„Ich kann nicht sagen, dass ich verziehen habe“

„Ich kann nicht sagen, dass ich verziehen habe“

Wie durch ein Wunder überlebte der Prager Jude Felix Kolmer Theresienstadt und Auschwitz. Zu den Deutschen hat er noch immer ein gespaltenes Verhältnis

21. 1. 2015 - Text: Corinna AntonText: ca/čtk; Foto: ČTK/Michal Kamaryt

Der 92-jährige Felix Kolmer überlebte als Jude drei Konzentrationslager. Aus Theresienstadt hätte er flüchten können. Aber er blieb, weil er der Einzige war, der den geheimen Weg aus der Festung kannte. Heute ist der gebürtige Prager ein international anerkannter Physiker, der sich auf Akustik spezialisiert hat. Außerdem hält er vor Jugendlichen Vorträge über seine Erlebnisse während des Zweiten Weltkriegs und ist Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees.

Felix Kolmer war 19 Jahre alt, als er 1941 in Theresienstadt ankam. Er war einer der ersten Häftlinge und musste helfen, die militärische Festung für die Zwecke der Nationalsozialisten umzubauen. „Wir haben geglaubt, dass wir zu irgendeiner Arbeit fahren und am Samstag wieder nach Hause können“, erinnert sich Kolmer an seinen ersten Transport. Was die Nationalsozialisten mit den Juden vorhatten, habe er nicht geahnt, nicht einmal, als sie mit den Transporten aus dem Ghetto Theresienstadt nach Auschwitz begannen.

Kolmers Mutter starb in Theresienstadt, er wurde Mitglied einer Untergrundbewegung. „Meine Aufgabe war es, einen Weg zu finden, auf dem wir fliehen könnten, für den Fall, dass die SS uns angreifen würde.“ Es gelang ihm, einen alten Gang zu entdecken, der aus der Festung führte. Zweimal nutzte er ihn selbst, um in der Elbe zu baden, aber jedesmal kehrte er zurück, weil er Träger des wertvollen Geheimnisses gewesen sei. „Meine Pflicht war es nur zu wissen, dass es eine Fluchtmöglichkeit gibt, und dieses Geheimnis bis zu dem Moment zu bewahren, wo es gebraucht werden würde.“ Durch diese Gänge sei jedoch niemand geflohen, sagt der Zeitzeuge.

Ein rettender Rat
Dass die Nationalsozialisten die Juden vernichten wollten, begriff er selbst erst, als er 1944 in Auschwitz ankam, gemeinsam mit etwa 1.500 anderen Menschen. „Am nächsten Tag waren von den 1.500 Gefangenen aus Theresienstadt nur noch 250 übrig. Die anderen sind gleich in die Gaskammern gegangen“, schildert Kolmer. Dass er selbst die „Selektion“ durch den mörderischen Nazi-Arzt Josef Mengele überlebte, hatte er einem Mitgefangenen zu verdanken. „Er riet mir, zu sagen, ich sei Metallarbeiter, da diese gerade gebraucht würden. Ich war eigentlich gelernter Tischler und hätte sicherlich auch gesagt, dass ich Tischler sei, aber das wäre nicht gut gewesen. Dieser mir unbekannte Häftling hat mir das Leben gerettet.“ Es war nicht das einzige Mal, dass Kolmer mit Glück dem Vernichtungsapparat entkam.

Zusammen mit anderen Häftlingen sollte er von Auschwitz aus zum Arbeitsdienst in eine Schwefelmine gebracht werden, von der es hieß, dass niemand sie lebend wieder verlassen würde. Unterwegs erblickte er in einem benachbarten Waggon einige Gefangene, die mit ihm in Theresienstadt gewesen waren, darunter den Dirigenten Karel Ančerl. „Ich habe es geschafft, in der Nacht aus meinem Waggon in ihren zu springen. Dadurch bin ich Auschwitz entkommen und in den Bereich des Konzentrationslagers Groß-Rosen gelangt.“ An die möglichen Gefahren habe er bei dieser Flucht aus Auschwitz gar nicht gedacht, erinnert sich Kolmer. „Ich wollte einfach mit irgendwelchen Bekannten zusammen sein.“

Er kam schließlich in ein Nebenlager von Groß-Rosen, das im schlesischen Friedland in Sichtweite der Grenze zur ehemaligen Tschechoslowakischen Republik lag. Im Mai 1945 durchbrach er zusammen mit etwa 200 Mitgefangenen den Lagerzaun und lief, bis er die Rote Armee erreichte. Der Grund, weshalb er die Lager überleben konnte, ist für Kolmer das Pfadfinder-Versprechen, Schwächeren zu helfen. „Das war ein Programm, daran habe ich mich gehalten und es hat mir geholfen, zu überleben.“

Fast 70 Jahre nach seiner Flucht hat er zu den Deutschen noch immer ein gespaltenes Verhältnis: „Ich kann nicht sagen, dass ich ihnen verziehen habe, weil Mord kann man nicht verzeihen. Aber ich weiß auch, dass heute schon die vierte Generation lebt. Diese Verbrechen und die politische Atmosphäre, die zu diesem schrecklichen Krieg geführt hat, wurden von einer anderen Generation hervorgebracht“, sagt Kolmer. Er habe daher kein Problem, sich mit jungen Deutschen zu treffen und mit ihnen zu diskutieren.