Hinter Stacheldraht
In Abschiebelagern werden Flüchtlinge bei ihrer Durchreise durch Tschechien festgehalten. Nichtregierungsorganisationen kritisieren unwürdige Bedingungen
13. 8. 2015 - Text: Katharina WiegmannText: Katharina Wiegmann; Foto: Ende Juli nahm die Fremdenpolizei bei Tachov mehrere Dutzend Flüchtlinge fest./ČTK/Pavel Němeček
Die Katastrophen im Mittelmeer nehmen kein Ende. Mehr als 2.000 Menschen sind in diesem Jahr bei dem Versuch ertrunken, nach Europa zu gelangen, wie die Internationale Organisation für Migration Anfang August mitteilte. Auch aufgrund dieser erschütternden Meldungen entscheiden sich immer mehr Menschen, die aus ihrer Heimat vor Krieg, Verfolgung und Perspektivlosigkeit flüchten, für den Landweg über den Balkan. Ihr Ziel ist meist Deutschland oder ein skandinavischer Staat.
Tschechien nutzen viele Migranten auf ihrem Weg vor allem zur Durchreise – dennoch spitzt sich die Flüchtlingsdebatte auch hierzulande zu. So kam es im nordböhmischen Bělá pod Bezdězem (Weißwasser) in der letzten Juliwoche zu heftigen Unruhen. Mehr als 50 Personen versuchten erfolglos, aus einer Einrichtung zu fliehen, in der sie gegen ihren Willen festgehalten wurden. Die aus Afghanistan, Syrien und dem Irak stammenden Flüchtlinge waren auf ihrem Weg nach Deutschland. Dorthin wollen sie noch immer, „aufgrund der großzügigeren Sozialleistungen“, wie die tschechische Nachrichtenagentur ČTK meldete. Nachdem die Umzäunung des Abschiebezentrums den Fluchtversuchen standhielt, kam es zu Tumulten im Gebäude – Fenster und Möbel wurden dabei beschädigt. Die Polizisten gingen mit Tränengas gegen die Flüchtlinge vor.
Mit schärferen Polizeikontrollen reagierte Innenminister Milan Chovanec (ČSSD) bereits vor kurzem auf die Flüchtlingsproblematik. Mitte Juni gab er bekannt, die tschechischen Staatsgrenzen stärker überwachen zu lassen. Die Polizisten würden hierfür aus jenen Landkreisen abgezogen, in denen es kein Problem mit illegaler Migration gebe, so Chovanec. Seitdem habe die Polizei fast 1.000 Personen aufgegriffen, die sich unrechtmäßig hierzulande aufhielten, sagte der Innenminister. 467 von ihnen wurden vorläufig im Abschiebelager in Bělá pod Bezdězem untergebracht, eine ähnliche Einrichtung für 197 Personen befindet sich in Zastávka bei Brünn, und am vergangenen Freitag wurde im ostmährischen Vyšní Lhoty eine weitere Unterkunft mit 220 Betten eröffnet.
In allen drei Lagern herrschten gefängnisartige Bedingungen, kritisiert der Verband für Rechtsfragen der Immigration (Asociace pro právní otázky imigrace, ASIM). Die Internierten könnten sich nicht frei bewegen, hohe Zäune verhinderten ihre Weiterreise. Ganze Familien sitzen hinter Stacheldraht. Dabei wollen nur die wenigsten Flüchtlinge Asyl in Tschechien beantragen. Im Juni dieses Jahres verzeichneten hiesige Behörden lediglich 105 entsprechende Gesuche. Zum Vergleich: Im selben Monat haben mehr als 35.000 Menschen Asyl in Deutschland beantragt. In Ungarn, für Flüchtlinge oftmals das erste EU-Land auf der sogenannten „Westlichen Balkan-Route“, baten 16.580 Personen um Aufnahme. Auch dort wird, wie in Tschechien, ein hitzige Debatte über die Aufnahme der Asylsuchenden geführt. Im Juni richtete sich die ungarische Regierung mit Plakaten an die Migranten. Darauf heißt es: „Wenn du hierherkommst, darfst du den Ungarn nicht ihre Arbeit wegnehmen“.
Versäumnis der Legislative
Das Festhalten der Flüchtlinge in Abschiebelagern ist in Tschechien umstritten. So berichtete die Tageszeitung „Lidové Noviny“ über den Fall des Irakers Salah, der auf dem Weg in die EU erstmals in Ungarn registriert wurde, mit seinen zwei kleinen Töchtern aber zu Verwandten nach Deutschland weiterreisen wollte. In Tschechien wurde die Familie festgenommen und schließlich im Lager in Bělá pod Bezdězem interniert. Mithilfe der Organisation für Flüchtlingshilfe (Organizace pro pomoc uprchlíkům, OPU) klagte der Mann – und gewann. Entscheidend für das Gericht in Brünn war dabei ein Versäumnis der tschechischen Legislative. Laut der Dublin-Verordnung, der zufolge Migranten nur in demjenigen EU-Land einen Asylantrag stellen können, in dem sie das erste Mal registriert wurden, muss jeder Mitgliedsstaat „Fluchtrisiken“ präzise definieren. Erst dann darf er sie als Gründe für eine Inhaftierung bis hin zur Abschiebung anführen. Dies hat Tschechien bislang versäumt. Anwälte der ASIM beanstanden grundsätzlich die geschlossene Unterbringung von Flüchtlingen. Auch diejenigen unter ihnen, die in einem anderen Mitgliedsstaat der EU Asyl beantragen, sollten nach ihrer Festnahme in Tschechien nicht an einem Ort mit teilweise gefängnisartigen Zuständen untergebracht werden, sondern in Unterkünften mit lockereren Regeln.
Am vergangenen Sonntag demonstrierten ungefähr 20 Angehörige verschiedener Nichtregierungsorganisationen ihre Solidarität mit den Flüchtlingen in Bělá pod Bezdězem. „Am Skandalösesten ist es, dass hier auch Kinder festgehalten werden“, kritisierte Miroslav Brož vom Bürgerverein Konexe das Vorgehen der Behörden. Die Tschechische Republik würde damit gegen die UN-Kinderrechtskonvention verstoßen. In Deutschland könnten Personen in ähnlichen Unterkünften selbständig einkaufen und in Parks gehen sowie bei der derzeitigen Hitze auch Schwimmbäder besuchen. „Wir hätten gerne, dass das diesen Menschen hier auch ermöglicht wird“, so Brož.
„Wie 1938“
„Unterdurchschnittlich regiert“