Im Sumpf der Korruption
Hochrangige Polizeioffiziere in U-Haft – Kreishauptmann der Bestechung beschuldigt
21. 10. 2015 - Text: Ivan DramlitschText: Ivan Dramlitsch; Foto: Ermittlerduo Robert Šlachta und Ivo Ištvan/ČTK/Stanislav Zbyněk
In den Schlagzeilen der tschechischen Medien tauchte vergangene Woche ein Name auf, von dem schon längere Zeit nicht mehr die Rede war – Ivan Langer. Der Anlass des plötzlichen Medieninteresses am ehemaligen Innenminister und stellvertretenden Parteichef der ODS, der bis 2010 einer der prägendsten und einflussreichsten, aber auch kontroversesten Politiker Tschechiens war, wird ihn jedoch alles andere als erfreut haben: Der 48-Jährige war eine von mehreren Personen, die bei einem Einsatz der Polizei-Sondereinheit zur Bekämpfung organisierter Kriminalität (ÚOOZ) am vergangenen Dienstag festgenommen und vernommen wurden. Außerdem durchsuchten die Polizisten deren Wohn- und Arbeitsräume.
Welche genaue Rolle der ehemalige Minister in dieser Affäre um Klientelismus, Korruption und Bestechung in Olomouc (Olmütz) spielt, ist vorerst unklar. Jedenfalls verließ Langer die Polizeidienststelle als freier Mann und gilt auch derzeit nicht als Beschuldigter.
Im Fokus der Sonderermittler stehen hochrangige Olmützer Polizeifunktionäre. Diese sollen, so der zentrale Verdacht, Informationen aus laufenden Verfahren nach außen getragen und gegen Geld auf diese Verfahren Einfluss genommen haben. Konkret beschuldigt sind derzeit vier Personen: der stellvertretende Polizeichef von Olmütz Karel Kadlec, der Leiter der dortigen Abteilung für Wirtschaftskriminalität Radek Petrůj, der einflussreiche Unternehmer und Olmützer Immobilien-Magnat Ivan Kyselý sowie der sozialdemokratische Hauptmann des Kreises Jiří Rozbořil (ČSSD). Bis auf Letzteren befinden sich die Beschuldigten in Untersuchungshaft.
Polizei-Vizechef Kadlec hat sich laut den Dokumenten der Ermittlungsbehörden, aus denen der Nachrichtenserver „Neovlivní.cz“ zitierte, in den vergangenen zwölf Monaten rund 50 Mal mit Unternehmer Kyselý getroffen. Dabei sollen die beiden über laufende Ermittlungen und Verfahren sowie über eine mögliche Einflussnahme beraten haben.
Für die praktische Umsetzung dieser Einflussnahme sei Kripo-Chef Petrůj verantwortlich gewesen. Der Tatvorwurf lautet demnach „Amtsmissbrauch“, im Falle von Kyselý „Teilnahme am Amtsmissbrauch“. Um welche Fälle es konkret geht, ist aufgrund eines Informationsembargos seitens der Staatsanwaltschaft Gegenstand von Spekulationen. „Wir verstehen nicht ganz genau, worum es geht, die Tatbeschreibung in der Akte ist recht verwirrend“, äußerte sich Petrůj-Anwalt Tomáš Vymazal gegenüber der Presse.
Dem stellvertretenden Polizeichef Kadlec wird neben Amtsmissbrauch auch Bestechlichkeit zur Last gelegt. Und hier kommt der Olmützer Kreishauptmann Jiří Rozbořil ins Spiel. Dieser soll Kadlec Geld geboten haben, um die Ermittlungen zum angeblich überteuerten Bau der Pferdesportarena Lazce einzustellen, in dem der Kreishauptmann eine zentrale Rolle gespielt haben soll. Rozbořil weist die Vorwürfe zurück und hat Beschwerde gegen das Ermittlungsverfahren eingelegt. Die Abhörprotokolle, die seine Tat belegen sollen, bezeichnete er als „Missverständnis“. Trotz massivem Druck aus der Prager Parteizentrale lehnte der Sozialdemokrat einen Rücktritt von seinem Posten als Kreishauptmann bisher ab.
Ex-Minister Langer taucht in der Affäre mehrfach auf: Er ist einerseits nicht nur ein sehr guter Freund des beschuldigten Unternehmers Kyselý, sondern auch dessen Geschäftspartner. Des Weiteren, so geht aus den Abhörprotokollen der Ermittler hervor, soll er in den Gesprächen der beschuldigten Polizeioffiziere regelmäßig genannt worden sein, und zwar im Sinne von „Langer weiß Bescheid“, „Langer regelt das“, „Langer dankt“. Das muss zwar nicht der Wahrheit entsprechen, war jedoch Anlass genug für eine Hausdurchsuchung und Einvernahme des ehemaligen Innenministers. Ob und wie tief Langer in die Affäre verstrickt ist, werden die weiteren Ermittlungen zeigen.
Tschechische Beobachter halten den Olmützer Fall für einen schwerwiegenden Vorgang, der womöglich eine Schlüsselbedeutung für den weiteren Kampf gegen Korruption und Klientelismus erlangen könnte. Zum ersten Mal sind mehrere hohe Polizeifunktionäre den Ermittlern ins Netz gegangen (weitere sind von ihren Posten zurückgetreten), und das obwohl von derlei Vorgängen hinter vorgehaltener Hand bereits seit Jahren gesprochen wird. „Es ist schwer vorstellbar, dass es noch vor fünf Jahren gelungen wäre, eine solche Aktion gegen hohe Polizeioffiziere, Politiker und Unternehmer innerhalb von Polizei und Staatsanwaltschaft geheim zu halten. Damals hätte so etwas nicht passieren können, die Verdächtigen wären zumindest gewarnt worden“, meint Jaroslav Spurný, Redakteur des Nachrichtenmagazins „Respekt“ und Korruptionsexperte.
Viel wird nun davon abhängen, ob und wie diese Affäre „durchermittelt“ wird. Denn das ist das große Manko bei der Korruptionsbekämpfung in Tschechien: Affären und Beschuldigte gibt es regelmäßig und viele, doch zu einem abschließenden Gerichtsurteil kommt es in den seltensten Fällen. Große Verantwortung haben in diesem Punkt die Leiter der aktuellen Ermittlungen, der Olmützer Oberstaatsanwalt Ivo Ištvan und ÚOOZ-Chef Robert Šlachta. Dieses Duo war bereits für den spektakulären Polizei-Einsatz im Prager Regierungsamt vor anderthalb Jahren verantwortlich, in dessen Folge es zum Sturz der Regierung Nečas kam. Beide gerieten daraufhin unter mächtigen Druck, da die dramatischen Umstände des Einsatzes in einem deutlichen Missverhältnis zu den eher dürftigen juristisch relevanten Ergebnissen standen. Für Ištvan und Šlachta ist Olmütz deshalb wahrscheinlich der letzte Fall, in dem sie ihre Kompetenz unter Beweis stellen dürfen. Verläuft die Affäre im Sande, dürfte dies auch das Ende der beiden Ermittler auf ihren Posten sein. Beobachter gehen deshalb von einem relativ belastbaren Ermittlungsstand aus. Denn, so formulierte es die Investigativ-Journalistin Sabina Slonková in einem Fernsehinterview, Ištvan und Šlachta wären „verrückt“, sich ohne stichhaltige Beweise auf eine solche Aktion einzulassen.
„Wie 1938“
„Unterdurchschnittlich regiert“