„Ich habe das Ganze ein bisschen ins Rollen gebracht“
Ex-Bundestrainer Jürgen Klinsmann über deutsche Titel und amerikanische Träume
3. 9. 2014 - Text: Klaus HanischInterview: Klaus Hanisch; Foto: Erik Drost
Jürgen Klinsmann (50) gehört einem exklusiven Klub an. Er wurde Weltmeister (1990) und Europameister (1996) – das gelang nur ganz wenigen deutschen Fußball-Nationalspielern. Beim Gastspiel seiner US-Mannschaft in Prag sprach PZ-Reporter Klaus Hanisch mit dem Schwaben und Wahl-Amerikaner, der zwischen 2004 und 2006 auch als deutscher Bundestrainer deutliche Spuren hinterließ.
Nach der verkorksten EM 2004 schrieben Sie in einem Zeitungskommentar, dass beim DFB kein Stein mehr auf dem anderen bleiben dürfe. Und nach Ihrer Amtsübernahme als Bundestrainer führten sie neue Trainingsmethoden ein und engagierten Fitnesstrainer, die noch in diesem Sommer tätig waren. Außerdem sagten Sie schon damals: „Wir wollen Weltmeister werden!“ Wie groß ist Ihr Anteil am WM-Titel in diesem Jahr?
Jürgen Klinsmann: Da habe ich gar nichts mit zu tun. Ich war froh, dass ich 2004 ein paar Dinge in die Wege leiten konnte, die langsam aufgebaut wurden. Dann hat Jogi Löw dies 2006 übernommen und im eigenen Sinne über Jahre hinweg fantastisch weiterentwickelt. Wir haben alle gehofft, dass es irgendwann mal zu diesem i-Tüpfelchen kommt. Und das ist jetzt endlich passiert. Ich war letztendlich mehr in der Fan-Rolle. Aber ich bin natürlich superstolz auf die Jungs und den gesamten Stab.
Genau diesen Stab haben freilich Sie installiert, mit Manager Bierhoff, Torwarttrainer Köpke – und vor allem mit Joachim Löw als Ihrem Assistenten und Nachfolger.
Klinsmann: Der Verdienst für diesen Erfolg gehört ganz allein Jogi und seiner Truppe. Ich war 2004 nur für zwei Jahre dabei und habe das Ganze ein bisschen ins Rollen gebracht.
Die Weltmeister Lahm, Schweinsteiger, Mertesacker, Klose, Podolski waren auch Ihre Spieler. Da gibt es doch sicher noch Kontakte?
Klinsmann: Ich freue mich, wenn hie und da ein kleiner Wink zurückkommt, Hallo gesagt wird oder Spieler mir mal eine SMS schicken und mit mir telefonieren und reden. Das ist doch klar.
Sie spielten in Ihrer langen Karriere nur einmal in Prag, bei einem Freundschaftsspiel im April 1992, das 1:1 endete. Haben Sie noch eine Erinnerung daran?
Klinsmann: Nein, daran erinnere ich mich nicht mehr. Das ist schon zu lange her.
Wichtiger waren Ihre Spiele gegen tschechische Mannschaften im Viertelfinale der WM 1990 und im Endspiel der EM 1996. Die tschechische Elf von heute ist weit von der Qualität dieser Teams entfernt.
Klinsmann: Es ist schwer, Mannschaften von früher mit heute zu vergleichen. Jede Zeit ist speziell. Doch in tschechischen Teams ist immer viel individuelle Qualität, wir haben auch diesmal Respekt vor ihnen. Sie sind gut organisiert, haben Disziplin und gehen stets ans Limit. Einige spielen in den besten Ligen der Welt. Wie zum Beispiel Rosický.
Aus Ihrem WM-Aufgebot bringen Sie nur zehn Spieler mit nach Prag. Dokumentiert dies einen völligen Neubeginn nach der WM?
Klinsmann: Wir starten jetzt einen neuen Prozess bis zur WM 2018 in Russland, unserem nächsten großen Ziel. Bis dahin wollen wir junge Talente integrieren und ihnen eine Chance geben. Dafür gibt es einen Vier-Jahres-Zyklus, in dem wir auch beim Gold Cup für nord- und mittelamerikanische Verbände und bei der Copa America in Südamerika antreten werden.
Sie haben nach den Deutschen 2006 nun auch den Amerikanern ein „Sommermärchen“ beschert. Während der WM gingen immer mehr US-Bürger zum Public Viewing. Ist Fußball endgültig auf dem Weg zum Volkssport in den USA?
Klinsmann: Seit 20 Jahren gibt es in den USA eine professionelle Liga, die immer besser wird. Und die Nationalelf ist die Lokomotive dafür. Die Spiele erreichen ein immer höheres Niveau, das merken auch die Zuschauer. Doch der Prozess ist noch lange nicht zu Ende. Die Benchmark dafür, wie gut wir wirklich sind, ist eine Weltmeisterschaft. Wir haben es bei der WM gut gemacht und in einer schwierigen Gruppe Portugal und Ghana hinter uns gelassen.
Lässt sich Ihre Aufbauarbeit in den USA mit der von 2004 in Deutschland vergleichen?
Klinsmann: Das ist völlig unterschiedlich. Die deutsche Elf hatte zwar 2004 ein schwaches Niveau, aber in Deutschland und Europa besteht prinzipiell eine breitere und bessere Basis für den Fußball. In den USA haben wir ganz andere Voraussetzungen, müssen aufbauen, verändern, Systeme verbinden. Es ist eine faszinierende Herausforderung, etwas für die nächste Generation zu entwickeln und ich bin froh, Teil dieses Prozesses zu sein. Aber man muss auch Ergebnisse liefern, wie überall im professionellen Sport. Amerikaner mögen es überhaupt nicht, Zweiter zu sein.
Nochmals zur WM. Als Sie 2006 den Job als Bundestrainer quittierten, schwammen Sie auf einer Welle der Sympathie und Anerkennung in Deutschland. Hand aufs Herz: Haben Sie nach dem WM-Triumph in diesem Sommer nicht doch bedauert, dass Sie so bald aufgehört haben?
Klinsmann: Nein, das habe ich nie bedauert. Für mich persönlich war es das Richtige, es so zu machen und wieder nach Amerika zurück zu gehen – und dann aus der Ferne die Weiterentwicklung in Deutschland zu beobachten. Ich lebe jetzt seit 16 Jahren dort, meine Frau ist Amerikanerin, meine Kinder haben beide Pässe.
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