„Gute Fragen bedeuten mehr als gute Thesen“

„Gute Fragen bedeuten mehr als gute Thesen“

Antikomplex-Mitbegründer Ondřej Matějka wechselt an das ÚSTR. Ein Gespräch über die Auseinandersetzung mit Geschichte

18. 6. 2014 - Text: Franziska Neudert, Foto: ÚSTR

1998 gründete eine Gruppe von Studenten die Bürgerinitiative Antikomplex. Ihr Ziel: eine kritische Aufarbeitung der tschechischen Geschichte, vor allem der Vertreibung der Sudetendeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg. Ondřej Matějka war von Anfang an mit dabei, nun verlässt der 35-Jährige die Organisation, um am Institut zur Erforschung totalitärer Regime (ÚSTR) den Posten des stellvertretenden Direktors zu übernehmen. Mit PZ-Redakteurin Franziska Neudert sprach Matějka über sein Engagement für Antikomplex, polarisierende Debatten und die Kommunikationsprobleme des ÚSTR.

Sie haben Antikomplex seit der Gründung vor 16 Jahren geleitet. Nun verlassen Sie die Bürgerinitiative. Zunächst stellt sich natürlich die Frage: Warum?

Ondřej Matějka: Seit ich 19 Jahre alt war, habe ich für Antikomplex gearbeitet. Das ist eine recht lange Zeit. Das Angebot des ÚSTR ist für mich eine Herausforderung – ich beginne etwas Neues, das zugleich einen engen inhaltlichen Bezug zu meiner bisherigen Tätigkeit hat. Und da es um Antikomplex inzwischen gut bestellt ist – es gibt tolle neue Projekte und einen sehr guten Nachfolger – habe ich mich entschieden zu gehen.

Inwiefern hat sich Antikomplex in diesen 16 Jahren verändert? Können Sie eine kurze Bilanz ziehen?

Matějka: Am Anfang waren wir eine Gruppe junger Studenten, die sich wöchentlich in einem Café getroffen und über alles mögliche diskutiert haben. Heute ist Antikomplex eine NGO, die bis zu sechs hauptamtliche Mitarbeiter beschäftigt. Inhaltlich haben wir uns natürlich auch entwickelt. Wir haben unsere Ausgangsideale zwar nicht aufgegeben, setzen sie aber mittlerweile ganz anders um. Anfänglich haben wir unsere Vorstellungen so direkt wie möglich vermittelt, damit aber meist nur aufgehetzte und polarisierende Debatten ausgelöst. Erst nach und nach haben wir gelernt, dass ein Dialog nur sinnvoll ist, wenn man einen Weg zum Anderen sucht, wenn man versucht, seine Gedankenwelt besser zu verstehen. Wir haben etwa begriffen, dass gute Fragen mehr bedeuten können als gute Thesen.

Welche waren Ihre persönlichen Glanzpunkte in dieser Zeit? Und welche die Hürden, die Sie überwinden
mussten?

Matějka: Einer der schönsten Glanzpunkte war sicher unsere Arbeit am Projekt „Das verschwundene Sudetenland“ im Jahr 2002. Unsere Idee damals war, alte Bilder aus dem Sudetenland mit Bildern derselben Orte von heute zu vergleichen. Doch wir hatten kaum Geld und nicht annähernd die Infrastruktur, über die wir heute verfügen. Auch die geplante Förderung ist damals geplatzt. Mit fast nichts haben wir die Ausstellung dennoch umgesetzt, seitdem ist sie Monat für Monat durch Tschechien, Deutschland, Österreich und auch durch Polen gewandert, im Herbst geht sie nach Italien. Von dem Buch zum Projekt wurden inzwischen an die 20.000 Exemplare verkauft. Es gab auch immer wieder wundbare Begegnungen, mit Menschen direkt im Sudetenland, die Ähnliches wie wir machen. Auch die Zusammenarbeit in unserem Team war immer sehr stark. Über Hürden können wir uns nicht beschweren. Die größten Hindernisse machen adminis­trative Aufgaben aus, die mit großen EU-Projekten verbunden sind.

Antikomplex beschäftigt sich intensiv mit der Vertreibung Sudetendeutscher nach dem Zweiten Weltkrieg. Das Thema gehört ja zu einem der meistdiskutierten gesellschaftlichen und historischen Probleme. Was muss Ihrer Meinung da heute – fast 70 Jahre später also – noch getan werden?

Matějka: Ich glaube, dass sich schon viel getan hat, die Weichen wurden gestellt. Ich halte es nun für wichtig, dass der Konsens über einen offenen, kritischen und kreativen Umgang mit dem deutschsprachigen Kulturerbe, der sich „unten“, in der Zivilgesellschaft und in der Wissenschaft gebildet hat, auch Eingang in die staatlichen und politischen Strukturen findet. Beispielsweise geht es darum, dass das Museum der Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien in Ústí nad Labem zu Ende geführt wird, da ist jetzt die tschechische Regierung dran. Außerdem sollte das lebendige Interesse am deutschsprachigen Kulturerbe und auch die Fähigkeit, sich mit den tschechischen Verbrechen im Rahmen der Zwangsaussiedlung zu beschäftigen, in neue Kontexte gebracht werden. Die Debatte über die deutsche Geschichte der böhmischen Länder darf nicht isoliert geführt werden, sondern sollte zu einer größeren Offenheit der tschechischen Gesellschaft an sich beitragen, zum Beispiel gegenüber Immigranten und Ausländern.

Welche Herausforderungen und Ziele sehen Sie nun am Institut zur Erforschung totalitärer Regime?

Matějka: Die große Aufgabe ist, die Lage am Institut zu beruhigen und damit einen Raum für positive Arbeit zu schaffen. Das heißt, die Kommunikation nach innen sowie außen deutlich zu verbessern, um eine vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen. Es klingt fast klischeehaft, aber die Belastung durch interne und öffentliche Konflikte ist enorm, selbst einfache Probleme lassen sich da nur mühsam lösen. Eine wichtige Herausforderung für mich ist es auch, den Respekt gegenüber dem ÚSTR in Fachkreisen zu stärken. Und – was mir genauso wichtig scheint – nach Wegen zur breiten Öffentlichkeit zu suchen und für diese eine sinnvolle Rolle zu spielen. Man darf nicht übersehen, dass trotz der medialen Aufmerksamkeit das Institut für große Teile der Öffentlichkeit völlig uninteressant bleibt. Man verbindet es vordergründig mit Streitigkeiten und die kümmern niemanden. Diese Kluft werden wir überbrücken müssen.

Das ÚSTR wurde zuletzt stark kritisiert. Vor allem Adrian von Arburg wirft der Institution vor, durch interne Unstimmigkeiten ineffizient zu arbeiten. Die Wahl zum neuen Direktor bezeichnete er als undemokratisch. Wie sehen Sie das ÚSTR?

Matějka: Bezüglich der Wahl des Direktors bin ich natürlich voreingenommen. Ich teile aber die Ansicht von Adrian von Arburg nicht. Die Wahlprozedur war wohl überlegt und so wie es auch im Ausland in ähnlichen Fällen üblich ist. Ich finde es auch irgendwie verständlich, dass es in der angespannten Lage, in der der Rat des Instituts von vielen Seiten schon während des Verfahrens kritisiert wurde, zu Kommunikationsproblemen kam. In meinen Augen steht das Institut vor der Aufgabe, sich vor der Öffentlichkeit behaupten zu müssen. Gerade in Tschechien brauchen wir einen sachkundigen und inspirativen Partner zum Dialog über die eigene jüngste Vergangenheit. Ich hoffe, dass das Institut demnächst zu einem solchen wird.

Auf Spurensuche mit dem Fahrrad
Von 18. bis 24. August lädt Antikomplex zu einer Spurensuche im tschechischen Grenzgebiet ein. Die Fahrradtour führt entlang den Reisen von Johann Wolfgang von Goethe von Weimar nach Karlsbad. Neben der Lektüre des Klassikers steht die Auseinandersetzung mit dem Nazi-Propagandafilm „Die Karlsbader Reise“ auf dem Programm.

Anmeldung bis 15. Juli unter info@antikomplex.cz