Harte Währung
Vor sechzig Jahren führte die Regierung Zápotocký die neue Krone ein. Es kam zu landesweiten Protesten
5. 6. 2013 - Text: Nancy WaldmannText: Nancy Waldmann; Foto: Falcon
Eva Hauerová erinnert sich, wie in ihrer Heimatstadt Pilsen wütende Menschen Büsten von Stalin und Gottwald aus den Fenstern des Rathauses warfen. Am ersten Junitag des Jahres 1953 hatte sie schon um 11 Uhr Schulschluss. Ihre Mutter nahm sie mit in die Stadt; sie hatte von einer Demonstration auf dem Platz der Republik gehört und wollte wissen, was los war. Der Preis, den sie dafür zahlten war hoch. Nur wenige Tage später wurde die Familie aus Pilsen vertrieben. Hauerová berichtet darüber auf der interaktiven Zeitzeugenplattform pametnaroda.cz. Damals war sie 13 Jahre alt und Pilsen war das Zentrum eines Aufstands, der auch viele andere Städte wie Bohumín, Ostrava und Strakonice erfasste.
In Pilsen trieb es vor allem Arbeiter der Škoda-Werke, die seinerzeit Lenin-Werke hießen, auf die Straßen. Es war der Tag der Währungsreform. In einem Verhältnis von 5:1 hatte man die alten Kronen umzutauschen, Beträge über 300 Kronen zu einem Kurs von 50:1. Auch Löhne und Renten wurden im Verhältnis 5:1 gesenkt. Viele Menschen kamen um ihre Ersparnisse. Hauerovás Großvater, selbständiger Schreinermeister und in den Augen der Regierung ein „Kapitalist mit schlechter Einstellung zum Regime“, verlor sein gesamtes Vermögen, das er auf der Bank liegen hatte. Denn die Geldentwertung betraf auch Bankeinlagen. Staatsanleihen und andere inländische Wertpapiere verwandelten sich über Nacht in wertlose Lappen.
Noch am 29. Mai 1953 hatte Staatspräsident Antonín Zápotocký erklärt, die Währung sei sicher, und die kursierenden Gerüchte über eine Geldreform dementiert. Nur einen Tag später verkündete Regierungschef Viliam Široký etwas ganz anderes: Die Banknoten und Münzen seien nur noch bis folgenden Montag gültig. Es war Samstagnachmittag, Banken und Geschäfte hatten bereits geschlossen. Hamsterkäufe, um das eigene Geld noch schnell gegen Lebensmittel oder Alkohol einzutauschen, waren also nicht mehr möglich. Im Gegensatz zu früheren Währungsreformen war die von 1953 nicht die Folge eines Umbruchs in der staatlichen Ordnung wie 1919 beim Zerfall von Österreich-Ungarn oder 1945, als die Krone des Protektorats durch die der Tschechoslowakei ersetzt wurde.
„Spekulative Elemente“
Die Volkswirtschaft litt unter massiven Problemen. Seit 1948 hatte die stalinistische Regierung unter Klement Gottwald eine radikale wirtschaftliche Umstrukturierung vorangetrieben, zu der sich die Tschechoslowakei gegenüber dem Stalinschen Regime in Moskau verpflichtet hatte. Die von der Konsumgüterindustrie geprägte Wirtschaft hatte Rohstoffe überwiegend importiert. Nun aber wurde der Handel mit dem Westen extrem eingeschränkt und gewaltige Staatsinvestitionen flossen in die Schwerindustrie, das Hüttenwesen und den Bergbau – auch an Orten, wo es nicht genügend Energie und Rohstoffe gab. Man rüstete sich für den Kalten Krieg.
Auf einmal war zu viel Geld im Umlauf, das nicht dem Warenwert entsprach; in den Geschäften blieben viele Regale leer. Dem versuchte die Regierung Zápotocký mit der nach sowjetischem Vorbild zentralistisch geplanten Währungsreform Herr zu werden. Unter strengster Geheimhaltung wurden in der Sowjetunion Münzen geprägt und Scheine gedruckt. Der Staat spülte durch die Reform etwa 3,5 Milliarden neue Kronen in seine Kassen, womit vor allem Lebensmittel verbilligt wurden. Die Krone war fest an den Rubel gebunden. Die Regierung präsentierte die Reform als Schlag gegen „spekulative Elemente“ und als „Sieg des werktätigen Volkes“. Als die Menschen dann am 1. Juni die tatsächlichen Auswirkungen zu spüren bekamen, brachen landesweit Streiks und spontane Proteste aus. Bis zu 120 soll es gegeben haben.
Anwesende Offiziere und Soldaten hätten in Pilsen zunächst nichts gegen die Demonstranten unternommen, berichtet ein anderer Zeitzeuge. Erst aus Prag gekommene Milizionäre hätten eingegriffen. „Sie kamen mit Bajonetten auf uns zu. Und als sie uns sahen, sagten sie meiner Mutter: Gehen sie nach Hause!“, berichtet Eva Hauerová. Aber die beiden blieben und wurden Zeugen brutaler Festnahmen von Demonstranten. Erst gegen 17 Uhr gingen sie nach Hause. Dort trafen sie den Vater, der ebenfalls am Platz der Republik gewesen war.
Dass die Familie demonstriert hatte, blieb nicht ohne Folgen. Die Mutter verlor ihre Arbeit in einem Feinkost-Laden, der Vater den Posten des Direktors einer Ziegelei, obwohl er bereits 1945 der Kommunistischen Partei KSČ beigetreten war. Am 9. Juni erhielten Hauerovás Eltern den Befehl, innerhalb von 24 Stunden ihr Haus zu räumen und die Stadt zu verlassen. Ebenso die Großeltern. Statt ins Grenzgebiet umgesiedelt zu werden, ließ man sie in ihrem Wochenendhaus „ohne Strom und Wasser“ hausen, sagt Hauerová. Erst drei Jahre später durften sie nach Pilsen zurückkehren. Hunderte Demonstranten, manche schätzen tausende, wurden zu harten Strafen verurteilt. Viele mussten ins Arbeitslager.
Bekenntnis zu Břeclav
Drastische Maßnahmen