Im Kopf des Autors
Tomáš Dimter übersetzt deutsche Erfolgsromane ins Tschechische. Leben kann er davon aber nicht
22. 6. 2016 - Text: Helge HommersInterview: Helge Hommers; Foto: Martin Mařák/Goethe-Institut
In der ehemaligen ČSSR verkauften sich Übersetzungen deutschsprachiger Bücher in sechsstelliger Auflage. Diese Zeiten seien lange vorbei, sagt der Übersetzer Tomáš Dimter. Häufig sind Verlage auf Zuschüsse angewiesen, damit es sich finanziell für sie zumindest ein bisschen lohnt, Übersetzungen aus dem Deutschen herauszugeben. Im Interview mit PZ-Mitarbeiter Helge Hommers spricht Dimter über den schnell abgeflachten Hype um eine Nobelpreisträgerin, Herausforderungen beim Übersetzen und schwierige Autoren.
Herr Dimter, muss ein guter Übersetzer von Romanen selbst auch ein guter Autor sein?
Nein, eigentlich nicht. Im Grunde sind es zwei verschiedene Sachen. Als Übersetzer muss man nur seine eigene Sprache besser sprechen als die, aus der man übersetzt. Aber wenn man gut schreiben kann, ist das sicher nicht von Nachteil.
Wie ist es bei Ihnen? Haben Sie Ambitionen als Schriftsteller?
Vor langer Zeit habe ich eine Chronik über mein Heimatdorf geschrieben, das an der Grenze zu Polen liegt. Knapp 400 Seiten, über 1.000 Fotos, drei Kilo schwer. Es hat mir viele Freude bereitet – und auch Schulden. Aber eigene Belletristik oder Lyrik wollte ich nie veröffentlichen.
Wie kamen Sie auf die Idee, Romane von deutschen Autoren ins Tschechische zu übertragen?
Um Mitte der Neunzigerjahre Philosophie studieren zu dürfen, musste man fünf Fremdsprachen beherrschen. Bei mir waren das Griechisch, Latein und als moderne Sprachen Russisch, Englisch und Deutsch. Anfangs war mein Deutsch schlecht, obwohl mein Vater aus dem Sudetenland stammt und ich es als Schulfach auf dem Gymnasium hatte. Aber an der Uni mussten wir gleich in der ersten Stunde wissenschaftliche Kommentare und Platon in Fremdsprachen lesen und eigene Übersetzungen erstellen. Da lernt man natürlich schnell. 1998, im dritten Studienjahr, erhielt ich eine Einladung zum Literarischen Colloquium in Berlin. Da traf ich sehr gute Übersetzer aus anderen Ländern und erlebte eine solche Begeisterung für die deutschsprachige Literatur, dass ich dabei geblieben bin.
Was fasziniert Sie an Ihrer Tätigkeit als Übersetzer? Die finanzielle Entlohnung kann es ja nicht sein.
Das stimmt, davon leben können nur wenige. Geld spielt für mich aber keine Rolle. Das Übersetzen ist ein Hobby – ein für mich noch größeres Hobby als meine geliebte Bienenzucht oder Sport. Das Faszinierende ist für mich, dass man das Leben anderer Leute lebt. Denn als Übersetzer befindet man sich im Kopf des Autors und die Texte zeigen einem eine Welt, die man niemals zu Gesicht bekommen wird. Das bereichert. Für mich ist die schönste Zeit des Tages, wenn ich auf diese Weise in die Welt eines Autors eintauche.
Welche Schwierigkeiten begegnen Ihnen bei Ihrer Arbeit?
Als Übersetzer muss man quasi in die Küche des Autors eindringen. Man sagt auch, dass der Übersetzer der beste Leser der Welt sein muss. Aber das hört sich schwieriger an als es ist. Kompliziert wird es eigentlich nur selten. Gerade habe ich Klaus Modicks „Konzert ohne Dichter“ übersetzt, da gab es Dialoge auf Plattdeutsch. Das war schon nicht ganz einfach, aber es macht Spaß, Herausforderungen zu meistern. In diesem Fall hab ich das sprachliche Niveau der Übersetzung einfach ein wenig heruntergeschraubt, was auch im Nachhinein betrachtet die sinnvollste Lösung war.
Ist der tschechische Buchmarkt Ende der Neunzigerjahre noch mit dem von heute zu vergleichen?
Tschechien ist das Land mit den meisten Übersetzungen aus dem Deutschen. Das war früher schon so und das wird auch so bleiben. Nicht etwa England oder Frankreich. Pro Jahr werden hier etwa 800 Publikationen veröffentlicht, während es in Großbritannien nur rund 30 gibt. Englischsprachige Neuerscheinungen gibt es in Tschechien allerdings noch deutlich mehr, knapp 1.500 pro Jahr. Aber dann folgen immer übersetzte Bücher deutschsprachiger Autoren – obwohl diese sich nie gut verkaufen.
Wie lohnt sich eine Übersetzung finanziell?
Wir bekommen finanzielle Unterstützung, zum Beispiel vom Goethe-Institut, das hilft uns sehr. Um aber Gewinn zu machen, müssen wir pro Werk etwa 1.100 Exemplare verkaufen. Wie der Markt funktioniert, konnte man vor ein paar Jahren gut an den Büchern von Herta Müller beobachten.
Sie bekam 2009 den Literaturnobelpreis.
Als das geschah, haben wir von der Übersetzung ihres neusten Buches mehr als 4.000 Exemplare verkauft. Drei, vier Bücher später war der Hype schon vorbei und wir verkauften nur noch knapp ein paar hundert. Normalerweise fallen die Zahlen noch geringer aus.
Und was ist mit Bestsellern wie „Das Parfüm“ von Patrick Süskind, der weltweit über 20 Millionen Mal über den Ladentisch ging?
Davon wurden in Tschechien vielleicht knapp 5.000 Exemplare verkauft. Vor der Wende gab es noch Auflagen in einer Größenordnung von 100.000 Stück. Das ist vorbei. Doch wir überleben – und das zählt.
Sie haben zahlreiche Bestseller der vergangenen Jahre übersetzt – darunter „Vor dem Fest“ von Saša Stanišić oder „1913“ von Florian Illies. Suchen Sie sich vorwiegend bekannte Bücher aus?
Das Gute ist, dass ich die meisten der Autoren, die ich übersetzt habe, schon zuvor kannte. Mit Stanišić zum Beispiel bin ich seit langem befreundet und wusste, dass er toll schreibt. Das ist wichtig, denn der Buchmarkt funktioniert schneller als früher. Ich bekomme bereits ein Jahr, bevor das Buch erscheint, das Manuskript. Ich warte also nicht auf das fertige Werk, sondern ersteigere die Rechte vorher. Schon da muss ich also wissen, ob sich eine Veröffentlichung lohnt.
Treten Sie auch mit den Autoren persönlich in Kontakt, zum Beispiel wenn Sie eine Frage haben?
Das kommt drauf an. Es ist zwar gut, wenn man lebende Autoren kontaktieren kann, aber besser ist es, wenn er oder sie tot ist – dann kann sich nämlich niemand in die Arbeit des Übersetzers einmischen. Manche Autoren mag man mehr, manche weniger. Bei Stanišić oder auch Modick, der selbst als Übersetzer gearbeitet hat, entstand sofort eine freundschaftliche Beziehung. Aber es gibt auch Autoren, die man besser meiden sollte.
Sie lehren am Institut für Translatologie zeitgenössische deutsche Literatur und literarische Übersetzung. Haben Sie schon Nachfolger ausmachen können?
Manche Studenten haben einen Sinn für Dialoge, manche für Namen und manche eher für Naturbeschreibungen. Es ist jedes Jahr aufs Neue interessant, tolle Übersetzer kommen und gehen zu sehen. Manchen kann ich nicht viel beibringen, die sind wirklich gut. Denen kann ich höchstens ein paar Ratschläge geben, die ich nicht bekam. Aber Nachfolger habe ich noch nicht ausgemacht – denn so gut bin ich nicht, dass ich das für mich beanspruchen dürfte.
Mit dem Schriftsteller Jaroslav Rudiš sind Sie ebenfalls befreundet. 2005 haben Sie zusammen ein Lesebuch der zeitgenössischen deutschen Literatur auf Tschechisch herausgegeben. Wie kam es dazu?
Jaroslav lebt seit Jahren in Deutschland und hat viel für die deutschsprachige Literatur hier in Tschechien getan. Damals hatte sein Verlag bereits eine Übersicht zu ausgewählten französischen und spanischen Autoren herausgegeben. Die für deutsche Schriftsteller haben wir dann zusammen gemacht. Unser Ziel war es, interessante Autoren zu zeigen, die in Tschechien noch nicht erschienen waren. Das Lesebuch hat sich gut verkauft. Von den elf Autoren, die wir damals vorgestellt haben, wurden bis heute nur zwei nicht auf Tschechisch veröffentlicht. Oder besser gesagt: noch nicht.
Was sind Ihre aktuellen Projekte?
Momentan arbeite ich an Ralf Rothmanns „Im Frühling sterben“. Ein sprachlich sehr kompliziertes Buch. Parallel dazu übersetze ich ein handschriftlich verfasstes Tagebuch des Adeligen Erwin Dubský, der mit einer Korvette die Welt bereiste. Das umfasst 2.000 Seiten und dann noch auf Sütterlin. Zudem steht noch eine Übersetzung des deutsch-syrischen Schriftstellers Rafik Schami aus, was mir sehr viel Spaß macht, aber ebenso viel Zeit in Anspruch nimmt. Eigentlich wollte ich dieses Jahr weniger arbeiten und im Sommer entspannen, aber daraus wird leider nichts.
Welches Buch benötigt Ihres Erachtens dringend noch eine tschechische Übersetzung?
Die Tschechen waren seit jeher sehr, sehr fleißig, was deutsche Literatur betrifft. Und somit liegen alle, aber wirklich alle wichtigen Bücher seit dem Mittelalter vor. Ausgenommen vielleicht Uwe Johnson. Der fehlt leider noch.
Der Bestseller-Übersetzer
1974 im nordostböhmischen Broumov (Braunau) geboren, begann Tomáš Dimter als 18-Jähriger mit dem Studium an der Philosophischen Fakultät der Prager Karls-Universität. Seit Mitte der Neunzigerjahre ist er als freiberuflicher Übersetzer für deutschsprachige Literatur tätig und erhielt mehrere Stipendien in Deutschland, Österreich und Tschechien. 2006 gewann er für seine Übertragung von Thomas Bernhards „Das Kalkwerk“ den Tomáš-Hrách-Preis für die beste Übersetzung des Jahres. Zudem arbeitete Dimter als freier Mitarbeiter für Zeitungen und Magazine, beim Tschechischen Rundfunk und als Lehrer an einem Gymnasium. Zurzeit ist er als Lektor für ausländische Literatur beim Verlag Mladá fronta tätig und lehrt am Institut für Translatologie zeitgenössische deutsche Literatur und literarische Übersetzung. Dimter lebt in Prag und in Adršpach an der tschechisch-polnischen Grenze. Neben Thomas Bernhard zählen zu den von ihm übersetzten Autoren Volker Weidermann, Daniel Kehlmann, Christian Kracht und Arno Geiger sowie zahlreiche weitere Bestsellerautoren. (hom)
„Markus von Liberec“
Geheimes oder Geheimnistuerei?