Interview

„Ich hoffe, die Nato vergisst die unglücklichen Aussagen bald“

„Ich hoffe, die Nato vergisst die unglücklichen Aussagen bald“

Laut Sicherheitspolitikexperte Kořan lehnen Sobotka und Fico Nato-Truppen ab, um das eigene Militär zu stärken

11. 6. 2014 - Interview: Martin Nejezchleba

Michal Kořan leitet das Forschungsteam des Prager Instituts für Internationale Beziehungen. Seine Schwerpunkte sind die europäische Sicherheitspolitik sowie die Außenpolitik der Visegrád-Staaten. Im Interview mit PZ-Redakteur Martin Nejezchleba verweist er auf innenpolitische Motive, wenn es darum geht zu erklären, warum Tschechien und die Slowakei Nato-Truppen auf ihrem Staatsgebiet ablehnen. In Wirklichkeit bereiten die Regierungschefs das Feld für unpopuläre Schritte, sagt der Politologe.

Herr Kořan, auf die Pläne der Nato, in Ost- und Mitteleuropa Truppen zu stationieren, reagieren die einzelnen Staaten sehr unterschiedlich. Tschechien ebenso wie die Slowakei lehnen das für ihr Staatsgebiet ab. Im Gegensatz dazu setzt sich Polen stark für die Truppenpräsenz ein. Wie erklären Sie sich diese Unterschiede im Hinblick auf die Geschehnisse in der Ukraine?

Michal Kořan: Das erklärt sich mit der unterschiedlichen geopolitischen Stellung der Staaten der Visegrád-Gruppe, einer anderen Wahrnehmung potentieller Gefahren und nicht zuletzt mit den unterschiedlichen Verteidigungskapazitäten. Die Aussagen der vergangenen Wochen sollte man vor allem in Zusammenhang mit innenpolitischen Kämpfen betrachten. Es geht zu einem großen Teil darum, dass die jeweiligen Minister und Premierminister ihre eigene Stellung stärken wollen. Das mag legitim sein, als sehr unglücklich empfinde ich aber, dass die Standpunkte nicht zuerst mit den Partnern abgesprochen wurden – vor allem mit den USA und Polen.

Tschechiens Verteidigungsminister Martin Stropnický genauso wie unlängst der slowakische Premier Robert Fico argumentierten damit, dass die Menschen hier schlechte Erfahrungen mit der Präsenz fremder Truppen auf ihrem Staatsgebiet gemacht haben. Ist das der wahre Grund, oder steckt eine politische Motivation hinter ihren Worten?

Kořan: Das ist vor allem innenpolitisch motiviert. Man sollte aber nicht vergessen, dass in beiden Ländern politische Diskussionen darüber geführt werden, einen weiteren Rückgang der Militärausgaben zu stoppen. Man muss nach komplexen Lösungen für die unzureichenden Verteidigungskapazitäten suchen, vor allem auf innenpolitischer Ebene. Mit anderen Worten: Wir können die Verteidigungspolitik nicht einfach der Nato überlassen und die Diskussion über mehr Ausgaben für unsere Truppen aufschieben. Die tschechischen Sozialdemokraten aber wollen nicht alleine verantwortlich sein für den Anstieg der Militärausgaben, weil das bei den Wählern ein unpopulärer Schritt wäre. Mit den aktuellen Aussagen bereiten sie das Feld für die parteiübergreifende Durchsetzung dieser Ziele.

Die Nato-Strategie bezieht doch aber die Anhebung der Verteidigungsetats in den einzelnen Mitgliedstaaten mit ein. Es scheint, als würden Tschechien und die Slowakei die Geschehnisse in der Ukraine nicht als derart gefährlich wahrnehmen, wie das etwa Polen tut. Woher kommt das? Schließlich grenzt die Slowakei genauso wie Polen direkt an die Ukraine.

Kořan: Das Problem der unzureichenden Ausgaben für Streitkräfte steht nicht erst mit der Ukraine-Krise auf der Tagesordnung. Das ist eine langwierige Entwicklung. Allerdings hat die Ukraine die Verteidigungsetats stärker ins Bewusstsein der Nato-Staaten gerückt. In Tschechien hat die Ukraine-Krise die Diskussion um höhere Ausgaben für das Militär sicherlich stark beschleunigt – momentan ist aber eine direkte Erhöhung des Etats politisch nicht durchsetzbar. Das hängt zum Teil damit zusammen, dass wir die Ukraine-Krise nicht als unmittelbare Gefahr wahrnehmen, aber auch mit dem allgemeinen Unwillen, genügend Geld für die Verteidigung auszugeben. Die slowakische Gesellschaft ist traditionell wenig „russophob“, das steht auch hinter dem aktuellen Standpunkt der Regierung. Gleichzeitig ist die Wahrnehmung der Ukraine eine recht negative und die jetzige Situation wird oft so verstanden, dass die Ukrainer selbst Schuld an ihrem Problem tragen. Gleichzeitig lehnt die aktuelle Regierung – zumindest öffentlich – eine Erhöhung der Militärausgaben ab. Ich bin jedoch überzeugt davon, dass hinter verschlossenen Türen – in Tschechien genauso wie in der Slowakei – eine intensive Diskussion über eine Restrukturierung des Verteidigungshaushalts verläuft.

Fico und Stropnický vergleichen die Pläne der Nato indirekt mit dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts 1968. Wird sich das auf die Stellung der beiden Länder in der Allianz auswirken?

Kořan: Ich glaube fest daran, dass die sehr unglücklichen und falschen Aussagen auf Nato-Ebene schnell in Vergessenheit geraten. Aber das ändert nichts daran, dass sie völlig unangebracht sind.