Im Land der Nichtwähler
Regierung behält Mehrheit im Senat – Rekordtief bei Wahlbeteiligung
22. 10. 2014 - Text: Marcus HundtText: Marcus Hundt; Foto: APZ
Parlamentswahlen, Europawahlen, Kommunalwahlen, Senatswahlen: In den zurückliegenden zwölf Monaten waren die Tschechen vier Mal dazu aufgerufen, den Politikern ihre Stimme zu geben. Zur zweiten Runde der Senatswahlen machte am Wochenende aber nur jeder sechste Stimmberechtigte sein Kreuz. 16,69 Prozent bedeuten die niedrigste Beteiligung an einer landesweiten Wahl seit Bestehen der Tschechischen Republik.
Staatspräsident Miloš Zeman kennt dagegen schon lange ein wirksames Mittel: „Seit vielen Jahren sage ich immer wieder: Wahlpflicht. Kaum jemand weiß, dass es die schon in der Ersten Republik gab, kaum jemand weiß, dass es sie etwa in Belgien, Luxemburg und Australien gibt.“ Für Nichtwähler zeigt er kein Verständnis. „Genauso wie der Wähler das Recht hat, frei zu entscheiden, wen er will, hat er auch die Pflicht am öffentlichen Leben teilzunehmen“, meint das Staatsoberhaupt, obwohl er auch um die geringe Bedeutung der oberen Parlamentskammer weiß. „Alles in allem geht es bei diesen Wahlen um 27 Betten“, scherzte Zeman, und korrigierte sich mit einem Augenzwinkern, dass es sich doch eher um Sitze handele. Eine Wahlpflicht schließen die Politiker der führenden Parteien aus, gleichwohl sehen sie Reformbedarf.
Regierungschef Bohuslav Sobotka (ČSSD) will den Zeitraum zwischen der ersten und zweiten Runde der Senatswahlen von einer Woche auf zwei Wochen ausdehnen. Vizepremier und ANO-Vorsitzender Andrej Babiš hält wenig von diesem Vorschlag. Er sehe es am liebsten, wenn auf die zweite Runde verzichtet würde und die Ergebnisse bereits nach einem Wahlgang feststünden.
Gutes Zwischenzeugnis
Die niedrige Wahlbeteiligung war trotz des Rekordtiefs keine große Überraschung, denn auch bei den zurückliegenden Stichwahlen zum Senat wurde selten die 25-Prozent-Marke überschritten. Für den Politologen Miroslav Mareš werden Senatswahlen als Protestwahlen verstanden. Seine Schlussfolgerung: Die meisten sind mit der Regierungsarbeit zufrieden.
Das spiegelt sich auch in den Ergebnissen wider. 27 Mandate wurden neu vergeben, 21 entfielen auf die Regierungsparteien ČSSD, ANO und KDU-ČSL. Knapp die Hälfte davon sicherten sich die Sozialdemokraten, die weiterhin die stärkste Fraktion stellen. Der wahre Sieger dieser Wahlen seien nach Ansicht von Experten jedoch die Christdemokraten, die vier Sitze allein und drei weitere im Bündnis mit den Grünen gewannen. Damit sind sie nun drittstärkste Kraft im Oberhaus, was auch ihre Position innerhalb der Koalition stärken dürfte. Premier Sobotka sieht das Ergebnis als gutes Zwischenzeugnis für die bisherige Regierungsarbeit an. „Es ermöglicht eine stabile Fortführung der Koalition“, glaubt der ČSSD-Vorsitzende.
Fest steht, dass ihre Arbeit in den kommenden zwei Jahren nicht durch landesweite (reguläre) Wahlen gestört wird. Bis zu den Regional- und Senatswahlen 2016 bleibt der Regierung genügend Zeit, weiterhin gute Noten zu sammeln und an einer höheren Wahlbeteiligung zu arbeiten.
„Wie 1938“
„Unterdurchschnittlich regiert“