Im Angesicht der Vergänglichkeit
Die Premiere des „Schlauen Füchsleins“ im Nationaltheater setzt Janáčeks Altersweisheit gelungen in Szene
26. 3. 2014 - Text: Friedrich GoedekingText: Friedrich Goedeking; Foto: ND
Mit fast 70 Jahren hat Leoš Janáček seine Oper „Das schlaue Füchslein“ („Příhody lišky Bystroušky“) komponiert. Es ist die Geschichte der vom Förster geliebten Füchsin, in der er im Traum, seiner großen Liebe wiederzubegegnen glaubt. Als seine Gefangene muss die Füchsin auf seinem Hof vieles erdulden, bis ihr die Flucht gelingt und sie ihren Fuchs fürs Leben findet. Mit ihm setzt sie zahlreiche Welpen in die Welt, bis sie schließlich von einem Wilddieb tödlich getroffen wird.
Janáček ist im mährischen Hukvaldy in den waldreichen Beskiden geboren und aufgewachsen. „Ich verneige mich im Schlauen Füchslein vor dem Schatten der Wälder“, sagte Janáček über seine Oper. Jahrzehntelang ist das Werk als ein Wald- und Tiermärchen inszeniert worden. Mit dieser Tradition hat nun der 59-jährige Prager Regisseur Ondřej Havelka gebrochen und eine eindrucksvolle Neuinszenierung gewagt.
Zuschauer, die eine putzige Märchenoper mit niedlichen Tieren im grünen Wald erwartet hatten, wurden enttäuscht. Als sich der Vorhang zur Premiere am Donnerstag vergangener Woche öffnete, erblickte man einen „Totenwald“. Dabei ragten schlanke, lange und glatt geschälte Baumstämme ohne Zweige und ohne jedes grüne Blatt wie Telefonmasten in die Höhe. Von Wald und Wiese keine Spur. Die Bühnenfläche ist bei Havelka kein bequem begehbarer Waldboden, sondern besteht aus vier sich drehenden Scheiben, die hin und wieder aufklappen und den Blick in beklemmende Höhlen und Untiefen freigeben.
Kann sich das Leben von Mensch und Tier in dieser Tristesse noch entfalten? Bildet die verstorbene Natur etwa die gescheiterten Träume und Illusionen der drei Honoratioren Pfarrer, Lehrer und Förster ab, die vergeblich auf die Erfüllung ihrer leidenschaftlichen Liebe gehofft hatten? Ist das simple Fressen und Töten im Tierreich sowie die Verzweiflung der Menschen angesichts wachsender Einsamkeit so ausgeprägt, dass nur noch ein elendes Dahinsiechen in einer bereits zerstörten Natur übrigbleibt?
Ungehemmte Lebenslust
Die Prager Inszenierung hat die kitschig-romantische Aufführungspraxis entschieden hinter sich gelassen und stattdessen die Lebensphilosophie des alternden Komponisten in Szene gesetzt. Demnach sind Lebensfreude und Liebesglück nur möglich, wenn man sich der eigenen Endlichkeit bewusst ist und lernt, sich selbst zurückzunehmen. Das gelingt den Tieren offensichtlich besser: Sie entfalten auf der ausgedorrten Bühne ihre ungehemmte Lebenslust. Havelka stilisiert die Liebesszene der beiden flirtenden Füchse und ihre darauffolgende Hochzeit zu einem Triumph der Liebe inmitten von Vergänglichkeit. Die farbenfrohen Kostüme, die quirligen Balletteinlagen der Tiere – dies alles steht im wundersamen Kontrast zur morbiden Bühnenlandschaft.
Satire und Ironie erweisen sich als probates Mittel, der Vergänglichkeit Paroli zu bieten. Selbst das Abschlachten von Hennen weckte die Heiterkeit der Zuschauer. Als das vom Förster (Svatopluk Sem) gefangene Füchslein (hervorragend gespielt von Lenka Máčiková) die „dummen Hühner“ zu einem selbstbestimmten Leben ohne den kommandierenden Gockel auffordert, fühlen sich die Hennen von der feministischen Ansprache geschmeichelt. Sie verlieren ihre Angst vor der Füchsin. Doch das kostet sie ihre überdimensional gestalteten Köpfe und Kragen, die ihnen nun die flinke Füchsin mit einer so behänden Leichtigkeit abreißt, dass sie dafür den offenen Applaus von den Zuschauerrängen erntet.
Vom Werden und Vergehen
Selbst der Tod ist für die Tiere kein Anlass zu langer Trauer. Kinder und Enkel der gestorbenen Füchsin bevölkern bald den Wald und belehren den um sein Füchslein trauernden Förster. Das Leben geht weiter! Es vollzieht sich im ewigen Kreislauf von Werden und Vergehen – symbolisch in den sich drehenden großen Scheiben auf der Bühne zum Ausdruck gebracht. Das sonst mit Beifall eher sparsame Prager Publikum applaudierte minutenlang und feierte zu Recht das hervorragende Ensemble, den Chor und das Haus-Orchester mit Hochrufen.
Wer wird sich an diesem großartigen Opernabend noch daran erinnert haben, dass es Janáček zu Lebzeiten schwer hatte, vom tschechischen Publikum anerkannt zu werden. Erst als Autoren wie Max Brod mit ihren Übersetzungen sowie Dirigenten und Intendanten des Neuen Deutschen Theaters in Prag dafür sorgten, dass Janáčeks Werke jenseits der Heimat Triumphe feiern konnten, fand er auch bei seinen Landsleuten mehr Gehör. In diesem Jahr, in dem sich der Geburtstag des Komponisten zum 140. Mal jährt, wird Janáčeks Füchslein auf vielen europäischen Bühnen aufgeführt, unter anderem in Hamburg, Wien, Berlin und Zürich. In Prag haben Regisseur Havelka und Dramaturg Hučín mit der Inszenierung des „Schlauen Füchsleins“ das „Jahr der Tschechischen Musik“ auch auf der Opernbühne um eine gelungene Aufführung bereichert.
Kommende Aufführungen des „Schlauen Füchsleins“ im National-theater: 2., 10. und 29. April
Auf unbestimmte Zeit verschoben
Neue Formen des Unterrichts