Heikles Erbe
Jubiläum

Heikles Erbe

Das historische Zentrum steht seit 20 Jahren auf der Liste des UNESCO-Weltkulturerbes

21. 11. 2012 - Text: Franziska Neudert, Titelbild: Hendrik Kuterman

Die Stadt trägt viele Namen. Die Goldene, Stadt der hundert Türme, Perle an der Moldau. Als magisch und sagenumwoben gilt sie. Trieb vor Jahrhunderten der Golem sein Unwesen in den verwinkelten Gassen, sind es heute Millionen von Touristen, die sich jährlich durch die barocke Neruda-Straße hinauf zur Burg drängeln. Angezogen von einem Mythos, der irgendwo im Herbstnebel verschwindet. Vor 20 Jahren kam ein weiterer Titel hinzu: Im Dezember 1992 wurde der historische Stadtkern Prags in die Weltkulturerbe-Liste aufgenommen. „Als wahrhaftes Meisterwerk der menschlichen Schöpferkraft“, dessen Bild von zahlreichen Bauepochen von der Romanik bis zur Gegenwart geprägt wird, ernannte die UNESCO Prag zum „bedeutendsten Kulturzentrum Europas, dem allenfalls – gleichwohl nicht vergleichbar – Rom ebenbürtig ist“.

Mit einer Fläche von 866 Hektar ist das Zentrum der Metropole das größte zusammenhängende städtische Weltkulturerbe. Zum kostbaren Gebiet gehören Altstadt, Josefov, Neustadt, Kleinseite, Vyšehrad, Hradschin, Karlsbrücke sowie zahlreiche Kirchen, Klöster und Gartenanlagen zu beiden Seiten des Flusses. Um diese spannt sich eine sogenannte Schutzpufferzone von weiteren 9.016 Hektar. Ein Streifen, der selbst nicht zum Kulturerbe gehört, dessen Nutzung und Entwicklung jedoch durch bestimmte Regeln eingeschränkt wird, um zusätzlichen Schutz für das Gut zu gewährleisten.

Nun ist es nicht so, dass die Stadt einen Titel als Weltkulturerbe bräuchte, um Besucher in Heerscharen anzuziehen. Windschiefe Häuschen, unebenes Straßenpflaster, verwinkelte Gassen und eine ganze Armee an Türmen bescheren Prag von allein Reisende aus aller Welt und den Nimbus eines märchenhaften Ortes. Was also bringt dieser Titel, mit dem so gern geworben wird?

Teures Vermächtnis
Von seinem Status als Weltkulturerbe profitiert in erster Linie der Ruf der Stadt. Außer Ruhm und Ehre verursacht die Auszeichnung erhebliche Kosten. Alle zwei Jahre zahlt Tschechien einen Beitrag von knapp 11.400 US-Dollar in den „Fonds für das Erbe der Welt“ ein, der für den Schutz des Natur- und Kulturerbes eingerichtet wurde. Im Topf befinden sich 4 Milliarden US-Dollar, gespeist aus den Zahlungen der Unterzeichnerstaaten der Welterbekonvention. Für den Erhalt von insgesamt 962 Kultur- und Naturerbestätten in 157 Staaten der Welt ist dies ein eher geringes Budget.

Bedeutend höher fallen die Ausgaben für Denkmalschutz und -pflege aus. Denn ein Eintrag auf die begehrte Liste verpflichtet einen Staat, Erhalt und Schutz seiner Welterbestätte für zukünftige Generationen eigenständig sicherzustellen. Das kostet Prag allein in diesem Jahr über 53 Millionen Kronen, vom Kultusministerium wurde die Stadt im vergangenen Jahr lediglich mit 3 Millionen bezuschusst. Nicht inbegriffen in diese Rechnung ist der Sitz des Präsidenten. Allein die Instandhaltung des gesamten historischen Komplexes „Prager Burg“ verschlang in der letzten Dekade eine Summe von beinahe 3 Milliarden Kronen – Personalkosten nicht inbegriffen. Von der UNESCO erhält Prag – wie jede andere Weltkulturerbestätte auch – weder materielle noch finanzielle Unterstützung. Ausnahmen bilden Notfälle, in denen ein Staat den Erhalt seiner Kulturdenkmäler nicht gewährleisten kann.

Ein solcher Fall ereignete sich mit der sogenannten Jahrhundertflut im August 2002. Damals erhielt Tschechien aus dem oben genannten Fonds lediglich 40.000 US-Dollar für die Restaurierung des historischen Stadtzentrums Prag sowie von Český Krumlov. Angesichts eines Schadens in Milliardenhöhe ein Tropfen auf den heißen Stein. Neben der finanziellen Absicherung ist die Stadt außerdem verpflichtet, der UNESCO jährlich einen Managementplan vorzulegen, in dem sie geplante Projekte im Umfeld des Welterbes ausführlich ankündigt. Praktisch geht es vor allem um die Erhaltung der Dachlandschaft, des Stadtpanoramas und um wichtige Verkehrsfragen.

Touristen in der Altstadt | © Marek Rucinski, Unsplash

An einer monetären Förderung scheint es Prag also nicht gelegen, wenn es sich beharrlich um die Wahrung seines Titels als Kulturerbe bemüht. Mit Stolz begeht der Magistrat in diesem Jahr das 20-jährige Jubiläum der Eintragung auf die Weltkulturerbe-Liste. Dabei war das Verhältnis zum Titel vor vielen Jahren noch durchwachsen. Außer Frage, Prag mit seinen unzähligen denkmalgeschützten Bauten und dem historischen Stadtkern ist ein kostbares Juwel, das unter besondere Obhut gehört – die Bereitschaft zum Schutz war aber nicht unbegrenzt. Mehrfach schien die Stadt die offizielle Anerkennung ihres Kulturerbes aufs Spiel zu setzen. Ähnlich dem Fall der Dresdner Waldschlösschenbrücke drohte die UNESCO-Kommission mehrmals mit einer Aberkennung des Titels „Weltkulturerbe“.

Besonders der Fall Pankrác entwickelte sich zu einem Zankapfel. Seit 2006 wachten UNESCO und Bürgerinitiativen mit Argusaugen über den geplanten Bau zweier Hochhäuser in dem Prager Stadtteil. Die Neubauten würden – obwohl nicht in der eigentlichen Denkmalschutzzone, sondern im sie umgebenden Schutzpufferbereich gelegen – mit ihrer vorgesehenen Höhe von über 100 Metern das historische Stadtbild verunstalten. Die UNESCO kam der Stadt entgegen: Die Hochhäuser dürften errichtet werden, solange sie eine Höhe von 40 Metern nicht überschreiten. Die Stadt indes blieb hartnäckig. Angeblich erwog der damalige Premier Mirek Topolánek (ODS) sogar eine Streichung der historischen Prager Altstadt aus der Liste der UNESCO-Weltkulturerbestätten zu beantragen.

Inzwischen sind die Wogen geglättet. Wie aus dem Protokoll der 36. Sitzung des Welterbekomitees im Juli dieses Jahres hervorgeht, hatte Prag seine Pläne für die Bebauung des Stadtviertels widerrufen. Gegenstand der Kontroverse bleibt der Tunnel „Blanka“ und der mit ihm verbundene Umbau der Nord-Süd-Magistrale zum städtischen Boulevard. Die UNESCO verlangt einen Umbau der Straße: die Verengung der Fahrbahn auf zwei Spuren sowie dem Bau von Fuß- und Fahrradwegen.

Die Vorschriften der UNESCO erweisen sich als wunder Punkt, da sie oftmals mit Maßnahmen des Städtebaus kollidieren. Denn jedes Bauvorhaben im Kerngebiet oder in der Pufferzone muss schon im Planungsstadium vom Welterbezentrum abgesegnet werden. Das ist deshalb problematisch, weil eine Stadt als lebendiges Gebilde auf ihren Wachstum reagieren muss. Wie vereinbar ist es dann mit dem Welterbe, wenn in dessen Nähe ein Neubau entsteht? Pläne für Tiefgaragen, Einkaufszentren und Bürokomplexe veranlassen die UNESCO bisher allenfalls zum Prädikat „unbeständig“, was ihre Einschätzung der Prager Denkmalpolitik betrifft.

Großes Ideal
Worin nun also der Wert des Welterbetitels? Finanzieller Natur ist er nicht. Im Gegensatz zu kleineren, ländlichen Orten, die auf einen florierenden Tourismus angewiesen sind, scheint der Wille zum Titel auch nicht im Prestigegewinn zu liegen. Prag gehört ohnehin zu den meistbesuchten Metropolen der Welt. Die Beliebtheit scheint dagegen eher Anlass zu Bedenken zu sein – so stuft die UNESCO die Touristenströme als enorme Bedrohung für das Weltkulturerbe ein. Mit den Menschenmassen einher gehen Umweltverschmutzung, erhöhtes Verkehrsaufkommen, Vandalismus und verschlechterte Lebensbedingungen für die Einheimischen – Faktoren die die Authentizität der historischen Substanz beeinträchtigen. Die UNESCO befürchtet ein Ausbluten Prags, dessen historisches Zentrum in den vergangenen Jahren ohnehin einen Großteil seiner Einwohner verlor. Daher rät sie der Stadt, die Reisenden künftig auf anderen Wegen durch ihr Gebiet zu lenken.

Bei all dem Aufwand mag man das Prädikat „Welterbe“ als Garant für den Schutz eben jenes anzweifeln. Tatsächlich stellt der ursprüngliche Leitfaden der Welterbekonvention, „dass Teile des Kultur- oder Naturerbes wegen ihres außergewöhnlich universellen Wertes als Bestandteil des Welterbes der ganzen Menschheit erhalten werden müssen“ eher ein ideelles Konzept denn ein praktisches Hilfsmittel dar. Es geht vor allem um die Anerkennung des Weltkulturerbes als ein eigenständiges Gut, das völkerrechtliche Pflichten impliziert. So soll letztlich eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit und ein gesteigertes globales Bewusstsein gefördert werden. Eine Aufgabe, die nicht vor den Toren der eigenen Stadt Halt macht.

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