„In Tschechien gibt es keine seriöse Tageszeitung“
Journalist und Medienexperte Karel Hvízďala sieht die vierte Gewalt entscheidend geschwächt
27. 11. 2013 - Text: Maria Sileny
Im deutschen Exil lernte Karel Hvízďala die Medienlandschaft Westeuropas kennen. In den Neunzigern war der Journalist und Schriftsteller Vorstandsvorsitzender des Verlags MAFRA, der die einflussreiche Tageszeitung „Mladá fronta Dnes“ herausgibt. Hvízďala gründete die Zeitschrift „Týden“ mit und war fünf Jahre lang ihr Chefredakteur. Mit PZ-Mitarbeiterin Maria Sileny sprach er über fehlende Statuten, Politikerpfründe und die Grenzen der Seriosität.
Wie werten Sie den aktuellen Zustand der Medien in der Tschechischen Republik?
Karel Hvížďala: Die tschechische Medienlandschaft ist unvollständig. Es fehlen angesehene Medien vom Schlag der „Süddeutschen Zeitung“, der „Frankfurter Allgemeine“ oder „Die Welt“. Hinzu kommt, dass die öffentlich-rechtlichen Medien de facto parlamentarische Medien sind. Denn die Räte, die sie von der Politik abschirmen sollen, sind politisiert. Ich würde sie als Pfründe ehemaliger Politiker bezeichnen, die dort versuchen, ihre Interessen durchzusetzen. Öffentlich-rechtliche Medien lassen sich auch durch die Zuteilung von Gebühren erpressen – denn die wird in Tschechien direkt vom Parlament bestimmt. Es fehlen außerdem Redaktionsstatuten, die die Zuständigkeiten der Direktoren und Chefredakteure voneinander abgrenzen würden. So können Direktoren in die Inhalte der Redaktionen eingreifen.
Andrej Babiš hat Sie gebeten, gemeinsam mit den jeweiligen Chefredakteuren ein Herausgeberstatut für seine Tageszeitungen „Mladá fronta Dnes“ und „Lidové noviny“ zu erarbeiten …
Hvížďala: Ja. Das war seine Antwort auf die Kritik – und die kam auch von mir –, dass er mit der Verbindung von Presse, Politik und Business die Glaubwürdigkeit der beiden großen Tageszeitungen untergräbt. Er wandte sich an mich mit der Bitte, ein Herausgeberstatut zu entwerfen, das als Teil der Satzung des Unternehmens rechtlich verbindlich wäre. Das Statut regelt die Beziehungen zwischen dem Verlagsinhaber und den Redaktionen und garantiert die Unabhängigkeit der redaktionellen Arbeit. Es kann auf der Homepage des Verlags von jedem eingesehen werden. Nur: Das sind Worte. Jetzt kommt es darauf an, wie sie in der Praxis umgesetzt werden.
Was halten Sie allgemein von den tschechischen Printmedien?
Hvížďala: Es handelt sich mehr oder weniger um „Popzeitungen“, die relevante Informationen mit Klatsch vermischen. Damit hoffen ihre Macher, möglichst viele Leser zu erreichen. Auch politisch wollen sich die Printmedien nicht festlegen, denn sie möchten die breitesten Publikumsschichten erreichen.
Gibt es denn in Tschechien keine seriöse Tageszeitung?
Hvížďala: Nein. Die Zeitung „Hospodářské noviny“ hat sich darum bemüht. Doch wenn dort aktuell nicht mal 50 Redakteure arbeiten und jeder von ihnen fast drei Artikel täglich zu verfassen hat, kann von Seriosität keine Rede sein. Als Ende 2010 der Chefredakteur der „Süddeutschen Zeitung“ Hans Werner Kilz in Rente ging, sagte er, es sei nicht möglich, mit weniger als 300 Redakteuren eine seriöse Tageszeitung zu produzieren.
Macht Ihnen der Zustand der tschechischen Medien Sorgen?
Hvížďala: Ja. Die Medien sind in erster Linie von einer wirtschaftlichen Krise ergriffen. Überall wird gespart, Redakteure fürchten um ihre Stellen. Derart eingeschüchtert sind sie nicht imstande, auf die derzeitige politische Krise so zu reagieren, wie es ihre demokratische Pflicht wäre. Wir befinden uns in einer politischen Krise. Der Präsident bemüht sich, ein präsidiales System einzuführen, was gegen die Verfassung ist. Er hat eine Regierung ernannt, die kein Vertrauen des Parlaments genießt. Und er verlängert diesen undemokratischen Zustand künstlich, indem er die Regierungsbildung nach den Neuwahlen hinauszögert. Es ist Aufgabe der Medien, die Politik zu kontrollieren. Diese Funktion üben sie derzeit nicht vollständig aus, was den Politikern durchaus recht ist.
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