Historisches Narrentreiben
Seit über 150 Jahren feiert das mittelböhmische Milevsko seinen traditionellen Karnevalsumzug
6. 2. 2013 - Text: Yvette PolášekText: Yvette Polášek; Foto: Stadt Milevsko
Von allen Seiten strömen bunte Gestalten auf den Platz. Aus einer kleinen Seitengasse tritt Bart Simpson auf die Hauptstraße, am Parkplatz des gegenüberliegenden Supermarkts steigt ein blauer Schlumpf aus seinem roten Auto. Zauberer und Clowns, Fischer und Bärenbändiger, ein groß gewachsener Wassermann und Biene Maja kommen hinzu – sie alle haben ein gemeinsames Ziel: das Kulturhaus in Milevsko. Bereits seit 1862 wird in der mittelböhmischen Gemeinde, auf halber Strecke zwischen Prag und Budweis gelegen, alljährlich die fünfte Jahreszeit eingeläutet, in diesem Jahr zum 151. Mal.
Zwischen Rausch und Untergang
Der Karneval blickt in Milevsko auf eine lange Tradition zurück, genießt er doch seit dem Mittelalter einen besonderen Status im kulturellen Leben der Stadtbewohner. Zentrale Figur war stets Bacchus, der griechische Gott des Weines und Rausches. Am Rosenmontag und dem folgenden Faschingsdienstag zog er mit anderen Karnevalsgesellen von Gasthaus zu Gasthaus, um zu singen und ausgelassen zu feiern.
Am Aschermittwoch wurde er dann in einem Schneegrab nahe dem einstigen Bächlein, dessen Lauf früher über den Stadtplatz führte, und später beim Teich Kuklík beerdigt.
Als im 19. Jahrhundert ein Bacchus-Darsteller an den Folgen einer Unterkühlung nach der vorgetäuschten Bestattung verstarb, wurde die Faschingsfigur für viele Jahre verboten. Heutzutage startet der Karnevalsumzug wieder mit einem Bacchus in seinen Reihen vor dem Kulturhaus in der Bahnhofsstraße (Nádražní), zieht dann über den Tyrš-Platz (Tyršovo náměstí), vorbei am Busbahnhof bis hin zum Hus-Platz (Husovo náměstí). Beendet wird die närrische Prozession wie damals mit dem symbolischen Akt der Beerdigung des Bacchus – zugleich das Ende der übermütigen Narrenzeit.
Von Raketen und Rekorden
Über die Entwicklung der Masken, den Verlauf des Umzugs und lustige Anekdoten, die sich über die Jahre hinweg ergaben, führt der Karnevalsverband der Stadt Milevsko seit 1862 genauestens Buch. Durften so in der Vergangenheit in den Faschingsumzügen typische Gestalten, wie zum Beispiel Ministranten, Priester, Bestatter, Bacchus’ Ehefrau mit Kind, Pferde und napoleonische Soldaten nicht fehlen, sind in der Gegenwart vor allem beliebte Märchen- und Filmfiguren hinzugekommen.
Ebenso detailliert lassen sich aber auch die jeweiligen Jahresthemen nachlesen, unter deren Ägide jeder Masken-umzug durchgeführt wurde. Die Bandbreite ist riesig: Ende des 19. Jahrhunderts waren zum Beispiel „Zigeunerhochzeit“, „Manöver“ oder „Verdrängen von Indianern aus Amerika“ die beherrschenden Themen, 1910 lautete das Faschingsmotto „Das erste Grammophon“, 1946 „Auf der Schwelle des Atomzeitalters“ und 1958 beging man den Faschingsausklang unter dem Leitspruch „Mit einer Rakete aus Milevsko auf den Mond“. Auf diese Weise war immer auch ein Stück Weltgeschichte im kleinen Städtchen gegenwärtig.
Wurde früher das Datum des Faschingsumzugs präzise festgelegt, hat man mittlerweile das närrische Treiben auf das Wochenende vor Aschermittwoch verlegt. Während einst nur Bürger aus Milevsko die Ehre hatten, in bunte Masken schlüpfen zu dürfen, freuen sich die Veranstalter heute über jeden neugierigen Besucher von nah und fern. Das Narrentreiben und die Länge des Festzuges werden von Jahr zu Jahr umfangreicher. 2011 gelang es mit über 600 Verkleideten sogar, ins Buch der Tschechischen Rekorde einzuziehen. Und selbstverständlich ist bei diesem Umzug auch der Bürgermeister dabei – letztes Jahr als Papst verkleidet, darf man gespannt sein, in wessen Haut er wohl in diesem Jahr schlüpfen wird. Dies wird bis zum kommenden Samstag nicht verraten, bekannt aber ist das Motto: „Die Masken von Milevsko tanzen mit dem Phantom“. Das sollte niemanden verschrecken. Erwartet werden weniger furchterregende Gespenster, sondern die hiesige Rockkapelle „Fantom“, die genau vor 40 Jahren zum ersten Mal in dieser Konstellation auftrat.
Und wer jenseits des Trubels auf dem Jahrmarkt noch ein wenig Zeit findet, bevor es am Abend zur ausgelassenen Tanzveranstaltung ins Kulturhaus geht, sollte vom Hus-Platz noch rund einen halben Kilometer weiter Richtung Norden spazieren, um dem Prämonstratenserkloster mit seiner dreischiffigen Basilika aus dem 12. Jahrhundert einen Besuch abzustatten – handelt es sich hierbei doch um das älteste Kloster Südböhmens.
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