„Ich fühle mich diesem Land verbunden“
Schauspieler Friedrich von Thun über unheimliche Angebote, großartige Regisseure und seine böhmischen Wurzeln
31. 5. 2016 - Text: Klaus HanischInterview: Klaus Hanisch; Foto: ARD Degeto/Frank Dicks, APZ und ARD Degeto/Caro von Saurma
Ist ein Grandseigneur zu besetzen, dann kommt oft Friedrich von Thun ins Spiel. Eine Fixierung nur auf solche Rollen werde ihm jedoch keinesfalls gerecht, wehrt sich der 73-Jährige im Interview mit der „Prager Zeitung“. Tatsächlich wirkte von Thun in weit über 100 Kino- und Fernsehfilmen sowie TV-Serien mit. Geboren wurde er im Schloss Kwassitz (heute Kvasice), damals im Protektorat Böhmen und Mähren. Sein vollständiger Name lautet Friedrich Ernst Peter Paul Maria Thun-Hohenstein, adelshistorisch Graf von Thun und Hohenstein. Nach dem Zweiten Weltkrieg siedelte seine Familie zwangsweise von Mähren nach Österreich über.
Beim Namen Thun-Hohenstein denkt man unwillkürlich an tolle Paläste in Prag. In einem ist jetzt die italienische Botschaft untergebracht …
… und in dem anderen die britische.
Denken auch Sie manchmal an dieses Erbe?
Nein, denn es ist ja nicht direkt mein Erbe. Es ist aber Familiengeschichte und ich merke, dass die Familie ein paar Spuren in dieser wunderschönen Stadt hinterlassen hat. Und das freut mich. Ich sehe es mit Interesse und einem gewissen Stolz, aber es ist ja keine Leistung von mir.
Das österreichische Adelsgeschlecht von Thun und Hohenstein ist seit dem 12. Jahrhundert nachgewiesen, im 17. Jahrhundert wurde die böhmische Linie begründet. Wie sehr fühlen Sie sich heute noch in dieser Tradition und der Landschaft verwurzelt?
Ich wurde in Mähren geboren und die Familie hat gut 300 Jahre in Tetschen-Bodenbach gewohnt (heute Děčín-Podmokly; Anm. d. Red.). Der Bruder meines Großvaters war Statthalter von Böhmen. Der Prager Veitsdom ist auf Betreiben eines Vorfahren von mir im 19. Jahrhundert weitergebaut worden. Ich habe natürlich eine Nähe zu diesem Land und dieser Kultur.
Sie wurden 1942 im Schloss Kwassitz geboren und waren erst drei Jahre alt, als Ihre Familie vertrieben wurde. Haben Sie den Ort trotzdem einmal besucht?
Ich fahre demnächst wieder mit meinem Sohn dorthin, weil wir Historiker treffen und Verschiedenes ansehen wollen. Ich fühle mich dieser Gegend sehr verbunden. Im Schloss befindet sich jetzt ein Altersheim, zu dessen Eröffnung wir eingeladen waren. Damals bin ich mit meinen Geschwistern zum ersten Mal wieder bewusst durch das Schloss gegangen. Es hat mich sehr berührt, den Raum wiederzusehen, in dem ich geboren wurde. Und auch die anderen Zimmer. Das war ein sehr emotionaler Moment.
Haben Sie nach der Revolution 1989 angestrebt, die Enteignung rückgängig zu machen?
Nein, denn die rechtliche Situation war so, dass sich mein Vater gegen Ende der Monarchie 1918 dazu entschlossen hatte, die tschechische Nationalität anzunehmen. Er war an der Universität, hat Tschechisch studiert und war beim tschechischen Militär. Die Nazis haben ihn jedoch später bedrängt und auch bedroht. Einige Verwandte waren im KZ Dachau. Deshalb wurde mein Vater 1943 Deutscher. Und als Deutsche mussten wir nach dem Krieg unser Zuhause verlassen, die gesamte Familie war danach eineinhalb Jahre lang in einem tschechischen Internierungslager. Schließlich kamen wir 1948 nach Österreich.
Empfand die Familie Ihre Berufswahl als Schauspieler für einen Angehörigen eines solch traditionsreichen Hauses als unangemessen?
Nein, nein. Meinem Vater wäre es zwar lieber gewesen, wenn ich einen „konservativeren“ Beruf ergriffen hätte. Als er aber sah, dass ich das ganz gut mache und damit glücklich bin, war es für die Familie okay. Zudem begegnete sie der Musik und den Künsten ja immer aufgeschlossen. Sie hatte auch ein eigenes Theater. Chopin war zu Gast, auch Brahms war da.
Wie kamen Sie zur Schauspielerei?
Ich war schon an der Schule in einer Theatergruppe. Für mich war nach dem Abitur klar, dass ich Schauspieler werde. Auf Wunsch meines Vater habe ich begonnen, Germanistik und Theaterwissenschaft zu studieren. Aber ich habe bald gemerkt, dass ich kein Akademiker bin. Stattdessen habe ich sofort Theater und Kabarett gemacht. Mein Studium war ein relativ kurzes.
Sie spielten unter der Regie von Spielberg, Costa-Gavras und Fellini – drei sehr bedeutende Regisseure. Gibt es für Sie bei allen individuellen Unterschieden spezielle Merkmale, vielleicht sogar eine Erfolgsformel, was einen großen Regisseur ausmacht?
Darüber habe ich auch schon nachgedacht. Aber ich glaube, es gibt keine Definition für einen großen Regisseur und keinen Schlüssel, warum jemand besser ist als ein anderer. Die Arbeit vor der Kamera ist eigentlich immer gleich. Vielleicht wird man als Schauspieler anders animiert, wenn ein Spielberg hinter der Kamera steht. Aber wir haben auch großartige Regisseure in Deutschland. Letztlich zählt das Ergebnis, müssen das Buch und die Schauspieler stimmen, ebenso der Schnitt, die Musik. Dann schaffen auch weniger klingende Namen wunderbare Filme.
Wenn man an Sie denkt, hat man Rollen als Grandseigneur im Kopf. Stört Sie das?
Komischerweise hängen Schauspielern oft Etiketten an. Dagegen kann man anspielen so viel man will – es bleibt bestehen. Aber das ist eine Sache des Zuschauers und nicht des Schauspielers. Wenn Sie sich meine Filme ansehen, dann sehen Sie mich zum Beispiel auch als prügelnden Polizisten. Ich habe so viele fiese Typen oder wilde Burschen gespielt, zuletzt in „Letzte Ausfahrt Sauerland“ oder „Schwarzach 23“. Keine Spur von Gentleman. Aber Zuschauer stecken Schauspieler gerne in eine Schublade, weil man sie dort wieder finden möchte. Keine Ahnung, woher das kommt.
Zwischen 1998 und 2004 spielten Sie den Professor Capellari, der mit Charme, Finesse und Feingeist auf Täterjagd geht. In einer Szene dirigieren Sie bei einem Glas Rotwein eine Partitur im Wohnzimmer-Sessel.
Das hat mir damals große Freude gemacht und ich habe viel an den Drehbüchern mitgearbeitet. Ich habe auch darauf bestanden, dass wir eine Folge in Prag drehen. Sehr geheimnisvoll, in der Altstadt und im ehemaligen Ghetto, um das mystische Prag einzufangen.
Sie sagen von sich, eine Schwäche für guten Wein und gutes Essen zu haben. Die Idee zu dieser Serie stammte von Ihnen. Entsprach der Capellari also genau Ihrer Person?
Das ist schon so lange her. Ich müsste mir das noch einmal selbst ansehen und schauen, was davon geblieben ist. Von Filmen, die man mal gemacht und danach nie mehr angesehen hat, geht eine spezielle Faszination aus. Man sieht sich plötzlich wieder in einer ganz anderen Zeit. Die Rolle dieses Dilettanten, der gerne auch im Auto dirigiert und von seinem Vater gedrängt wird, endlich zu heiraten, hat mir damals gut gefallen. Aber ich weiß nicht, ob solch ein augenzwinkernder und beinahe englischer Stoff heute noch neben all den harten Szenen und sehr realistischen Krimis bei Zuschauern ankäme.
Den österreichischen Fernsehfilm „Eine blassblaue Frauenschrift“ von 1984 bezeichneten Sie als Wendepunkt in Ihrer Karriere. Warum war dieser Film so bedeutend für Sie?
Ich hatte bis dahin schon viele Filme gemacht, aber die Zusammenarbeit mit Axel Corti hat mir damals eine andere Einstellung zu diesem Beruf vermittelt. Er hat mit großer Ernsthaftigkeit in meinem Seelenleben gebohrt. Das war wahnsinnig intensiv und anstrengend, aber zugleich auch beglückend. Von diesem Zeitpunkt an habe ich mehr darauf geachtet, welche Filme ich mache und mit wem. Dieser Film hat mich als Schauspieler verändert, aber auch bestätigt. Er wurde von den Feuilletons stark beachtet und dadurch bedeutend. Bei der Wahl der wichtigsten Filme kam er lange unter die besten fünf. Wenn man in solch einem Film mitgewirkt hat, dann urteilt man anders über Bücher, über Tiefe und den Beruf an sich. Bis dahin habe ich auch Filme gemacht, die ich aus finanziellen Gründen machen musste, weil ich kleine Kinder hatte und Miete zahlen musste. Mit diesem Film bekam ich ein anderes Bewusstsein für diese Arbeit.
Er beruht auf einer Erzählung von Franz Werfel. Haben Sie einen Bezug zur tschechischen beziehungsweise Prager deutschen Literatur?
Bezug? (überlegt) Die Kaffeehaus-Literatur in Wien um die Jahrhundertwende, dieser Schmelztiegel und dieses hochintellektuelle literarische Umfeld aus der gesamten Monarchie – ja, das ist schon meine Welt! Sie ist mir näher als Thomas Mann, keine Frage. Wenn ich Joseph Roth lese, habe ich dazu deutlich mehr Bezug als zu den Buddenbrooks.
„Eine blassblaue Frauenschrift“ wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit der „Goldenen Nymphe“ auf dem Fernehfestival in Monte Carlo. Mancherorts wird geschrieben, dass der Film den Preis bekam, andernorts, dass er an Sie verliehen wurde.
Der Preis wurde als Kombination an den Film und mich vergeben. Ich weiß gar nicht, wo die Trophäe heute ist. Vermutlich steht sie bei der Witwe von Axel Corti.
„Aghet – Ein Völkermord“ erhielt als beste Dokumentation den Deutschen Fernsehpreis sowie eine Gold World Medal beim New York Film Festival 2011, Regisseur Eric Friedler zudem einen Grimme-Preis. Fühlt man sich als Schauspieler in solch einem Film ebenfalls als Preisträger oder geht es einen nichts an, weil man keinen persönlichen Preis erhalten hat?
Ich fühle mich nicht als Preisträger. Aber ich bin natürlich froh, wenn ein Film, in dem ich mitgemacht habe, eine Anerkennung erhält. Wir drehen keine Filme, um Preise zu bekommen. Wenn ein Film aber wegen seiner Qualität belohnt wird, dann ist das etwas Schönes. Und natürlich viel besser, als wenn ein Film sich versendet und niemand weiß, worum es darin geht. Anerkennung tut gut!
Ihr Sohn Max ist ebenfalls Schauspieler. Sind Sie sein Vorbild?
Das müssen Sie ihn fragen. Wir tauschen uns aus in unserem Beruf, haben ein wunderbares Verhältnis. Ich bin unglaublich stolz darauf, was er macht. Und er macht das wirklich sehr gut.
Ist es ein Problem oder ein Vorteil, wenn der Vater den gleichen Beruf hat?
Für meinen Sohn war es unangenehm. Er wollte nie, dass ich ihm helfe, bloß nicht – das war das Schlimmste. Am Anfang habe ich versucht, ihm ein paar Ratschläge zu geben, aber er wollte es allein machen. Er wollte immer er selber sein, einfach der Max sein, und selbst etwas schaffen. Und er wollte auch nicht immer auf mich angesprochen werden. Für mich war es amüsant zu sehen, wie er sich gewehrt hat – und zwar erfolgreich. Jetzt hat er sich etabliert und damit kein Problem mehr. Im Privaten hatten wir es sowieso nie.
Ihr Sohn hält Ihnen gerne vor, dass sie Anfang der siebziger Jahre in drei Teilen des „Schulmädchen-Reports“ einen Reporter spielten, der vermeintliche Passanten auf der Straße nach ihrem Sex-Leben befragte. Ist das ein schwarzer Fleck in Ihrer Karriere?
Das war eine Zeit, in der mir der Beruf ziemlich egal war. Es war ein Job! Zudem hatte man mir lediglich angeboten, einen Reporter in einem Film zu spielen. Erst am Set haben sie mir gesagt, welche Fragen ich stellen muss. Das war mir unheimlich, aber an einem Tag habe ich vier Monatsmieten verdient. Also machte ich den Schmarrn mit und dachte mir, es wird ihn sowieso keiner anschauen (die 13 Teile der Reihe wurden von angeblich 100 Millionen Zuschauern gesehen und in 38 Sprachen übersetzt; Anm. d. Red.). Die Rolle war dermaßen läppisch und bescheuert, aber solche Sachen passieren in einer Laufbahn. Man denkt immer, Schauspieler müssen auf Qualität achten. Aber auch sie kommen zuweilen in Situationen, wo sie einfach Geld brauchen. Und das war bei mir damals so.
Sie sind nicht nur Schauspieler, sondern auch Pate. Vor 20 Jahren übernahmen Sie erstmals eine Patenschaft für Kinder aus Kambodscha und Thailand. Warum gerade für Kinder aus Asien?
Ich habe eine ziemliche Affinität zu Asien und unterstütze verschiedene Dinge. Ich habe dort einige Dokumentarfilme gemacht. Das ist eine interessante Kultur und Landschaft, die mich immer fasziniert hat und irgendwie anzieht. Kambodscha war zufällig, ich war in Angkor Wat und es hat sich dann ergeben. Ich kenne die Dörfer dort und liebe die Menschen. Es gibt so viele bedürftige Kinder, mir lag Kambodscha einfach näher als etwa Hilfsprojekte am Amazonas. Ich glaube beinahe, dass ich in einem früheren Leben in dieser Gegend gelebt habe.
Schauspieler klagen oft, mit zunehmendem Alter weniger gefragt zu sein. Das trifft auf Sie anscheinend überhaupt nicht zu, denn Sie spielen gerade mehrere Rollen.
Sagen wir so: Ich habe das Glück, wählen zu können, welche Angebote ich annehme und welche nicht. Ich verspüre aber auch nicht mehr den Drang, so viel zu arbeiten. Ich mache zudem viele Lesungen, für die ich an Texten arbeiten und mich vorbereiten muss. Außerdem bin ich Großvater und habe fünf entzückende Enkel. Und ihnen widme ich einen Teil meiner Zeit mit großer Freude.
Ein Gentleman der Branche
Die Schauspielerinnen Senta Berger und Christiane Hörbiger nannten ihn „einen der wenigen Gentlemen in der Branche“. Denn auf Friedrich von Thun sei Verlass, urteilte die „Süddeutsche Zeitung“ in einer Laudatio. In seinen unzähligen Filmen lächele der Mann viel, ruhe in sich selbst und wolle vor allem das Leben genießen: „Seine blauen Augen leuchten, das gefällt den Frauen.“ Seine Vorfahren, die Grafen von Thun und Hohenstein, stammen ursprünglich aus Südtirol und standen den Habsburgern nahe. 1948 musste die in Mähren begüterte Familie nach Österreich umsiedeln. Knapp vier Jahrzehnte später gelang Friedrich von Thun der Durchbruch als Charakterdarsteller in Axel Cortis Verfilmung „Eine blassblaue Frauenschrift“ nach Franz Werfel. Daraufhin verpflichteten ihn Star-Regisseure wie Federico Fellini und Steven Spielberg für Rollen in „Ginger und Fred“ und „Schindlers Liste“. Zuvor war er bereits in etlichen Kino- und Fernsehfilmen zu sehen. Friedrich von Thun arbeitete auch mit bekannten deutschen Regisseuren wie Michael Verhoeven und Dominik Graf zusammen und machte sich zudem einen Namen als Dokumentarfilmer. Seit gut 30 Jahren gehört er zu den meistbeschäftigten Fernsehdarstellern in Deutschland. Besonders seine Serien mit Senta Berger wurden sehr populär, so „Die schnelle Gerdi“ und „Dr. Schwarz und Dr. Martin“. Unverwechselbar machte ihn für viele Zuschauer sein gesittetes und charmantes Auftreten sowie die integre und aristokratische Attitüde. Doch der fast 1,90 Meter große Schauspieler sparte in seinen Rollen auch nicht mit Gefühlsregungen, mal schelmisch, mal heftig polternd. Und er könne durchaus fiese Typen spielen, wie Friedrich von Thun im Interview mit der „Prager Zeitung“ betont. (khan)
„Markus von Liberec“
Geheimes oder Geheimnistuerei?