Hosen hoch für Havel
Vor einem Jahr starb der Dichterpräsident. Sein Erbe bleibt umstritten
12. 12. 2012 - Text: Martin NejezchlebaText: Martin Nejezchleba; Foto: www.denvaclavhavla.cz
Dezember 2011: Schneegestöber auf dem Wenzelsplatz. Trauernde tragen immer neue Kerzen zur Statue des berittenen Schutzpatronen unterhalb des Nationalmuseums. Die Lichter brennen für den verstorbenen Dichterpräsidenten Havel.
Nun fliegen erneut Schneeflocken durch die Gassen Prags. Am kommenden Dienstag jährt sich zum ersten Mal der Tag, an dem Václav Havel starb. Havel, der Dramaturg. Havel, der Dissident. Havel, der Präsident. Havel, der Europäer. Der Mensch Havel.
„Er hinterlässt zweifellos eine Lücke im öffentlichen Leben Tschechiens“, bilanziert der Soziologe Ivan Gabal in der Woche vor dem Jahrestag. „Havel steht für eine bestimmte Weitsicht, einen moralischen Standard, für zweifellosen Respekt und Anerkennung im Ausland“, so Gabal, der selbst in den Jahren 1991 und 1992 Berater in der Präsidentenkanzlei war.
Ein Havel für jeden
Schon zu Lebzeiten war das Bild Havels im Ausland unumstritten das des unerschrockenen, moralisch integren Kämpfers für Freiheit. Die Tschechen hingegen tun sich auch nach einem Jahr schwer, der Hinterlassenschaft von Václav Havel einen Namen zu geben. Auch das Gedenken um den 18. Dezember fällt unterschiedlich aus – und trifft nicht selten auf Widerspruch.
Etwa die Aktion „Kurze Hosen für Havel“. „Ihr werdet nicht glauben, wie viele Hass-Mails wir bekommen“, schreibt der Online-Unternehmer Oldřich Neuberger in seinem Blog. Seine Idee ist einfach, rührend und passt zur Havelschen Selbstironie. Am kommenden Dienstag sollen möglichst viele Menschen in Gedenken an den Verstorbenen ihre Hosenbeine hochkrempeln. Als er seinen ersten Präsidenteneid leistete, trug Havel viel zu kurze Hosenbeine. Das Bild blieb vielen in Erinnerung, wurde schnell zum Running Gag und unfreiwilligen Markenzeichen des Präsidenten. Der reagierte mit Humor: „Ich muss sagen, dass ich meine Freude daran habe. Ich sage mir, dass das eine recht liebevolle Art ist, sich über meine Person lustig zu machen.“
Für Iva Ulmannová, eine der Organisatorinnen der Aktion, ist vor allem der individuelle Charakter des Gedenkens entscheidend: „Vorteil ist, dass jeder sich an ,seinen Havel‘ erinnern kann“, sagt die 27-jährige Rechtsanwältin. Sie hoffe, dass sich die Havel-Hosen-Träger auf der Straße erkennen, Zusammengehörigkeit fühlen und sich vielleicht sogar in ein Gespräch über Václav Havel verwickeln. Im Moment haben sich auf Facebook etwa 4.000 Leute zum Hosenhochkrempeln angemeldet, Ulmannová rechnet aber mit einer deutlich höheren Beteiligung.
Natürlich finden auch offizielle Gedenkveranstaltungen statt: In der Prager Teyn-Kirche wird ein Requiem für Václav Havel erklingen, das Tschechische Fernsehen zeigt zum ersten Mal den Dokumentarfilm „Poslední odcházení Václava Havla“ („Der letzte Abgang Václav Havels“), Theater im ganzen Land spielen Havels Stücke, am Europaparlament in Brüssel wird ein Neon-Herz für den Dramaturgen erstrahlen.
Erbe Europa
Um ihren Widerstand gegen eine Schulrätin aus den Reihen der Kommunistischen Partei Böhmens und Mährens (KSČM) zu unterstreichen, legten die Schüler in Südböhmen ihren erneuten Protest auf den kommenden Dienstag. Glaubt man dem Soziologen Gabal, dann symbolisiert Havel für die Tschechen heute jedoch eher den Weg aus der sowjetischen Einflusssphäre in die westlich-europäische als den Kampf gegen den Kommunismus . Die Widersprüche in der Auseinandersetzung mit Havels Erbe rühren laut Gabal unter anderem daher, dass die „europäische Debatte innerhalb der tschechischen Gesellschaft noch brandaktuell ist. Gerade weil Havels Autorität als Präsident irgendwie unantastbar war, wurde auch unser Standpunkt zum europäischen Integrationsprojekt nicht eingehend diskutiert.“ Die europäischen Nachbarn bittet Gabal um Geduld mit den hadernden Europäern in Prag. Es würde noch eine Zeit dauern, bis sich Tschechen das geopolitische Erbe Havels vollends zu eigen machten.
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