In die Herzen der Hörer
Mit Musik bauen Václav Luks und das „Collegium 1704“ Brücken ins 18. Jahrhundert. Der Dirigent will Klassik-Liebhabern von heute die Schönheit barocker Klänge näherbringen
10. 2. 2016 - Text: Jan NechanickýText: Jan Nechanický; Fotos: Michal Adamovský/Collegium 1704, Petra Hajská
Auf den Spielplan der Salzburger Festspiele zu gelangen, kommt in der internationalen Klassikszene einem Ritterschlag gleich. Das renommierte Festival wählt seine Interpreten besonders sorgfältig aus. Im vergangenen Jahr ist diese Ehre nach vielen Jahren wieder einmal einem tschechischen Ensemble zuteil geworden. Unter der Leitung von Václav Luks spielte das „Collegium 1704“ einen Klassiker der sogenannten Alten Musik: die Messe in h-Moll von Johann Sebastian Bach. Am Ende applaudierte das Publikum im Stehen. Der Erfolg war so überwältigend, dass das Ensemble gleich einen Vertrag bis 2017 bekam.
Dieses Jahr fahren Luks und seine Musiker wieder mit einem ambitionierten Projekt nach Salzburg: Die „Missa Salisburgensis“ des Barockkomponisten Heinrich Ignaz Franz Biber ist vom Partiturumfang her die größte Komposition jener Epoche. Nach dem Gastspiel in der Mozartstadt bereist das Ensemble im Anschluss die großen Konzerthallen Europas, unter ihnen das „Concertgebouw“ in Amsterdam oder die „Chapelle Royale“ in Versailles. Dass Tschechien, ein Land, in dem die originalgetreue Aufführung Alter Musik keine große Tradition besitzt, ein international gefeiertes Ensemble wie das Collegium 1704 hervorbringt, ist vor allem dem Idealisten Luks zu verdanken.
Zu Beginn der neunziger Jahre fährt der junge Hornist und Cembalist Luks per Anhalter nach Basel, um sich dort um einen Platz an der „Schola Cantorum Basiliensis“ zu bewerben. An einer der besten Schulen für Alte Musik beginnt er ein Studium der historischen Tasteninstrumente sowie historischer Aufführungspraxis. Der Klang der Instrumente fasziniert Luks genauso wie die Mittel, mit denen man in der Alten Musik Emotionen ausdrückt. Wie bei vielen Barockmusik-Fans fängt auch bei ihm alles mit Bach an. Dessen Werk öffnet dem Mittzwanziger die Tür zu einer neuen Welt. Luks befasst sich aber nicht nur mit den Werken bekannter Komponisten. So entdeckt er Jan Dismas Zelenka für sich – ein Genie des böhmischen Barocks. Mit ihm hängt auch die Zahl 1704 im Namen von Luks’ Ensemble zusammen. 1704 fand in Prag die Erstaufführung von Zelenkas Singspiel „Via Laureata“ statt, die die Ankunft des Komponisten in der europäischen Musikszene kennzeichnet.
Was Luks besonders Spaß macht, ist das Erforschen und Bekanntmachen von Werken vergessener Komponisten. Für den heute 45-Jährigen kommt diese Tätigkeit einer Art Detektivarbeit gleich. So geht er unentwegt „den Spuren der Mittäter und weiterer Verbrechen“ nach, wie Luks einen etwas eigenartigen Vergleich anstellt. So war es auch bei Josef Mysliveček.
Luks scheut keine langen Wege und keinen Aufwand, um neue Werke zu entdecken. So fährt er nach Neapel, um Partituren Myslivečeks zu studieren. Dort hat dieser als Opernkomponist große Erfolge gefeiert und hohes Ansehen erreicht. Durch das Forschen erfährt Luks von Bewunderern von Myslivečeks Opern und wie beliebt er bei Fachleuten sowie beim Laienpublikum im 18. Jahrhundert war. Kein geringerer als Wolfgang Amadeus Mozart war einer seiner Verehrer. Solche Entdeckungen liefern Luks Impulse für seine Arbeit.
Wie aber kann Barockmusik Menschen im Hier und Jetzt ansprechen? „Sehr einfach“, antwortet Luks. Es sei für den Rezipienten überhaupt nicht schwer, diese Musik nachzuvollziehen. Sie sei die zugänglichste aller Musikarten. Das liege schon im ursprünglichen Kompositionsziel begründet, erklärt Luks. Die Aufgabe des Komponisten damaliger Zeit sei es gewesen, ein möglichst breites Publikum anzusprechen, er hätte sonst nicht überlebt. „Heute hingegen fühlen sich einige Komponisten beinahe beleidigt, wenn ihre Musik den Massen zugänglich erscheint“, witzelt Luks. Damals konnte sich das kaum jemand erlauben.
Ab dem 19. Jahrhundert hat sich die Kunst individualisiert. So entstand der Anspruch, jeder Komponist müsse eine eigene Musiksprache erschaffen. „Doch wenn man die Alte Musik richtig übersetzt und interpretiert, dann entfaltet sie auch beim heutigen Zuhörer ihre Wirkung, denn sie spricht ja nicht zur Epoche, sondern zum Menschen“, so Luks. Das sind zumindest die Ansprüche des Ensemble-Leiters, der das Kammerorchester „Collegium 1704“ bereits 1991 während seines Studiums gründete, seit 2005 besteht es als Barockorchester.
Dankbares Publikum
Dass sein Ensemble nicht nur Alte Musik interpretiert, sondern dafür auch historische Instrumente verwendet, hat einen einfachen Grund: Die Barockwerke lassen sich so besser spielen. Die Komponisten der damaligen Zeit setzten gewisse Interpretationstechniken voraus, die auch mit dem Bau der Instrumente in Zusammenhang stehen. „Originalgetreu aufgeführt entfaltet die Musik ihre Wirkung am besten, denn so hat sie sich der Komponist auch ausgedacht“, erklärt Luks. „Diese Kombination war es, die die Musik am effizientesten ins Herz der Hörer trug, sie funktioniert noch heute. Warum sie also nicht nutzen?“
In Prag, Dresden und inzwischen auch Salzburg hat das „Collegium 1704“ ein interessiertes und dankbares Publikum gefunden. Aber auch in weiter entfernten Ländern wie Japan oder Kanada findet das Ensemble seine Zuhörer, zuweilen auch Förderer und Gönner. Einen potenten Hauptsponsoren hat es jedoch noch nicht gefunden. Doch die Erfolge der vergangenen Jahre beflügeln die Musiker in ihrer Arbeit und zeigen ihnen, dass sie ihr Publikum erreichen.
„Markus von Liberec“
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