Groteske Fleischer-Rhapsodie

Groteske Fleischer-Rhapsodie

Michael Stavarič schickt die Protagonisten seines Romans „Königreich der Schatten“ an blutige Orte

19. 12. 2013 - Text: Vanessa WeissText: Vaness Weiss; Bild: Mari Otberg

 

Das Metier des Metzgers genießt keinen allzu guten Ruf. Deswegen will wohl kaum noch jemand einen der ältesten Handwerksberufe erlernen. Nicht so im neuen Roman „Königreich der Schatten“ des österreichisch-tschechischen Autors Michael Stavarič. Seine beiden Protagonisten Rosi Schwieg und Danny Loket wollen Fleischer werden und damit jenen Beruf ergreifen, dem bereits ihre Großväter nachgegangen sind. Doch es ist ein weiter Weg, bis sich das scheinbar perfekte Paar über den Weg läuft. Denn die beiden trennt nicht nur ein Ozean (Rosi lebt in Wien und Danny in New York), sondern auch die Vergangenheit.

Unbekannte Wurzeln
Ihre Großväter standen sich im Zweiten Weltkrieg gegenüber, der eine tötete den anderen. Voneinander und dieser Geschichte wissen ihre Enkel nichts. Der in der Vergangenheit geführte Kampf wird in die Gegenwart transportiert. Nicht mit den Waffen des Krieges, sondern mit denen der Metzger. Schauplatz und „Schlachtfeld“ ist Leipzig.

Den Weg dorthin pflastert Stavarič alles andere als geradlinig. Abwechselnd lässt er die junge Rosi und den jungen Danny zu Wort kommen. Man erfährt, dass beide Großväter in der Tschechischen Republik geboren sind. František Loket entschied sich noch vor Ausbruch des Krieges, nach Amerika zu emigrieren, um danach als Soldat auf den Alten Kontinent zurückzukehren. Seine Kampf­trophäen und Erinnerungsstücke veranlassen den Enkel, nach Europa zu reisen. Stavarič lässt seine Protagonisten immer wieder melancholisch in Gedanken an die Vorfahren und die Vergangenheit schwelgen. Den Leser füttert er dabei mit allerlei Informationen und bricht den Rückblick dann abrupt ab.

Während sich Danny in einer Aufzählung der Erinnerungsstücke seines Großvaters verliert, flammen bei Rosi glückliche Kindheitserinnerungen auf. „Die Welt bestand aus losen Stücken, sie ergaben keinen Sinn“, legt Stavarič seinem jungen Protagonisten Danny in den Mund. Es klingt wie eine Referenz auf diese ersten Passagen des Romans. Die Handlung wird nicht vorangetrieben.

Doch immerhin schafft es Stavarič in jenem Teil, vor allem seiner Rosi scharfe Konturen zu verleihen. Man lernt eine junge Frau kennen, die sich nahe am Suizid befindet und aus einer Laune heraus in den Zug nach Leipzig steigt, um dort einen Neuanfang zu wagen. Das Plakat einer Fachmesse bringt sie auf den Weg, der ihr von Kindesbeinen an irgendwie vorgezeichnet schien: Sie wird Fleischerin.

Provokativ und phantasievoll
Dann wird es blutig, wie man es vom schlachtenden Gewerbe erwartet. Weiße Arbeitskleidung wird rot, Schweine quieken verzweifelt, Köpfe rollen und das auf ungewöhnlichem Terrain: der Leipziger Messe. Stavarič erzeugt und zerstört die Klischees, die wir vom Beruf des Metzgers im Kopf haben. Dabei greift er weit in die Groteske aus. So wird die Präsentation einer schlachterfreundlichen Antirutschmatte, auf der das Blut nicht haften bleibt, zum öffentlichen Ereignis. Rotweintrinkende Tiere werden zum Garanten für einen einzigartigen Fleischgeschmack.

Sprachlich bewegt sich Stavarič zwischen provokanten Vulgärausdrücken und sehr genauen Beschreibungen der Gerüche, denen seine Protagonisten ausgesetzt sind. Dadurch kann man sich kaum erwehren, Parallelen zu Patricks Süskinds ausschweifenden Erläuterungen in seinem weltberühmten Roman „Das Parfüm“ zu ziehen. Es sind jedoch nicht allein die phantasievollen Ausführungen des Autors, die das „Königreich der Schatten“ lebendig machen. Die Illustrationen von Mari Otberg tun ihr Übriges, wenn sie beispielsweise eine Schlachtung auf oben genannter Antirutschmatte abbilden. Stavarič Einblicke in Rosis Welt der Fleischhauerei erweisen sich als ausschweifend, während er bei Danny größtenteils darauf verzichtet. Dieser ist inzwischen auch in der sächsischen Metropole angekommen und wird von apokalyptischen Träumen und Visionen geplagt. Vögel fallen vom Himmel, Tiere brechen aus dem Zoo aus und Serienmörder wüten. Den konkreten Bezug zur Romangegenwart herzustellen, fällt dem Leser allerdings etwas schwer.

Schon das Cover des Buches suggeriert eine blutige Geschichte. Und die bleibt Stavarič seinem Leser auch nicht schuldig. Dafür aber einen stringenten Roman. Denn auch gegen Schluss lassen sich nicht alle Puzzleteile, die Stavarič im Laufe der Handlung offengelegt hat, zusammenfügen. Auch wenn Rosi und Danny in Leipzig schlussendlich aufeinander treffen.

Michael Stavarič: Königreich der Schatten. München 2013, Verlag C.H. Beck, 256 Seiten, 19,95 Euro, ISBN 978-3–406–65389–6