Im innersten Kreis
Foto-Ausstellung der Stadtbibliothek gewährt Einblick in Innenwelten
29. 5. 2013 - Text: Peggy LohseText: Peggy Lohse; Foto: GHMP
Was ist das Innerste, das Persönlichste, das uns beschäftigt, das wir zu zeigen und anzuschauen bereit sind? In einer Zeit, in der quer durch die Medienlandschaft Transparenz zum Muss geworden ist und jeder sich stets und überall öffentlichkeitswirksam produzieren kann, stellt sich diese Frage noch eindringlicher: Was ist eigentlich noch intim? Damit beschäftigt sich die aktuelle Ausstellung der Galerie der Hauptstadt Prag.
Für die tschechische Fotografie gilt, im Unterschied zur amerikanischen, westeuropäischen oder japanischen, dass sie sich diesem Thema erst seit sehr kurzer Zeit widmet. Noch bis zur Samtenen Revolution wagte es kaum jemand, sein Innerstes nach außen zu kehren. Eher beschäftigte man sich mit postkonzeptioneller Fotografie und intermedialen Tendenzen. Erst in den vergangenen Jahren wurde die Introspektive populär, besonders in der mittleren und jüngeren Generation. Die Schau im zweiten Obergeschoss der Stadtbibliothek zeigt Arbeiten von 50 Fotografen. Mit jeweils einem kleinen Text versehen, veranschaulichen die Künstler den Zusammenhang zwischen ihnen und den Exponaten.
Während des Rundgangs kristallisiert sich heraus, dass der Schnittpunkt fast aller Arbeiten die Familie ist. So zeigt Jiří Hauke in seinem Zyklus „Echo der Generationen“ als „innersten Kreis“ die Beziehungen zwischen (seinen eigenen) einzelnen Familienmitgliedern. Pavel Mára untersucht in seinen „Familie: Triptychen“ anhand der nächsten Verwandten die Architektur von Körpersprache und Mimik. Auch in den Serien von Václav Podestát, Radek Brousil, Jaroslav Kocián und Pavla Ortová stehen die Familienbande im Mittelpunkt. Und in den Installationen von Lenka Klodová kann man durch die Augen der Kinder in deren Entstehungsgeschichte schauen.
Fiktives Selbstporträt
Demgegenüber stehen diejenigen Arbeiten, die sich mit dem Innenleben einzelner Personen beschäftigen. So dokumentiert Petra Steinerová ihren Vater („Táta“), der sich zu einer Geschlechtsumwandlung entschieden hat. In Jakub Jurdišs „Jarmil“ wird der Alltag eines vereinsamten Menschen, ohne Freunde, noch bei der Mutter lebend und Orden sammelnd, als fiktives Selbstporträt gezeigt. Der Fotograf erklärt in seinem Beitext, dass sich doch wohl jeder manchmal ausgeschlossen und einsam fühlt. Wenn auch nur zeitweise.
Technisch wirft die Ausstellung eine weitere, sehr aktuelle Frage auf. Dank Handykameras kann immer und überall fotografiert werden. Aber ab wann gehören solche Schnappschüsse in die Kategorie des kreativen Schaffens? Das hängt wohl im Wesentlichen vom Betrachter und seinem persönlichen Kunstverständnis ab. Dasselbe gilt umso mehr für die Thematik der Intimität. Wo finden wir uns in unserer Integrität und Privatsphäre gestört, wann beginnt beim Betrachten die peinliche Berührtheit, wo das Fremdschämen? Während eines ausführlichen Rundgangs kann sich ein jeder selbst auf die Suche nach den Antworten begeben.
„The Intimate Circle in Contemporary Czech Photography“, Galerie hlavního města Prahy, Stadtbibliothek, 2. Stock (Mariánské náměstí 1, Prag 1), geöffnet: täglich 10–18 Uhr (montags geschlossen), Eintritt: 120 CZK (ermäßigt 60 CZK), bis 18. August
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