Lungeninfektionen oder Kurzatmigkeit plagen. Stets mit dem Versprechen: „sechs Monate intensive Arbeit.“ Wöchentliche Videocall-Stunden in der ersten Hälfte, dazu exakte Infos über die Atmung und Übungen für die gesamte Woche. „Wir gehen alle Bereiche des Atmungsapparates und ihre Funktionen durch.“

Eine Atemtherapie minimiert Lungenschäden. | © APZ

Die letzten drei Monate werden dafür genutzt, Atemübungen in den Alltag zu integrieren. „Dabei muss man nicht gezwungenermaßen 30 Minuten lang Atmen üben, sondern kann quasi nebenbei beim Kaffeekochen ein paar Minuten bewusste Atemübungen machen, ebenso im Bus auf der Fahrt zur Arbeit oder in einer Warteschlange vor einem Geschäft.“ Richtig zu atmen bedeute mehr Energie für den Körper. Sie selbst „habe heute schon sehr viel unterrichtet, auch viele Sänger, aber selbst jetzt am späten Abend bin ich noch richtig fit“, unterstreicht die Sängerin während des Gesprächs am späten Abend.

Bei all ihren Engagements hat sie nicht allzu viel Zeit für den Unterricht nebenbei. Trotzdem wollte sie sich mit Menschen austauschen und Infos weitergeben. „Wenn man selbst zum Lehrer wird, überlegt man für sich die gesamten Prozesse auf andere Art und Weise, macht sich ganz andere Gedanken.“ Zwar sei „Sänger-Atmung nicht spezialisiert auf Patienten mit Corona, Asthma oder Kurzatmigkeit.“ Doch Jana Kurucová lehrt aus Erfahrung: Sie hatte früher selbst Asthma, beschäftigte sich daher frühzeitig intensiv mit Atmung in allen Facetten – und benötigt selbst seit Jahrzehnten kein Spray und keine Medikamente mehr gegen ihre Erkrankung.

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Nun trägt sie dazu bei, dass der Atmungsapparat von Long-Covid-Patienten während ihrer Reha wieder schrittweise aufgebaut und die Atemfunktion erhöht wird. Dass sie also mehr Luft bekommen und sich damit ihr Wohlbefinden langfristig verbessert, wie Mediziner goutieren. Regelmäßige Gesangs- bzw. Atemübungen würden sich tatsächlich nicht nur auf die Lunge, sondern auch „auf den ganzen Körper und die Seele“ auswirken, so Dr. Klose. Krankenkassen werden allerdings kurzfristig noch nicht einmal einen Teil der Unterrichtskosten übernehmen. „Wir haben das erörtert“, berichtet Kurucová, „doch die Kassen beharren auf Studien, die über ein paar Jahre den Nachweis vom Erfolg meiner Arbeit liefern.“

Franziska bezeugt ihn jetzt schon. „Mit Hilfe von Jana veränderte sich vieles für mich“, bestätigt sie, „sie wies mich in eine korrekte Atemtechnik ein, mit wenigen und leicht zu erlernenden Atemübungen und einer daraus resultierenden täglichen Trainingseinheit.“ Es gebe sehr viele Methoden speziell für Infektionen der oberen Atemwege, merkt ihre Lehrerin an. Sie hat viele Programme studiert – und Übungen mit einer bestimmten Methode brachten bei Franziska sehr gute Ergebnisse. „Summm-Sinnng-Übungen“, nennt dies Kurucová und lacht.

Wobei sie nicht nur Covid-Patienten nutzen. „Wir sind im Alltag so gehetzt, packen so viele Wörter in einen Satz, dass unsere Sätze immer kürzer werden und wir verlernen, durch die Nase zu atmen“, kritisiert sie. Deshalb gelte auch jenseits von Corona: nicht in Hyperventilation verfallen, sondern die eigenen Grenzen erkennen. „Und die sind erreicht, wenn wir wegen unserer Tätigkeit nicht mehr in der Lage sind, durch die Nase zu atmen.“

Jana Kurucová empfiehlt dagegen anfangs eine einfache Übung: eine Hand auf den Brustkorb legen, die andere auf den Bauch, durch die Nase atmen. Hebt sich dann eine Hand? Mit großer Konzentration soll erreicht werden, dass sich die obere Hand auf der Brust – im Gegensatz zur unteren – nicht mehr bewegt. „Damit hat man schon eine tiefe Atmung erzielt, die Kurzatmigkeit automatisch verhindert.“ Mit kleineren Übungen wie dieser, dreimal am Tag jeweils fünf bis zehn Minuten lang praktiziert, seien schnell positive Resultate möglich. „Später gehören sie zum Tag wie Zähneputzen“, so Kurucová, „man denkt nicht mehr groß darüber nach.“

Kurucová in „Goyescas“ (2008) | © Markus Kaesler, Theater Heidelberg

Ihre Covid-Patientin Franziska kann nun wieder arbeiten, normal gehen, sei nicht mehr stark übermüdet wie viele andere nach der Krankheit. Sie könne auch wieder Sport treiben. „Fast besser als vorher, weil sie dabei nun auch ihre Atmung sehr gezielt einsetzt“, freut sich Jana Kurucová. Das bestätigt Franziska. „Mir ging es von Tag zu Tag besser, ich habe gelernt, mich auf meinen Atem und Körper zu fokussieren. Nicht nur meine Lungenbeschwerden besserten sich, auch mein Geruchs- und Geschmackssinn kehrten zurück. Mein Husten verschwand komplett, die Muskel- und Gliederschmerzen nahmen ab und ich konnte mich jeden Tag mehr belasten.“ Über das Resultat wundert sie sich selbst: „Zu Beginn der Atemtherapie hätte ich es nie für möglich gehalten, dass ich in so kurzer Zeit solche Fortschritte machen kann.“

Das gemeinsame Projekt von Oper und UKE wertete Georges Delnon, Intendant der Hamburger Staatsoper, als Hilfe in einer Gesellschaft und von verschiedenen Disziplinen in einer „Zwischen-Zeit, die geprägt ist von Angst, sich anzustecken, Ungeduld endlich geimpft oder zumindest regelmäßig getestet zu werden.“ Bei aller Freude über Lob und Anerkennung für ihre Therapie sehnt sich die Mezzosopranistin trotzdem zurück auf die Bühne. Wegen Corona seien so viele Auftritte abgesagt worden, dass sie „24 Stunden am Tag unterrichten“ müsste, um den Verdienstausfall auszugleichen.

Geld sei jedoch nie ihr Antrieb für den Unterricht gewesen. „Ich wollte als Kind gerne Ärztin werden, habe in den letzten Jahren erfahren, dass Atmung viel mehr ist als nur ein- und auszuatmen und wollte dieses Wissen gerne an andere weitergeben“, benennt sie ihre Motivation.

Jana Kurucová stammt aus dem slowakischen Kežmarok am Fuße der Hohen Tatra, besuchte mit 14 Jahren das Konservatorium in Banská Bystrica und studierte Operngesang in Graz. Als Solistin tritt sie regelmäßig an Opernhäusern in Berlin, Dresden, München sowie im Ausland auf. Und ab 10. Juni singt sie auch wieder, zunächst bei einem Mozart-Konzert in der Philharmonie Košice, eine Woche später an der Deutschen Oper Berlin – und im Sommer im „Don Giovanni“ am Prager Nationaltheater.

Ab Ende August: „Don Giovanni“ im Ständetheater | © Jan Pohribný, ND