Im Tal der Dämonen und endlosen Ruhe

Im Tal der Dämonen und endlosen Ruhe

In Valeč treffen böhmischer Barock, koreanische Spuren und Punk-Musik aufeinander

4. 6. 2014 - Text: Franziska BenkelText: Franziska Benkel; Foto: Eliza­beth Brabec

 

„Kim Ki Jong 1956“ steht auf dem Obelisken im Schlossgarten des westböhmischen 350-Seelen-Dorfes Valeč geschrieben. Wieder und wieder muss eine Person mit einem spitzen Gegenstand die Linien der Inschrift entlanggefahren sein. Der koreanische Name ist einer unter vielen anderen, die auf dem Steinpfeiler verewigt wurden. Als 1950 der Koreakrieg ausbrach, fanden im Schloss von Valeč zahlreiche Kinder aus Nordkorea Zuflucht vor den Schrecken in ihrer Heimat. Mit ihren Inschriften wurden sie zum Teil einer langen Geschichte, auf die der Ort zurückblickt.

Umgeben von sanften Hügeln und dichten Wäldern, fügt sich Valeč (Waltsch) beinahe märchenhaft in die Landschaft: Kühn ragt die Kirchturmspitze zwischen den Wipfeln hervor, rote Dächer blitzen hier und da auf, ein Schloss erhebt sich majestätisch über der Ortschaft. Wer heute das knapp 40 Kilometer östlich von Karlovy Vary (Karlsbad) gelegene Dorf besucht, kann ein langes historisches Erbe erspüren.

Irena Kubísková ist Mitte 40 und arbeitet im Café „Prádelna“, direkt im Schlossgarten. „Ich kam vor 25 Jahren aus Chomutov hierher und ich muss sagen, ich bin eine Valeč-Patriotin durch und durch.“ Bei einem Spaziergang durch Valeč wird klar warum.

Er beginnt am Haupteingang des Schlosses. Die erste schriftliche Erwähnung des Anwesens wird auf das Jahr 1526 zurückgeführt. Im Laufe der Geschichte wechselte das Gebäude mehrmals seinen Besitzer. Zu den bedeutendsten zählte die Adelsfamilie von Steinbach (Štampar), die es Ende des 17. Jahrhunderts erwarb und mit dem barocken Umbau des ursprünglich im Stil der Renaissance errichteten Schlosses begann. Unter Leitung eines italienischen Architekten entstand ein vierflügeliges, zweigeschossiges Gebäude.

Wer das Anwesen betritt, sollte nicht enttäuscht sein. Derzeit gibt es nicht viel zu sehen: Die insgesamt 80 Zimmer sind leer, die Originalausstattung fehlt. Mitte der siebziger Jahre gab es einen schweren Brand, der das Schloss regelrecht „verschlang“. Die Möbel konnten zwar gerettet werden, doch sei ihr Aufenthaltsort seitdem ungewiss, so Tomaš Petr. Der Mittdreißiger ist seit sieben Jahren Kastellan in Valeč. „Allerdings erzählt man sich, dass in jedem Haushalt hier im Dorf Möbelstücke aus dem Schloss zu finden sind“, scherzt der großgewachsene Schlosswärter.

Der letzte Besitzer des Anwesens war ein deutscher Großunternehmer und Graf. Er erwarb das Gut 1937, verlor es nach dem Zweiten Weltkrieg jedoch durch die Beneš-Dekrete wieder. Nach Kriegsende dienten die Räumlichkeiten als Sanatorium für Kriegsveteranen. In den Fünfzigern wurden sie als Heim für koreanische Flüchtlingskinder genutzt. Heute gehört das Schloss von Valeč zum nationalen Kulturerbe.

Vervollständigt wird der barocke Komplex durch den zugehörigen Schlossgarten. Hier tummelt sich eine Gruppe mythologischer Statuen, Dämonen und Götter. Die Originale stammen aus der Werkstatt des Bildhauers Matthias Bernhard Braun, einem der bedeutendsten Bildhauer des böhmischen Barock.

Als einzigartig gilt die Kaskade der Grünanlage. Das pompöse Wasserspiel bestand einmal aus drei meterhohen Steinfischen, die über mehrere Ebenen und Wasserbecken einen spektakulären Wasserfall formten. „Es ist die größte Kaskade, die man bisher in Tschechien entdeckt hat“, so Landschaftsarchitektin Eliza­beth Brabec, die die Region um Valeč aus kulturwissenschaftlicher Perspektive erforscht. Die einst kunstvolle Kaskade kann der Besucher heute leider nicht mehr sehen. Die steinernen Fische warten in einem Holzverschlag vor dem „Prádelna“ auf Fördergelder für die aufwendige Restaurierung.

Weitere historische Höhepunkte sind die Ruine des Lusthauses, der gläserne Pavillon des Palmenhauses, das Amphitheater und die Kirche der Heiligen Dreifaltigkeit. „Die barocke Kultur basierte auf den Gedanken einer Dreieinigkeit von Mensch, Natur und Religion. Im Zentrum dieser Konstruktion ruhte der Herrscher. Symbolisch wurde dies durch spezielle Symmetrien in der Architektur dargestellt“, so Brabec. Die historischen Bauwerke errichtete man so, dass sie in vier bis zu 30 Kilometer langen Sichtachsen diagonal miteinander verbunden sind.

In Valeč sei dies noch besonders gut nachvollziebar, wie die Landschaftsarchitektin erklärt. Denn die Gemeinde sei – im Gegensatz zu den Sitzen der Familie Lobkowicz oder Schwarzenberg – immer schon sehr arm gewesen, deshalb wurde baulich kaum etwas verändert.

Neben Historischem hat Valeč wunderschöne Natur zu bieten, die es sich lohnt zu erkunden. Unweit des Gartens, mitten im Wald, befindet sich die alte Ruine des Lustschlosses. Ruhig und unaufgeregt ist es hier – nur wenige Touristen kommen bisher nach Valeč. Auch in der kleinen Weinstube im Dorfkern trifft man selten auf Fremde. Es scheint kein Zufall, dass das Wappen der Steinbachs, das an fast jedem Haus zu sehen ist, die Inschrift „Tranquillité“ („Ruhe“) trägt.

Doch so ruhig ist es hier nicht immer. Seit acht Jahren veranstaltet eine Gruppe junger Prager, die in der ehemaligen alten Wäscherei auch das „Prádelna“ eröffnet hat, das Musikfestival „Povaleč“. Das Punk- und Elektrofestival zieht mittlerweile zahlreiche Besucher aus ganz Tschechien, Deutschland und Österreich an.

Tipps

Schloss Valeč, geöffnet: Di.–Do. 10 bis 17 Uhr, Sa./So. 10–23 Uhr, Eintritt: 60 CZK (ermäßigt 40 CZK)

Stadtmuseum (Široká 182), geöffnet: Mi.–Fr. 9–15.30 Uhr, Sa./So. 9–17 Uhr, Eintritt: 30 CZK (ermäßigt 20 CZK)

Café Prádelna (Schloss Valeč), geöffnet: ab Mai, Mi.–Do. und So. 11–17 Uhr, Fr./Sa. 11–23 Uhr

Festival Povaleč, 1. bis 3. August, Eintritt: 250 CZK, Informationen unter www.povalec.cz

Klassische Konzerte, regelmäßig im Schloss und der Kirche der Heiligen Dreifaltigkeit, Informationen unter www.zamek-valec.cz

500 Jahre Valeč, Fest mit Sudetendeutschen und Tschechen im August, www.valec.cz