Grenzfall Straßenmaut

Grenzfall Straßenmaut

Verstimmung über Dobrindts „Ausländermaut“. Nun prüft Tschechien die Einführung einer Gebühr für Landstraßen

23. 7. 2014 - Text: Martin NejezchlebaText: Martin Nejezchleba; Foto: Wilhelmine Wulff/pixelio.de

 

Zwei Dinge standen laut Alexander Dobrindt (CSU) bereits in der ersten Juli-Woche fest: „Das eine ist, dass Deutschland ins Endspiel kommt, das andere, dass wir die Pkw-Maut am 1. Januar 2016 scharfstellen.“ Während die erste Prognose des deutschen Verkehrsministers mit dem Weltmeistertitel in Brasilien gar übertroffen wurde, ist er mit seinem Mautprojekt offenbar übers Ziel hinausgeschossen. Sein Vorschlag, eine Mautgebühr für ausländische Pkw auf allen deutschen Straßen einzuführen, steht seit Wochen im Kreuzfeuer der Kritik. Erst ging ein Aufschrei durch die Gemeinden in den Grenzregionen, dann kam der nächste Rüffel für den Christdemokraten – ausgerechnet vom bayerischen Innenminister. Joachim Hermann (CSU) forderte vom Parteikollegen eine Ausnahmeregelung für Gemeinden, die direkt an der Grenze liegen. Auch aus dem Nachbarland Tschechien bekommt Dobrindt Kritik zu hören.

„Wir sind entschieden gegen die Einführung einer Gebühr, die die Besitzer ausländischer Fahrzeuge diskriminiert“, erklärte der tschechische Verkehrsminister Antonín Prachař (ANO) auf Anfrage der „Prager Zeitung“. Eine flächendeckende Gebühr gefährde dem Minister zufolge die grenzübergreifende Zusammenarbeit und die wirtschaftlichen Beziehungen. Tschechien steht mit seiner Kritik nicht allein. Österreich etwa reagierte noch am Tag, an dem Dobrindt seine Pläne öffentlich gemacht hatte. Man werde alle rechtlichen Schritte unternehmen, um eine Diskriminierung der österreichischen Autofahrer zu verhindern. Wie auch Prachař bestätigte, wird sich Österreich gemeinsam mit den Ländern der Visegrád-Gruppe dafür stark machen, Deutschlands Mautpläne zu kippen.

Seit Jahren fordert die bayerische CSU, ausländische Autofahrer an der Sanierung des deutschen Straßennetzes zu beteiligen. Am 7. Juli stellte Verkehrsminister Dobrindt sein Konzept vor. Bedingung sei es gewesen, eine Mehrbelastung der deutschen Autobesitzer zu verhindern, die bereits über die Kfz-Steuer für das Straßennetz aufkommen. Außerdem erfülle man ein weiteres Kriterium: Die Maut sei konform mit dem EU-Recht. Das sehen nicht nur die Tschechen anders.

Pickerl per Post
Die Vignettenpflicht soll für alle Kraftfahrzeuge unter 3,5 Tonnen gelten und das nicht nur auf Autobahnen, sondern auch auf Land-, Bundes- und Kommunalstraßen. Das „Pickerl“ soll per Internet und an Tankstellen zu erwerben sein und für zehn Tage, einen Monat oder ein Jahr gelten. Dabei würden sich die Kosten nach Hubraum, Kraftstoffart und Baujahr richten. Der Durchschnittspreis läge laut Dobrindt bei 88 Euro pro Jahr. Besitzer in Deutschland zugelassener Autos bekämen die Vignette per Post zugeschickt; die Kosten würden über Kfz-Steuer verrechnet. Die könne laut Dobrindt dank geplanter Mehreinnahmen von 2,5 Milliarden Euro pro Legislaturperiode entsprechend gesenkt werden.

Ulrich Pötzsch nennt Dobrindts Plan fatal. Der Oberbürgermeister der Fichtelgebirgsstadt Selb sagt: „Eine flächendeckende Gebühr für unsere Nachbarn geht gegen die Willkommenskultur in unserer Region.“ 15 Fahrminuten weiter nordöstlich reagiert sein Amtskollege Dalibor Blažek deutlich entspannter. Ja, viele Bewohner der Stadt Aš im östlichen Landzipfel zwischen Sachsen und Bayern würden zur Arbeit nach Deutschland fahren, aber die könnten die Mehrbelastung mit ihrem Verdienst stemmen. Nachlassen könnte laut Blažek vorerst der Grenzverkehr in der Freizeit, zum Einkaufen oder Baden. „Aber die Leute aus Aš würden sich schnell daran gewöhnen“, sagt der Bürgermeister der 13.000-Einwohner-Stadt. Eine einseitige Belastung von Ausländern sei zwar diskriminierend, eine flächendeckende Maut „seltsam“, aber letztendlich sei es eine souveräne Entscheidung der Bundesrepublik.

In der Nachbarstadt Selb hingegen rechnet man mit empfindlichen Einnahmeeinbußen im Einzelhandel und Tourismus sowie mit dem Rückzug tschechischer Arbeitnehmer. Doch gerade davon lebe die Region. „Eine Autobahngebühr ja, eine allgemeine Straßengebühr nein“, fasst Oberbürgermeister Pötzsch seinen Standpunkt zusammen. Er befürchte auch, dass Tschechien mit einer ähnlichen Gebühr antworten könnte.

Einen passenden Anlass dafür gibt es. Das Verkehrsministerium in Prag bereitet gerade eine  Ausschreibung für einen neuen Betreiber des Mautsystems vor. Ende 2016 läuft der Vertrag mit der österreichischen Firma Kapsch aus. „Ob auch die Straßen niedrigerer Klassen gebührenpflichtig werden, prüfen wir derzeit“, sagt Martin Novák, Sprecher am Ministerium. Konkret bereite man einen solchen Schritt derzeit aber nicht vor.

Ähnliche Standpunkte ließen vor kurzem die Ministerien in Österreich und Dänemark verlauten. Allerdings setzt man vorerst darauf, dass Brüssel den Mautplänen einen Riegel vorschiebt. Auch dort wurde bereits Kritik an der sogenannten „Ausländermaut“ laut. Dobrindt lässt sich davon bislang nicht beirren, beteuert immer wieder, dass sein Gesetzesvorschlag EU-konform sei. Allerdings wird vor allem der Gegenwind innerhalb Deutschlands und in der eigenen Partei als Indiz dafür gewertet, dass Dobrindt sein elfseitiges Konzept noch einmal grundlegend überarbeiten wird.

Straßengebühren der Europäischen Union

Belgien: Mautfreie Fahrt auf allen Straßen
Bulgarien: Auf Autobahnen und Nationalstraßen gilt Vignettenpflicht. Kostenpunkt: 5 Euro für 7 Tage, 13 Euro für einen Monat, 34 Euro für die Jahresvignette
Dänemark: Allgemein gilt mautfreie Straßennutzung, mit Ausnahme der Øresund- und Storebaelt-Brücken.
Deutschland: Mautfreie Fahrt auf allen Straßen
Estland: Mautfreie Fahrt auf allen Straßen
Finnland: Mautfreie Fahrt auf allen Straßen
Frankreich: Hier wird pro Autobahnkilometer bezahlt. Im Schnitt werden pro Kilometer zwischen 7 und 14 Cent fällig. Zusätzlich kosten manche Tunnel und Brücken.
Griechenland: Kilometerabhängige Maut. Die Höhe ist strecken-abhängig, die Gebühren gehören zu den niedrigsten in Europa.
Großbritannien: Gebühren für einzelne Autobahnstrecken, etwa auf der stark frequentierten M6, für Tunnel und Brücken. In London zahlt man Citymaut.
Irland: Mautfreie Fahrt auf allen Straßen
Italien: Kilometerabhängig muss man hier die „Pedaggio“ bezahlen, Sondergebühren für manche Brücken und Tunnel, sowie in Bologna und Mailand.
Kroatien: Kilometerabhängige Maut auf fast allen Autobahnen und zusätzlich auf Brücken und in Tunneln. Die Kilometergebühr ist von der Strecke abhängig.
Lettland: Mautfrei, bis auf eine Citymaut in der Stadt Jarmula (von April bis September). Dort gilt eine Ausnahme für Bewohner der Stadt.
Litauen: Pkw und Motorräder fahren gebührenfrei, Lkw und Busse mit mehr als acht Passagieren müssen eine Vignette kaufen.
Luxemburg: Mautfreie Fahrt auf allen Straßen
Malta: Mautfreie Fahrt auf allen Straßen
Niederlande: Nur die Fahrt durch den 6,6 Kilometer langen Westerscheldetunnel kostet etwa vier Euro für Pkw. Die restlichen Straßen sind mautfrei.
Österreich: Für Pkw und Motorräder gilt „Pickerl“-Pflicht auf Autobahnen und Schnellstraßen. Kostenpunkt: 8,50 Euro für zehn Tage, 24,80 Euro für zwei Monate, 82,70 Euro für die Jahresvignette
Polen: Auf den Autobahnen A1, A2 und A4 gilt Kilometermaut. Die Kosten sind je Städteverbindung unterschiedlich und belaufen sich auf 2,25 bis 10 Euro.
Portugal: Fast auf allen Autobahnen und Schnellstraßen gilt Kilometermaut. Auf verschiedene Brücken und in Tunnelabschnitten werden Sondergebühren erhoben.
Rumänien: Es gibt eine elektronische Vignette für alle Straßen. 7 Tage kosten 3 Euro, ein Monat 7 Euro, 90 Tage 13 Euro und die Jahresvignette gibt es für 28 Euro.
Schweden: Gebühren auf der Öresund-Brücke, zwischen Malmö und Kopenhagen, Citymaut in Stockholm und Göteborg. Ansonsten sind die Straßen in Schweden mautfrei.
Slowakei: Bis 3,5 Tonnen Vignettenpflicht auf Autobahnen,
ab 3,5 Tonnen Kilometermaut. Für eine Woche kostet die Vignette 10 Euro, für einen Monat 14 Euro und für ein Jahr 50 Euro.
Slowenien: Vignettenpflicht auf Schnellstraßen und Autobahnen, 7 Tage für 15 Euro, die Monatsvignette kostet 30 Euro, 95 Euro die Jahresvignette. Der Karawankentunnel kostet für Pkw 7 Euro extra.
Spanien: Hier zahlt man eine kilometerabhängige „Peaje“. Sie richtet sich nach der zurückgelegten Entfernung und Fahrzeugkategorie. Manche Brücken und Tunnel kosten extra, manche Stadtautobahnen sowie die Autobahnen auf den Kanarischen Inseln sind kostenfrei.
Tschechien: Wer in Tschechien auf Autobahnen und Schnellstraßen fahren möchte, muss sich eine „dálniční známka“ kaufen. Ab 3,5 Tonnen zahlt man Kilometergebühr. Die Vignette kostet 11 Euro für 10 Tage, 16 Euro für einen Monat und 54 Euro für das ganze Jahr. Vorsicht: Auf der Vignette muss das Autokennzeichen eingetragen werden, sonst ist sie ungültig!
Ungarn: Hier ist die Vignette elektronisch und abhängig vom Fahrzeugtyp. Eine Wochenvignette für Pkw kostet etwa 10 Euro, eine Monatsvignette 15 Euro und eine Jahresvignette 140 Euro.
Zypern: Mautfreie Fahrt auf allen Straßen