Herzkammer der „Dschässer“
Jazz-Hochburg Prag? Jazz-Hochburg Burgthann. Mit Jazzern aus Prag! Und aus der gesamten Tschechischen Republik
10. 3. 2019 - Text: Klaus Hanisch
Was er an tschechischen Jazzern so toll findet? „Die Menschen“, erklärt Helmuth Steinmetz, „sie sind recht offen, ganz bodenständig und normal, lassen nicht den Star raushängen – obwohl sie doch alle wahnsinnig gute Musiker sind“.
Steinmetz muss es wissen. Er kennt viele Jazzer von dort, zum Teil seit Jahrzehnten. Beispiel gefällig? Der Mittelfranke nennt František Uhlíř. „Er fährt wie alle mit der Metro durch Prag und wer ihn dort trifft, würde nicht glauben, dass er neben einem Bassisten von Weltrang sitzt.“
Uhlíř besuchte erst vor wenigen Tagen wieder Burgthann. Die Heimat von Helmuth Steinmetz und anderen eingefleischten „Dschässern“ – wie sie sich selbst nennen. Schon seit 40 Jahren frönen diese Jazz-Freunde ihrem Hobby. Und sie stecken damit andere an. So viele, dass sich ihre größte Veranstaltung, das Burgfest Ende Juni, auch dieses Jahr wieder über drei Tage erstrecken wird. Ein kleinerer Kreis kommt schon davor zu einem Musikabend am 16. März. Und stets bereichern „Hochkaräter“ aus der tschechischen Szene die Events.
Burgthann, Landkreis Nürnberger Land, hat nur rund 3.700 Bewohner in seinem Kernort. Sie leben rund um eine mittelalterliche Burg. Das Wahrzeichen von Burgthann – und Keimzelle des örtlichen Jazz- und Kulturvereins. Helmuth Steinmetz zog dort 1979 ein, die Burg befand sich damals noch in amerikanischem Privatbesitz. Er war einer von einer Handvoll Bewohnern, sie verteilten sich im sogenannten „Hexenhäusle“ und in Räumen über einer Kapelle. Und es gab eine Silber- und Goldschmiede. Abends saßen sie zusammen und erkannten rasch, welch herrliches Ambiente die Burg mit ihrem Hof und dem Keller für Musikfeste bietet.
So begannen die Burgthanner Freiluftveranstaltungen. Rasch organisiert, unkompliziert durchgeführt mit Bier und Bratwurst, zunächst nur an einem Tag und mit einem kleinen Erlös für die Künstler. In Summe also kleine Vergnügungen unter Musikliebhabern – alsbald auch mit tschechischen Künstlern.
Den Kontakt zu ihnen hatten die fränkischen Jazz-Freunde in Prag aufgebaut. Allen Zwängen wie Umtausch- und Visumpflicht zum Trotz, welche die sozialistische Tschechoslowakei ihren Besuchern aufbürdete. „Wir fuhren zu einem Jazz-Festival im Lucerna-Palast und sprachen die Musiker einfach an“, blickt Steinmetz zurück, „einige konnten ja ganz gut Deutsch“.
Mit deutschen Jazzern wollten die Franken dagegen nicht viel zu tun haben. „Das war in jenen Jahren eine elitäre Gruppe“, so Helmuth Steinmetz, „die waren hochnäsig und auch viel zu teuer, um sie zu engagieren.“ Ganz anders die Tschechen. „Sie fuhren mit ihren kleinen Škodas in den Burghof ein, machten den Kofferraum auf und tranken erst einmal ein Pilsner Urquell.“ Steinmetz schmunzelt. Schließlich gehöre das Bier zum Jazz, bei Tschechen sowieso.
Dabei hatten sie „schon große Namen und waren Stars in ihrer Heimat – so weit Stars dort in jener Zeit geduldet wurden.“ Die Musiker spielten in Big Bands, waren staatliche Angestellte und weltweit unterwegs. Einige, wie Emil Viklický und Josef Vejvoda, konnten in den USA studieren. „Und sie durften auf Tourneen gehen, weil sie Devisen mitbrachten“, erfuhr Steinmetz später. Unmöglich jedoch für ihn, die Musiker direkt zu verpflichten, stattdessen musste er bei der staatlichen Konzert-Agentur anfragen.
Als Erster kam der slowakische Trompeter Laco Déczi nach Burgthann, Anfang der 80er Jahre. Und mit ihm seine Band „Celula“. Déczi gilt als einer der einflussreichsten Musiker der tschechoslowakischen Jazzszene seit den 1950ern. „Er war damals schon der beste Jazz-Trompeter im Land, die gesamte Band spielte beim Rundfunkorchester.“
Seitdem ist die Verbindung nicht mehr abgerissen. Déczis 80. Geburtstag feierten die Franken voriges Jahr mit ihm in Prag. Zwar lebt der Musiker mittlerweile in New York, ist aber laut Steinmetz „in Tschechien wieder groß in Mode, auch bei jungen Leuten.“ Er musizierte auf dem Wenzelsplatz und tourt trotz seines Alters immer noch durch Tschechien und die deutschsprachigen Nachbarländer.
„Dann ruft er bei uns an, sagt Hallo Helmuth, ich bin unterwegs, wann können wir bei euch spielen?“ Ein Termin wird vereinbart, weitere Telefonate seien nicht mehr nötig. „Er ist einfach da, wir brauchen nichts vorzubereiten, rechtzeitig zum Termin steht er vor der Tür.“ Helmuth Steinmetz freut sich hörbar über so viel Stil und Verlässlichkeit.
Vor mehr als 50 Jahren gründete Laco Déczi in Prag seine Band „Celula“. Ihr Ruf verbreitete sich weit übers Land hinaus. Auch weil Déczi dafür hochklassige Talente entdeckte. Einer von ihnen war der Pianist Karel Růžička, später eine Legende unter Jazz-Fans. Mit ihm traten und blieben die Franken ebenfalls in Kontakt. „Er war einer der Ersten in unserer Burg“, trauert Helmuth Steinmetz noch heute um den alten Freund, „als Mensch weltoffen, freundlich, mit viel Spaß am Musizieren und Feiern, als Musiker viel unterwegs, viel selbst geschrieben, viele CDs veröffentlicht“.
Als Růžička im September 2016 starb, war es den Franken ein Herzensanliegen, für ihn ein Abschiedskonzert zu veranstalten – und wieder fuhren alle über die bayerisch-böhmische Grenze, um einen ganz Großen auch hier zu ehren. Die Gästeliste der Burgthanner las sich wie ein „Who is Who“ des tschechischen und europäischen Jazz. Nicht nur František Uhlíř war zur Stelle, der „wie kaum einer den Kontrabass beherrscht, oder wie er selbst sagt, seine erwachsene Geige“. Auch Štěpán Markovič kam, der 1995 die US-Musiker Ray Charles, Liza Minnelli und Shirley Bassey auf ihrer Europa-Tournee begleitete und ein Jahr zuvor im Prager Reduta-Club mit dem damaligen US-Präsidenten Bill Clinton auftrat. „Er ließ Clinton mitspielen …“, lächelt Steinmetz heute darüber. Dazu noch Emil Viklický, Pianist des Modern Jazz, von 1991 bis 1995 Präsident der tschechischen „Jazz Society“ und Komponist vieler Werke. Mit allen haben die Burgthanner innige Freundschaften entwickelt. Deshalb gelang „es für dieses Konzert, vier Spitzenmusiker und Weggefährten Karels zu gewinnen. Wir freuen uns sehr“, schrieben sie in ihrer Einladung.
Der Vierte war Josef Vejvoda, jüngster Sohn von Jaromír Vejvoda, dem Komponisten der weltberühmten Polka „Škoda lásky“ – auf Deutsch: Rosamunde. Josef Vejvoda wurde schon 1967, mit gerade mal 22 Jahren, beim Prager Internationalen Jazz-Festival (MJF Praha) ausgezeichnet und ist einer der führenden Jazz-Drummer der Tschechischen Republik. Zu ihm pflegt Steinmetz ein besonders herzliches Verhältnis. „In den Anfangsjahren hat Pepi uns im Haus seines Vaters in Zbraslav untergebracht, es stand schon leer und wir haben mit 15 Leuten auf dem Boden geschlafen.“
Mittlerweile fahren Steinmetz und Vejvoda gemeinsam Ski in Österreich, treffen sich regelmäßig in Prag, machen Ausflüge, gehen zu Konzerten in die Prager Jazzkeller. Oder trinken gemütlich ein Bier, am liebsten im „U Dvou koček“, dieser „Prager Urkneipe“, im „U Pinkasů“ oder im Kloster Břevnov mit eigener Brauerei.
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