Grüne Inseln im Häusermeer

Grüne Inseln im Häusermeer

„Urban Gardening“ liegt im Trend und macht auch vor der tschechischen Hauptstadt nicht halt

9. 4. 2014 - Text: Franziska BenkelText: Franziska Benkel; Foto: Prazelenina

In den Beton an der Krymská-Straße sind säuberlich vier Quadrate eingelassen, aus denen hohe Kastanien wachsen. „Die älteste ist 120 Jahre alt“, sagt Xena Ottomanská und zeigt in die Richtung des höchsten Baumes. Sie nickt anerkennend mit dem Kopf. Auf der grauen Fläche sind die Schatten der unruhigen Blätter zu erkennen. Ottomanská und ihr Mann sind nicht zum ersten Mal hier, sie wohnen im Haus gegenüber. Die Beiden haben Erde und Setzlinge mitgebracht, die sie vorsichtig in eine unbetonierte Stelle pflanzen. Miroslav Ottomanský klopft sich die breiten erdigen Hände an der Hose ab, er schiebt seine Brille zurecht. „Hier stehen genug Häuser, warum soll nun auch das letzte Fleckchen zugepflastert werden?“

Die Ottomanskýs kämpfen um eine letzte grüne Insel im Häusermeer, die nach den Plänen der Investoren Parkplätzen und Bürohäusern weichen soll. Der Kampf der Ottomanskýs schien schon verloren. In dieser Woche gab dann die Gemeindeverwaltung von Prag 10 bekannt, den Antrag der Familie noch einmal zu überprüfen. Grund seien vor allem die alten Bäume.

Was Familie Ottomanský betreibt, wird auf Neudeutsch „Guerilla Gardening“ genannt – eine politische Protestaktion, die sich für Naturschutz und die „Eroberung“ öffentlichen Raumes einsetzt. Bewaffnet mit Schaufeln und Eimern, säen die Aktivisten Gemüse und Pflanzen aus. Auf friedliche Weise fordern sie die Rettung oder Renaturalisierung von Grünflächen in ihren Städten.

Aus der Idee des „kriegerischen Bepflanzens“ entwickelte sich im Laufe der Zeit eine weitere Bewegung: Das „Urban Gardening“. Wie bei Kleidertauschbörsen oder Mitfahrgelegenheiten handelt es sich um eine Bewegung, die nachhaltige Lebensweisen propagiert. Es geht um den bewussten Umgang mit vorhandenen Ressourcen, die gemeinschaftlich genutzt werden können. Das beinhaltet auch, in lokalen oder zumindest regionalen Dimensionen zu denken.

Nachbarschaft vor Ökologie
Das „Urban Gardening“ ist eine globale Bewegung, die in Metropolen wie New York, Paris, Helsinki und Berlin ihren Ursprung fand. Organisiert von Anwohnern und professionellen Helfern, entstehen nun auch in Tschechiens Hauptstadt mehr und mehr kommunale Gärten. Unterschiedlichste Initiativen beginnen seit knapp drei Jahren, systematisch und untereinander vernetzt alternative Orte in der Stadt anzulegen.

Die erste geplante Grünfläche entstand in Holešovice: „Prazelenina“. Hier gibt es einen großen Gemüsegarten, einen Verkaufsstand und ein zugehöriges Café. „Bei uns geht es um mehr als um Gemüse anbauen, es geht vor allem um die Nachbarschaft und darum, einen Ort entstehen zu lassen, an dem sich alle regelmäßig treffen können“, erklärt Marcela Straková von „Prazelenina“. Und dieser Gedanke sei es, „der alle Projekte international miteinander vereint.“ Selbst wenn die Menschen heute informierter seien und mehr auf ihre Ernährung und Fitness achteten, ginge es vorrangig um die Nachbarschaft. „Das ökologische Denken kommt dann fast von selbst“, weiß die junge Aktivistin aus eigener Erfahrung.

Ein weiteres Projekt ist „Kokoza“. Die Gründerinnen der Non-Profit-Organisation betreiben einen öffentlichen Garten in der Südstadt und engagieren sich für eine strategische Kompostierung in Prag. Von der Stadt wird dieser Service bisher nicht angeboten. Bewohner können ihre Bioabfälle selbst bei „Kokoza“ vorbeibringen, oder ihn von Mitarbeitern auf Fahrrädern abholen lassen. „40 Prozent des Hausmülls sind organischer Art und wir möchten diesen umweltfreundlich entsorgen und sinnvoll verwerten“, so Lucie Lankašová, Gründerin von „Kokoza“. Momentan planen Lankašová und ihre Kollegin ein Pilotprojekt, das ganzen Unternehmen eine nachhaltige Entsorgung des Biomülls ermöglichen soll. Ob die Prager ökologischer denken als vor zehn Jahren, könne sie nicht genau beantworten, „allerdings liegt „Urban Gardening“ weltweit im Trend, und das ist oftmals eine gute Motivation zu handeln.“

Die Ottomanskýs sind fast fertig mit der Arbeit. Aus der frischen Erde ragen dünne Stöcke. Plötzlich kommen zwei Kinder quer über den Platz gerannt. Sie wohnen in einem der Häuser an der gefährdeten Parzelle und engagieren sich ebenfalls für den Schutz der alten Kastanien. Während der Junge mit einer Gießkanne das neue Beet bewässert, pinnt das Mädchen selbstgemalte Bilder an die Baumstämme. Auf den Bildern sind weinende Bäume zu sehen, mit der Aufschrift: „Sie wollen mich töten.“

Gemeinschaftsgärten in Prag

Na Balkáně 17a, Prag 3: Das Gartenprojekt „Krejcárek“ bietet Gemüse- und Kräuteranbau sowie Workshops.
Sousedský záhonek Archangelská Kodaňská, Prag 10: Gartenanlage zwischen Hochhäusern, auch Kompostierung möglich

Nad Kostelem, Prag 10: Das Gartenprojekt „ZEBRA“ bietet Gemüseanbau und ein Café.

Oblouková, Prag 10: Nachbarschaftsprojekt mit Gemüseanbau und Spiel und Spaß für Kinder

Komunardů, Prag 7: „Prazelenina“ bietet Gemüseanbau und -verkauf sowie ein Café.

Malenická 2, Prag 11: Gemeinschaftsgarten von „Kokoza“ mit Gemüseanbau und Kompostieranlage

Die genaue Lage der Prager Gärten, Hinterhöfe und grünen Hausdächer, die Gemüse und Blumen anbauen, sowie die öffentlichen Kompostierstellen finden sich auf der interaktiven Karte von „Kokoza“ unter www.kokoza.cz/pripojte-se.