Im Aufwind
Beim Indoor Skydiving muss man sich nicht waghalsig aus großer Höhe in die Tiefe stürzen, um den Traum vom Fliegen zu verwirklichen. In Prag fand Ende Oktober die erste Weltmeisterschaft in der Trendsportart statt
11. 11. 2015 - Text: Alena GoldText: Alena Gold; Foto: Hurricane Factory
Wie schwerelos bewegen sich die Athleten in der Luft und folgen, perfekt aufeinander abgestimmt, den einstudierten Bewegungsabläufen. Nach der Kür lassen sie es sich nicht nehmen, dem Publikum beim Hinausfliegen aus dem Windkanal noch das ein oder andere Kunststück vorzuführen. Ob kopfunter oder aufrecht, in vertikaler oder horizontaler Körperhaltung, hoch oder runter: Der Spaß, den sie beim Fliegen haben, steckt an und das Publikum klatscht begeistert.
Viele weitere beeindruckende Choreografien bekamen die Zuschauer der ersten FAI-Weltmeisterschaft (die Abkürzung leitet sich von der französischen Bezeichnung „Fédération Aéronautique Internationale“ ab) im Indoor Skydiving zu sehen. Ausgetragen wurde der internationale Wettbewerb am 23. und 24. Oktober in Tschechiens bisher einziger Windtunnelanlage, der „Hurricane Factory“ in Prag. Ort des Geschehens ist eine vertikale Spezialglasröhre, in der orkanartige Windgeschwindigkeiten von bis zu 286 Stundenkilometer erzeugt werden können. Zwei Tage lang flogen 202 Athleten aus 23 Ländern in vier Disziplinen um die begehrten Weltmeistertitel. Unter ihnen auch einige tschechische Teams wie das von Jan Turek.
Der 29-Jährige ist seit vier Jahren begeisterter Indoor Skydiver und hat sein Hobby zum Beruf gemacht. Er arbeitet in der „Hurricane Factory“ als Fluginstrukteur und steigt nach der Arbeit regelmäßig selbst in den Tunnel. „Normalerweise trainieren wir zweimal pro Woche, aber kurz vor einem Wettkampf fliegen wir jeden Tag“, beschreibt Jan die Vorbereitungen. Zusätzlich zu den Flugminuten studieren die Sportler in der nebenan gelegenen Sporthalle an Turngeräten ihre Bewegungen ein.
Im „Heimattunnel“ wollten es Jan und seine Mitstreiter unbedingt aufs Siegerpodest schaffen. Doch bei der ersten globalen Meisterschaft war die gesamte Weltelite vertreten und die Konkurrenz dementsprechend groß. Jans Team verpasste mit den Plätzen vier und fünf das Podest jeweils nur sehr knapp. Seiner Faszination für das Indoor Skydiving tut das keinen Abbruch. „Man lernt nie aus. Wir versuchen es einfach wieder“, so Jan. Die Stimmung war trotz den verpassten Medaillen für die Heimmannschaft die beste, die er bisher erlebt habe.
Zunehmende Popularität
Das stetig steigende Niveau bei internationalen Wettkämpfen wertet Jan als ein eindeutiges Indiz für die zunehmende Popularität des Sports. Diese Tendenz bestätigt auch Christian Böhlke von „Indoor Skydiving Bottrop“. In den letzten Jahren habe sich das „Tunnelfliegen“ von einer Randsportart, die nur von Profis betrieben wird, hin zu einer jungen, dynamischen Trendsportart entwickelt. Daher verwundert es auch nicht, dass gerade in größeren Städten, wie zur Zeit gerade in Berlin, neue Windtunnel gebaut werden. Noch müssen Interessierte aus Deutschland je nach Herkunft eine lange Anreise auf sich nehmen um die einzige Anlage in Bottrop zu erreichen. Auf tschechischer Seite bildet die „Hurricane Factory“ im Prager Stadtteil Letňany das landesweite Unikat.
Ursprünglich wurden die in der Fachsprache Vertikal-Windtunnel genannten Flugröhren in der Luftfahrtforschung erfunden und konstruiert. Ab den sechziger Jahren wurden sie auch von Fallschirmspringern und dem Militär zur Simulation von Manövern genutzt. Drei Jahrzehnte später entwickelte sich daraus ein neues Freizeitvergnügen für die Massen. Indoor Skydiving wurde nach und nach als eigenständige Sportart wahrgenommen. Bisher gab es auch einen Weltcup, aber noch keine offizielle Weltmeisterschaft. Aktuell fliegen Athleten in der klassischen Disziplin, bei der die Bewegungen in starrer Körperhaltung ausgeführt werden, und in der sogenannten dynamischen Disziplin, wo die Körperhaltung während der Choreografie verändert wird.
„Einmal das Gefühl eines Fallschirmsprungs erleben, ohne sich dabei aus dem Flugzeug stürzen zu müssen“, treibe die Flugfans in die Windtunnelanlagen, erklärt Böhlke die Motivation der Mehrheit seiner Kunden. Unter Anleitung ausgebildeter Fluginstrukteure und ausgestattet mit Fluganzug, Schutzbrille und Helm trauen sich immer mehr Menschen in die aufströmenden Luftmassen. „Denn das Erlebnis verspricht neben viel Spaß auch einen echten Adrenalin-Kick“, ergänzt er.
Jeder könne Indoor Skydiving ausprobieren, aber „wenn man ein gutes Körpergefühl hat und ein bisschen sportlich ist, dann schadet das nicht“, meint Jan. Sowohl die „Hurricane Factory“ als auch „Indoor Skydiving Bottrop“ bieten Einsteigerpakete an. Das in Prag umfasst für einen Preis von 1.500 Kronen (rund 55 Euro) die notwendige Ausrüstung, eine ausführliche Einweisung von erfahrenen Fluginstrukteuren und zwei Flüge im Windtunnel mit einer Dauer von je 90 Sekunden.
„Skydiving weist eindeutig ein hohes Suchtpotenzial auf“, so Böhlke. Der Profi hofft deshalb weiter auf zunehmende Popularität und begeisterten Nachwuchs, damit Jan Turek in Zukunft auch vermehrt gegen deutsche Konkurrenz in der Weltelite antreten muss.
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