Im Auge des Betrachters

Im Auge des Betrachters

Prag will bis 2019 große Summen in Kamerasysteme investieren. Wem nützt das?

18. 5. 2016 - Text: Katharina WiegmannText: Katharina Wiegmann; Foto: APZ

Als Ende April mehrere Prager Geschäfte und Cafés mit Hakenkreuzen und rechtsradikalen Parolen beschmiert wurden, sorgte das für viel Wirbel in der Stadt. Der Kommentar eines Twitter-Nutzers: Es sei sicher kein Pro­blem, die Täter schnell ausfindig zu machen, schließlich sei Prag ja bestens mit Überwachungskameras ausgestattet. Tatsächlich tauchten schon wenige Tage später Aufnahmen auf, die fünf junge Männer mit Kapuzen­pullis dabei zeigen, wie sie vor dem Café V lese mit Sprüh­dosen hantierten. Der Aufklärung des Falls hat es bislang offenbar nicht geholfen – jedenfalls hat sich die Polizei seitdem nicht mehr über Fortschritte bei den Ermittlungen geäußert.

Mit 2.000 Kameras beobachten Stadt, Verkehrsbetriebe und Straßenverwaltung derzeit öffentliche Plätze, Gebäude und Straßen. Bis 2019 soll das System umfangreich modernisiert und ausgebaut werden. Etwa 87 Millionen Kronen (gut drei Millionen Euro) will Prag dafür aufwenden. „Kameras bringen mehr Sicherheit, nicht nur bei der Prävention von Verbrechen, sondern zum Beispiel auch beim Schutz von Denkmälern“, sagte der Sprecher des Prager Magistrats Vít Hofmann Anfang März gegenüber dem Internetportal „ECHO24.cz“. Auf den Internetseiten der Stadt könnten zudem Autofahrer und Rettungs­sanitäter die Daten von Verkehrskameras abrufen und so Staus vermeiden.

Machen mehr Kameras die Stadt wirklich sicherer? Jan Vobořil ist skeptisch. Er ist Direktor der Organisation Iuridicum Remedium (IuRe), die Politik und Unternehmen auf die Finger schaut, sobald diese Daten­schutz und Privatsphäre von Bürgern zu verletzen drohen. „Es wird ohnehin nie gelingen, die komplette Stadt zu überwachen. Wenn eine Stelle besonders unsicher ist, verbessert sich dort vielleicht die Situation. Dafür wird ein anderer Ort unsicherer. Die Kriminalität verlagert sich nur.“

Vobořil ist nicht grundsätzlich gegen Kameras. Ihm ist wichtig, dass deren Einsatz transparent ist. Deshalb hat IuRe bereits vor vier Jahren einen digitalen Stadtplan entworfen, auf dem im öffentlichen Raum installierte Überwachungssysteme verzeichnet sind. Die Karte funktioniert interaktiv – jeder kann etwas hinzufügen. Dass davon auch Einbrecher oder andere Kriminelle bei der Planung von Straftaten profitieren könnten, glaubt Vobořil nicht. „Im Gegenteil. Wenn jemand Opfer einer Straftat wird, ist es für diese Person wichtig zu wissen, ob und wo sich eine Kamera am Tatort befindet. Für die Aufklärung von Verbrechen ist das hilfreich.“

Vobořil meint auch, dass Video­überwachung nur dann zur Sicherheit beitragen könne, wenn die Daten objektiv ausgewertet würden. Das sei derzeit nicht der Fall. „Kameras werden installiert, hängen dort über Jahre und niemand untersucht, was sich tatsächlich verändert.“ Eine Studie, die sich der erste Bezirk im Jahr 2013 rund 200.000 Kronen kosten ließ, beschränkte sich auf die Aufzählung von Ordnungswidrigkeiten im Stadt­zentrum und verzichtete auf eine ausführliche Sicherheitsanalyse (die Prager Zeitung berichtete). Problematisch war auch, dass die Studie von einer Firma angefertigt wurde, die selbst Überwachungstechnik installiert. „Es war klar, wie das Ergebnis ausfallen würde“, so der Jurist Vobořil. „Natürlich hieß es, dass Prag 1 mehr Kameras braucht.“ Mehr als 200 sind heute dort installiert – die Anlagen von Geschäften und Privatpersonen nicht eingeschlossen.

Tatsächlich gelang der Prager Polizei dank der Kameras beispielsweise im März ein Teilerfolg bei der Aufklärung eines Falls, der in der Öffentlichkeit für große Empörung gesorgt hatte. Unbekannte hatten auf der Karlsbrücke Graffiti-Schriftzüge hinterlassen. Dank der Überwachung konnten sie – mit gestochen scharfen Bildern – als zwei französische Touristen identifiziert werden. Festnehmen konnte die Polizei sie zwar nicht, sie gab aber an, bei den französischen Kollegen um Amtshilfe gebeten zu haben. Das Verfahren läuft.

Wenn es denn nützt und nicht mal der Direktor einer Organisation wie IuRe sich komplett gegen Kamerasysteme ausspricht – warum empfinden viele dennoch Unbehagen, wenn es um die Überwachung von Arbeitsplätzen und öffentlichen Räumen geht? Die Kontrolle könne als Ausdruck mangelnden Vertrauens empfunden werden, meint Vobořil. „Das äußert sich nicht nur durch Kameras, sondern auch in der Über­wachung unserer elektronischen Kommunikation – von Telefon­gesprächen, SMS, E-Mails. Die Daten werden in Tschechien sechs Monate lang gespeichert. Das ist ein klares Zeichen von Misstrauen. Jeder ist verdächtig.“

Vobořil sorgt sich vor allem um den qualitativen Sprung, den die Prager Überwachung durch die geplante Modernisierung machen wird. „Neue Technologien ermöglichen Gesichtserkennung oder das Entdecken verdächtigen Verhaltens.“ Aber was genau ist das? „Da liegt das Problem. Was verdächtig ist, wird von jemandem bestimmt, der den Algo­rithmus der Kamera festlegt – und wer etwas macht, das in diese Kategorie fällt, hat ein Problem. Vielleicht landet er nicht im Gefängnis. Aber er wird von der Polizei kontrolliert. Und als Ergebnis wird er sein Verhalten früher oder später ändern.“