Im Geist des Evangeliums
Der Theologe Eugen Drewermann reklamiert Jan Hus für seine Kritik an der Kirche. Dabei verfehlt er die Lehren des Reformators
16. 7. 2015 - Text: Friedrich GoedekingText: Friedrich Goedeking; Foto: Česká televize
In mehr als 50 Büchern hat der katholische Theologe und Psychotherapeut Eugen Drewermann immer wieder die Reformfähigkeit der katholischen Kirche in Frage gestellt. Auf seine Versuche, biblische Mythologien wie zum Beispiel die Jungfrauengeburt und die Himmelfahrt symbolisch zu verstehen, reagierte seine Kirche mit dem Entzug der Lehrerlaubnis und dem Predigtverbot. 2005 trat der heute 75-Jährige aus der katholischen Kirche aus. Anlässlich des 600. Todestages des böhmischen Reformators erschien von Drewermann unter Mitarbeit des Journalisten Jürgen Hoeren das Buch „Jan Hus – Im Feuer Gottes“. In Interview-Form verfasst, bezieht er sich darin in seiner Fundamentalkritik an der Kirche auf Hus.
Für Drewermann hatte Hus vor über 600 Jahren unter Berufung auf das Evangelium die Amtskirche scharf kritisiert. Er beanstandete vor allem ihre hierarchischen Strukturen mit dem Papst als Oberhaupt, den Bischöfen als den Aufsehern über die rechte Lehre und den Klerikern, deren Lebenswandel im Widerspruch zum Leben des armen Jesus steht. Hus habe die Kirche als Institution abgelehnt und stattdessen das Christentum als Erlösungsreligion gesehen, das es sich zur Aufgabe gemacht habe, den Einzelnen von seinen Ängsten, seiner Verzweiflung und Einsamkeit zu befreien.
Die Folgerungen, die Drewermann aus Hus’ Kirchenkritik zieht, entsprechen allerdings kaum den Positionen, die der Reformator selbst vertreten hat. Sie bilden vielmehr den Kern von Drewermanns eigener Kirchenkritik. Hus stärkte zwar die Position des einzelnen Laien immens, dabei ging es ihm jedoch nicht um die religiöse Innerlichkeit des Individuums. Hus wollte die einzelnen Gläubigen durch die Bibel und die Predigt dazu ermutigen, gegen jene kirchliche Autoritäten zu protestieren, die die Botschaft Christi verfälschten. Nicht die Erlösung des Einzelnen, sondern eine radikale Reform der Kirche war sein Hauptanliegen. Davon zeugen seine 2.000 Predigten in der Bethlehemskapelle, deshalb schrieb er seine Schrift „Über die Kirche“ und deshalb wollte er seinen Gegnern auf dem Konzil in Konstanz Rede und Antwort stehen.
Über Jan Hus erfährt der Leser von Drewermann wenig. Erstaunlicherweise lässt der Autor Hus selbst in Zitaten gar nicht erst zu Wort kommen. Stattdessen konfrontiert er den Leser mit langatmigen Ausführungen über die Entstehung der kirchlichen Dogmen, die seine These belegen sollen, dass die Kirche seit dem zweiten Jahrhundert die Botschaft Jesus verraten und sich zu einer kollektiven Zwangsneurose entwickelt hat.
Moralische Askese
Unzutreffend ist Drewermanns Behauptung, Hus habe vor allem von den Katharern und Waldensern wesentliche Impulse erhalten. Der Leser erfährt nicht, dass Hus vor allem von der vorhussitischen böhmischen Reformation beeinflusst wurde. Bei der Darstellung der hussitischen Bewegung nach dem Tod des Reformators knüpft Drewermann an jene hasserfüllten antitschechischen Vorurteile an, die vor über hundert Jahren von deutscher Seite geäußert wurden. Jan Žižka, der Böhmen erfolgreich gegen die Kreuzzüge des Kaisers Sigismund verteidigte, nennt er einen „Schlagetot“. Die Taboriten bezeichnet Drewermann als „eine reguläre Terrorbande in christlichem Fundamentalismus – eine Art christlicher IS.“ Geradezu unfassbar erscheint Drewermanns Behauptung, es gäbe nur noch in Pennsylvania eine Brüdergemeinde. Er weiß nichts von der Gründung der ersten protestantischen Kirche, der im Jahre 1457 gegründeten Brüder-Unität. Bis heute lebt diese in Tschechien als Kirche der Böhmischen Brüder im Geist von Jan Hus fort. Einige ihrer Anhänger emigrierten nach Deutschland und gründeten 1722 die Herrnhuter Brüdergemeine, die weltweit in ihrer Missionsarbeit unterprivilegierte Volksgruppen unterstützte.
Kritisch vermerkt Drewermann, dass Hus vor allem moralische Askese gepredigt habe und mutmaßt, dass die Predigthörer oft ‚„mit gesenktem Haupt und Schuldgefühlen nach Hause“ gegangen wären. Er verschweigt dabei, welche Begeisterung Hus als Reformprediger in allen Schichten der Gesellschaft ausgelöst hatte. Bis zu 3.000 Zuhörer kamen zu ihm in die Prager Bethlehemskapelle. Zu ihnen suchte er den Dialog, ging auf Fragen und Zurufe geduldig ein. Die Gottesdienste bereicherte er mit dem Gemeindegesang, damals ein völliges Novum. Drewermann berichtet auch nicht, wie Hus nach seinem Tod vom Volk wie ein Heiliger verehrt und seine Reformen, wie zum Beispiel die Einführung des Laienkelches, von seinen Anhängern weitergeführt wurden.
Die Ergebnisse, der neueren Hus-Forschung, wie sie beispielsweise von František Šmahel in Tschechien und Ferdinand Seibt in Deutschland seit den achtziger Jahren publiziert worden sind, hat Drewermann nicht beachtet. Lobenswert ist jedoch Drewermanns Vorschlag, der Papst solle im Husjahr Prag und Konstanz besuchen, um den böhmischen Reformator als den bedeutendsten Nachfolger des heiligen Franziskus zu feiern und zu rehabilitieren.
Eugen Drewermann im Gespräch mit Jürgen Hoeren: Jan Hus im Feuer Gottes. Impulse eines unbeugsamen Reformators. Patmos-Verlag, Ostfildern 2015, 251 Seiten, 25 Euro, ISBN 978-3-8436-0649-3
„Markus von Liberec“
Geheimes oder Geheimnistuerei?