Griff nach der Billigwurst
Minderwertige Lebensmittel sind keine Ausnahme, doch die Kunden werden anspruchsvoller
13. 2. 2013 - Text: Ivan DramlitschText: Ivan Dramlitsch; Foto: Keees
Gepanschter Alkohol, Rattengift in Keksen, Regale voller Gammelfleisch – fast wöchentlich berichten Medien über verdorbenes oder gefährliches Essen in Geschäften und erschüttern damit zunehmend das Vertrauen der Verbraucher. Sind das alles Einzelfälle oder gibt es in Tschechien ein grundsätzliches Lebensmittelproblem?
Belastbare Daten oder Studien darüber, dass die Qualität der Lebensmittel im tschechischen Einzelhandel schlechter wäre als in anderen Ländern, gibt es nicht. Schaut man sich allerdings die Kontrollergebnisse der Staatlichen Landwirtschafts- und Lebensmittelinspektion (SZPI) an, dann sind es doch mehr als Einzelfälle.
Allein im zweiten Halbjahr 2012 registrierte die dem Landwirtschaftsministerium unterstellte SZPI über 750 Fälle von gefälschten, verdorbenen oder gefährlichen Produkten. Nachzulesen ist das auf der Seite der SZPI www. potravinynapranyri.cz („Lebensmittel am Pranger“), ein in dieser Form in Europa einmaliges Projekt. „Für einen Lebensmittelproduzenten oder -händler, der wiederholt negativ aufgefallen ist, ist diese Form der Veröffentlichung eine schmerzhaftere Sanktion als eine Geldstrafe“, sagt SZPI-Sprecher Pavel Kopřiva. „Aber vor allem wollen wir Verbrauchern helfen, sich auf dem Markt zu orientieren und Anbietern aus dem Weg zu gehen, die wiederholt Probleme mit der Qualität und Sicherheit ihrer Produkte hatten.“
Online am Pranger
Die Qualitätswächter unterscheiden drei Mängelkategorien. Minderwertiges, das zwar nicht gesundheitsgefährdend ist, aber in Geschmack, Geruch und Aussehen gängigen Qualitätskriterien nicht entspricht; gefälschte Nahrungsmittel mit zumeist vorsätzlichen Falschinformationen über die Produktzusammensetzung sowie gefährliche Lebensmittel mit Fremd- und Zusatzstoffen, deren Anteile erlaubte Grenzwerte überschreiten. Mehr als die Hälfte der beanstandeten Produkte fallen in die letzte Kategorie. Am meisten betroffen sind dabei kontaminierte Spirituosen sowie Fleisch- und Wurstwaren, die unter anderem mit Schimmelbefall angeboten wurden. Zudem entsprechen die Angaben zu den Inhaltsstoffen oft nicht der Wahrheit.
Ein klassischer Fall: Marmeladen mit geringerem Fruchtanteil als deklariert. Der verbreitete Eindruck, dass aus Polen besonders viele problematische Lebensmittel kämen, bestätigt sich im Übrigen nicht: Nur rund acht Prozent der von der SZPI bemängelten Waren stammten aus dem Nachbarland. „Leider werden Verfehlungen bei ausländischen Produkten von den Medien besonders hervorgehoben, was bei den Verbrauchern zu einer verzerrten Wahrnehmung führt“, stellt der Verband für Handel und Tourismus (SOCR) fest.
Die relativ hohe Anzahl minderwertiger Lebensmittel ist nach Meinung von Branchenbeobachtern das Ergebnis eines enormen Preisdrucks seitens der großen Handelsketten. Oft wird dann mangelnde Qualität verschleiert. „Es stört mich, wenn die Händler die Verbraucher für dumm verkaufen. Warum muss ich bei einer Wurst zur Lupe greifen um herauszufinden, ob da überhaupt Fleisch drin ist? Warum wird nicht direkt gesagt: Das hier sind billige Lebensmittel, da kann man sparen, aber erwartet nicht allzu viel. Und hier sind teurere Lebensmittel, bei denen wir aber ein Qualitätsniveau garantieren. Soll sich doch jeder entscheiden“, fordert Lenka Krbcová, Chefredakteurin des Online-Portals Vitalia.cz, das sich langfristig mit der Lebensmittelqualität beschäftigt.
Kunde entscheidet
Dem Kunden kommt eine Schlüsselrolle zu, denn durch kritisches Kaufverhalten kann er das Angebot beeinflussen. Allerdings scheint der tschechische Verbraucher noch nicht so weit zu sein. „Die mitteleuropäischen Kunden sind im Unterschied zu den Verbrauchern in Westeuropa immer noch weniger selbstbewusst und informiert“, sagt SZPI-Sprecher Kopřiva. Einige Hersteller und Händler seien sich dieser Tatsache bewusst und nutzten sie aus. Das Ergebnis seien Lebensmittel von teilweise problematischer Qualität zu Preisen, die mit denen in Westeuropa vergleichbar sind.“ Lebensmittel-Expertin Krbcová hält die „Bereitschaft, Schund zu kaufen“, für sehr ausgeprägt: „Man beklagt sich über schlechte Qualität und greift dann doch gierig nach dem Paket Billig-Würstchen zu 30 Kronen.“ Neben der Bestrafung der schwarzen Schafe wünscht sich Krbcová vor allem eine andere Mentalität: „Qualitätslebensmittel und eine gepflegte Geschäftskultur müssten selbstverständlich sein.“
Zeichen eines Umdenkens sind die „Bauernmärkte“ (Farmářské trhy), die seit einigen Jahren beliebter werden. Dort bieten kleinere lokale Produzenten ihre Waren an – zumeist in Bio-Qualität. Mittlerweile finden diese Märkte in nahezu allen größeren tschechischen Städten statt, allein in Prag gibt es knapp zwanzig. Die breite Akzeptanz der Märkte zeigt, dass es sehr wohl Kunden für höherwertige Produkte gibt. Perspektivisch könnten sie einen Impuls zur Wiederbelebung des anspruchsvollen Lebensmittelfachgeschäftes geben. Denn das ist durch den enormen Supermarkt-Boom nahezu ausgestorben.
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