Glück als Antrieb
Der Nürnberger Unternehmer Alexander Brochier spendet Millionen für Kinder und unterhält seit Jahren ein Kinderheim in Příbram
16. 7. 2015 - Text: Klaus HanischInterview: Klaus Hanisch; Foto: Alexander Brochier
Er will später nicht nur als Geschäftsmann und Familienvater in Erinnerung bleiben, sondern auch als ein Mensch, der sich um andere kümmerte. Deshalb gründete der Nürnberger Unternehmer Alexander Brochier Anfang der neunziger Jahre eine Kinderstiftung. Er stattete sie zunächst mit fünf Millionen D-Mark und später mit fünf Millionen Euro aus. Bis heute trägt der 65-jährige alle Verwaltungskosten selbst. Schon seit 14 Jahren hilft Brochiers Stiftung Kindern in Tschechien.
Wann fahren sie wieder mal nach Příbram in das Pepa-Kinderheim?
Alexander Brochier: Wahrscheinlich noch im Juli, weil wir dort gewaltige Baupläne haben. Wir betreuen derzeit 14 Kinder und wollen erweitern. Ein großes Thema sind im Moment „Krisenkinder“. Für sie sucht die Stadt Příbram immer wieder Übergangsplätze. Dabei handelt es sich um Kinder, die für ein paar Monate aus kriselnden Familien herausgenommen und untergebracht werden müssen. Da wollen wir helfen und zumindest ein paar Kinder aufnehmen, haben aber viel zu wenig Platz. Zudem brauchen wir sowieso 16 Kinder, damit sich das Projekt rentiert. Gerade in Tschechien, weil es dort von staatlicher Seite fast keine Zuschüsse gibt. Sie liegen in Deutschland bei etwa 120 Euro pro Kind und Tag, in Tschechien sind es dagegen nur 80 Kronen, also etwa drei Euro.
Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?
Brochier: Wir wollen in dem Kinderheim künftig zwei Gruppen zu acht Kindern bilden und zusätzlich diese „Krisenkinder“ aufnehmen. Dafür liegt ein Bauvorhaben mit Kosten von über einer Million Euro auf meinem Tisch. Jetzt muss ich schauen, wie es zu finanzieren ist. Wir beginnen mit dem Projekt im nächsten Jahr und wollen auf dem Grundstück zusätzlich ein Gebäude errichten. Deshalb werde ich demnächst häufiger in Příbram sein. Meine Ex-Frau ist fast wöchentlich vor Ort. Sie verbringt Winter- wie Sommerurlaube mit den Kindern.
Die Kinder sollen mit intensiver pädagogischer Hilfe in ihrer Entwicklung aufholen und sich wieder in die Gesellschaft integrieren. Um welche Kinder geht es genau?
Brochier: In erster Linie kommen Kinder zu uns, die wie in Deutschland vom Jugendamt vermittelt werden. Anfangs hatten wir die ganz, ganz schwierigen Fälle. Ein Kind, das von seinem eigenen Vater zur Strafe vor eine Garage gestellt und umgefahren wurde. Es blieb querschnittsgelähmt. Ein anderes wurde mit Benzin übergossen und angezündet. Waisenkinder waren bei uns fast nie, sondern Kinder aus ganz prekären Situationen.
Das klingt nach besonders krassen Fällen.
Brochier: Ein Junge schlief mit seiner Mutter, einer Prostituierten, in einem Bett und hinter einem Vorhang empfing sie ihre Freier. Er war deshalb gezeichnet für sein Leben. Das merkte man auch, als er ein paar Mal hier bei uns in Nürnberg im Urlaub war. Er hat sich anschließend so radikal entwickelt, dass wir ihn aus dem Heim nehmen mussten, weil er auf die Erzieherinnen losging und die anderen Kinder belästigte. Das war schade. Er war dann eine Zeit lang in einem geschlossenen Heim und hat jetzt wieder Kontakt zu uns gesucht. Meine Ex-Frau versucht, dass er eine Wohnung und Arbeit bekommt. Oft kamen in den letzten Jahren auch Geschwister zu uns, zwei oder drei Kinder aus einer Familie, deren Eltern Alkoholiker oder drogensüchtig waren.
Seit 2001 baut Ihre Stiftung in einem Bauernhof in Příbram dieses Kinderheim auf. Wieso gerade in Tschechien?
Brochier: Ich habe Anfang der neunziger Jahre meine tschechische Frau kennengelernt, 1992 und 1994 wurden unsere beiden Söhne geboren. Im Laufe der Zeit haben wir versucht, Projekte in Tschechien zu fördern, das Grundstück für das Heim aber erst 1999 bekommen. Es war ab 2001 eines der ersten privaten Kinderheime in Tschechien. Kein einfacher Start. Anfangs wurde sogar gemutmaßt, dass in diesem Heim sexueller Missbrauch stattfinden könnte, durch diese „deutschen Spinner“, die einfach herkommen und solch eine Einrichtung eröffnen.
Wie lange hielt dieses Misstrauen an?
Brochier: Das war mindestens ein Jahr lang ein großes Problem, bis wir endlich in Příbram und auch in den Ministerien in Prag akzeptiert wurden. Dann hat man dort gemerkt, dass wir es ernst meinen. Seitdem läuft es sehr gut.
Dachten Sie zwischendurch daran, sich aus Tschechien zu verabschieden, nachdem man Ihnen so lange nicht über den Weg traute?
Brochier: Ich wollte immer Projekte, zu denen ich persönlich hinfahren und bei denen ich selbst helfen kann. Deshalb ging ich damit nie nach Asien, Afrika oder Südamerika. Das war mir zu weit und dort wiederum habe ich niemandem vertraut. Ich bin selbst ein wenig misstrauisch und habe deshalb lieber eine eigene Stiftung gegründet anstatt für große Organisationen zu spenden. Ich muss genau wissen, dass das Geld wirklich dort ankommt, wo es hin soll. Deshalb kamen auch der Balkan oder Russland für mich nicht in Frage. Wir haben auch Kinderheime in Rumänien unterstützt, doch als unsere Lastwagen dort ankamen, waren sie halbleer, weil die Mitarbeiter unterwegs dreimal Zoll zahlen mussten.
Da haben Sie in Tschechien – trotz des schwierigen Anfangs – bessere Erfahrungen gemacht?
Brochier: Ich habe Tschechien durch meine damalige Frau kennengelernt und finde, es ist ein tolles Land. Mir haben auch die Tschechen gefallen, auch weil sie den Franken sehr ähnlich sind. In dem Land habe ich mich getraut, weil ich wusste, dass es dort eine gewisse Rechtssicherheit gibt. Und eine Hilfe irgendwo zwischen Prag und der Grenze erschien mir notwendiger als in Bayern.
Sie nennen als Ihre große Schwäche, dass Sie leicht zu begeistern seien. Hat das Ihre Frau damals zum Wohle anderer ausgenutzt?
Brochier: Nein, sie war zwar von Anfang an dabei, hat aber Tschechien gar nicht vorgeschlagen. Vielmehr sah ich dort die Not zum Aufbau. Während in Deutschland ein Sozialsystem fest etabliert und auch teuer ist, gab es auf der anderen Seite nichts annähernd Vergleichbares. Auch deshalb wollte ich dorthin. Im Gegensatz zu mir konnte meine Frau als gebürtige Tschechin dort Eigentum erwerben. Und die Stiftung unterstützte sie. Der Kontakt nach Příbram entstand eher zufällig, weil meine Frau eine Bäuerin kannte, die diesen Bauernhof besaß.
Das Heim soll familienorientiert sein. Was heißt das?
Brochier: Ich weiß, was es heißt, geborgen und glücklich in einer Familie aufzuwachsen. Deshalb ist mein Anspruch, dass Kinder, die dies nicht kennen, zumindest ein wenig spüren, in einer größeren Familie zu sein. Die Kinder sollen nach der Schule wirklich heim und nicht einfach nur in ein Heim kommen!
Wie verschafft man solch ein Gefühl?
Brochier: Durch entsprechende Einrichtungen, etwa einem Wohnzimmer. Vor allem aber auch mit Zuwendung, möglichst langen Bindungen durch die Mitarbeiter, die man Beziehungen aufbauen lassen muss und die nicht pausenlos wechseln dürfen. Was anfangs nicht ganz einfach war, weil es kaum Sozialpädagogen oder Mitarbeiter mit ähnlichen Berufen in Tschechien gab.
Wie sieht Ihre Hilfe konkret aus?
Brochier: Sie ist sehr vielfältig, sowohl finanziell als auch konzeptionell oder durch Bauleistungen. Und wir versuchen, andere für das Projekt zu begeistern. Etwa einen der Rotary-Clubs in Prag, der das Heim fördert. Für Projekte wie ein Sommer-Camp hat uns Siemens unterstützt. Meine zweite Frau ist dort sehr engagiert und bringt sehr viel Zeit dafür ein.
Lernen Sie mit solch einem Projekt und auch angesichts der von Ihnen geschilderten Fälle zuweilen selbst noch etwas über diese Welt, trotz Ihrer großen Erfahrung nach 65 Lebensjahren?
Brochier: Der ständige Umgang mit schwersterziehbaren oder schwerstgeschädigten Kindern hat mir die Augen geöffnet. Zuvor konnte ich mir nicht vorstellen, was es alles geben kann. Ich habe dadurch Tiefen und Höhen gleichzeitig kennengelernt. Es macht unheimlich viel Spaß, wenn man sieht, wie Kinder, denen so viel angetan wurde und die so viel hinter sich haben, plötzlich aufblühen, lachen und „ganz normal“ werden. In Příbram und auch durch andere Projekte wird einem bewusst, dass man dem lieben Gott jeden Tag fünf Mal dafür danken muss, so ganz anders leben zu dürfen.
Wie sicher dürfen die Kinder dort sein, dass Ihre Hilfe dauerhaft und nachhaltig ist?
Brochier: Es gab dort tatsächlich anfangs die Angst, dass wir nach zwei Jahren wieder einfach gehen und ein Chaos hinterlassen könnten. Nach fast 15 Jahren weiß man aber, dass wir sehr langfristig und nachhaltig denken. Und planen – das zeigt ja unser aktueller Bauantrag. Es könnte sogar der Eindruck entstehen, dass wir jetzt erst richtig loslegen. Meine Stiftung gibt jedes Jahr einen festen Satz von bis zu 80.000 Euro für den Erhalt dieses Heimes. Ich gehe fest davon aus, dass dies noch lange so weitergeht, auch nach meiner Zeit. Dann wird sich wahrscheinlich meine Familie darum kümmern.
Konnten tatsächlich alle Kinder wieder in die tschechische Gesellschaft integriert werden, wie es der Wunsch des Heimes ist?
Brochier: Dieses Ziel muss man haben. Es ist letztlich der Grund, warum es das Heim gibt. Tatsächlich sind drei Viertel der Kinder angekommen. Aber ein Viertel hat nach wie vor wenig oder keine Chancen. Es hängt davon ab, wie alt die Kinder sind, wenn sie in das Heim kommen. Wir haben Kinder mit zwei oder drei Jahren und sie werden dort sicher relativ normal aufwachsen können. Wenn jedoch ein Junge erst mit 12 Jahren zu uns kommt, wie der Sohn dieser Prostituierten, dann wird es schwierig. Sobald er 18 ist, macht er was er will. Dann landet mancher eben doch in der Unterwelt oder im Drogenhandel.
Reißt der Kontakt zu den Kindern ab, sobald sie das Heim mit 18 Jahren verlassen?
Brochier: Einen einzigen gibt es, zu dem wir keinen Kontakt mehr haben. Das ist keine schlechte Bilanz. Vor allem, wenn die ganz schweren Fälle mal wieder anrufen, nachdem sie ein Jahr im Gefängnis gesessen haben, und sagen: Mensch, es war toll bei euch.
Sie haben selbst vier Kinder aus drei Ehen. Warum helfen Sie noch anderen Kindern – und warum gerade Kindern?
Brochier: Für mich sind Kinder die einzigen, die rein gar nichts für ihre Situation können, sondern einfach hineingeboren werden. Ich hätte genauso gut als Straßenkind in Brasilien auf die Welt kommen können. Oder auf irgendeinem Müllhaufen in Indien. Ich hatte nur Glück! Dieses schlechte Gewissen, das daraus resultiert, nur Glück gehabt zu haben, ist für mich ein starker Antrieb, um zu sagen: Wenn ich nichts tue, dann kann ich auch nicht mehr in den Spiegel schauen. Für mich sind Kinder das Wichtigste. Meine Kinder und nicht mein Geschäft oder etwas anderes geben mir Sinn im Leben. Und nur, wenn man für andere einen Nutzen hat, hat man einen Nutzen für die Gesellschaft.
Sie wollten andere Unternehmer dazu animieren, sich ebenfalls als Stifter zu betätigen, und fragten dafür bei 80 sehr Vermögenden aus Ihrem Umfeld an. Am Ende bekamen Sie gerade einmal 5.000 Euro in einem halben Jahr zusammen. Trotzdem haben Sie einen Dachverband für Stifter eingerichtet. Was macht Ihnen Hoffnung, dass andere doch noch Ihrem Beispiel folgen?
Brochier: Ich glaube immer noch an das bisschen Gute im Menschen. Und ich weiß, dass Vermögen dafür vorhanden ist. Doch das oberste Prozent der Superreichen in Deutschland spendet im Schnitt nur 1.800 Euro im Jahr. Bei dieser Zahl werde ich verrückt. Engagement sehe ich vor allem bei denen, die nicht so viel Vermögen haben. Und ihnen muss man helfen und Instrumente an die Hand geben, damit sie Hilfe leisten können, ohne selbst vor die Hunde zu gehen.
Zur Person
Alexander Brochier, geboren 1950 in Nürnberg, leitet die Unternehmensgruppe A. Brochier, einen Komplettanbieter für technische Gebäudeausrüstung. Nach einem BWL-Studium trat der Diplom-Kaufmann 1976 in den elterlichen Betrieb ein. Auf einem Managerseminar Mitte der achtziger Jahre sollte Brochier seine eigene Grabrede schreiben und wurde dabei mit der Frage konfrontiert, wie er nach seinem Tod in Erinnerung bleiben möchte. Dies gab ihm den Anstoß, 1992 die „Brochier Stiftung“ zu gründen. Stiftungszweck war, benachteiligte Kinder in Bayern und Tschechien zu fördern. 1995 stellte Brochier weitere 75.000 Euro für die Gründung der „Stiftung Kinderfonds“ zur Verfügung. Für kleinere gemeinnützige Stiftungen gründete er 1997 eine Non-Profit-Verwaltungsfirma, die heutige „Haus des Stiftens gGmbH“. Im Jahr 2004 erweiterte Brochier den Zweck seiner Stiftung um den Bereich Förderung des bürgerschaftlichen Engagements. Gleichzeitig unterstützte er die Stiftung „Stifter für Stifter“, die den Stiftungsgedanken in der Öffentlichkeit verankern möchte. 2006 zeichnete ihn der Bundesverband Deutscher Stiftungen für seine vielfältigen Verdienste mit dem Deutschen Stifterpreis aus. (khan)
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