Der Wallenstein-Stoff im Wandel der Zeit

Der Wallenstein-Stoff im Wandel der Zeit

Eine neue Studie beleuchtet, wie die historische Figur in den Werken von Alfred Döblin und Jaroslav Durych rezipiert wurde

15. 6. 2016 - Text: Konstantin KountouroyanisText: K. Kountouroyanis; Foto: APZ

Albrecht Wenzel Eusebius von Waldstein, besser bekannt als Albrecht von Wallenstein, bietet bis heute sowohl für Deutsche als auch für Tschechen Projek­tionsflächen für unterschiedliche nationalhistorische Perspek­tiven. Allein bis zum Jahr 1910 entstanden an die 2.000 wissenschaftlichen und künstlerischen Werke über den böhmischen Feldherrn.

Nicht nur Alfred Döblin schrieb einen Wallenstein-Roman, sondern auch der aus Hradec Králové (Königgrätz) stammende Dichter und Militärarzt Jaroslav Durych. Während Döblins Werk 1931 in der Übersetzung von Ladislav Drůbek, Vincenc Svoboda und Miloslav Novotný sowie 1981 in der Übertragung von Vratislav Slezák erschien, wurde Durychs Text von Pavel Eisner übersetzt und lediglich 1933 auf Deutsch herausgegeben. Allein diese Tatsache macht beide Romane zu einem idealen Forschungsfeld für komparatistische Studien. Auch der Historiker Tilman Kasten hat sich in seiner Dissertation mit dem Thema beschäftigt. Vor kurzem erschien sie unter dem Titel „Historismuskritik versus Heilsgeschichte – Die Wallenstein-Romane von Alfred Döblin und Jaroslav Durych“.

In seiner Forschungsarbeit geht Tilman Kasten den Verbindungen der historischen Wallenstein-Romane Alfred Döblins aus dem Jahr 1920 sowie „Bloudění“ („Irrsal“, 1929) von Jaroslav Durych unter dem Gesichtspunkt der Poetik und Ästhetik des historischen Erzählens nach. Dabei widmet er sich den verschiedenen Lesarten der Wallenstein-Figur („Kriegsgewinnler“ oder „Herrscher aus Gottes Vorsehung“) und analysiert die zeitgenössische Rezeption der Romane.

Die Arbeit von Kasten ist als Fallstudie zu verstehen und diskutiert nicht nur die wissenschaftlichen Interpretationen der beiden Romane, sondern bezieht auch die Selbstaussagen der Autoren sowie die Rezeption in Deutschland, Österreich und der Tschechoslowakei mit ein. Gerade die abwegigen Interpretationen der Zeitgenossen zeigen, wie die Romane und ihre jeweilige Wallenstein-Figur in den unterschiedlichsten Debatten instrumentalisiert wurden. Ein spannendes Kapitel deutsch-tschechischer Literaturbeziehungen stellt dabei beispielsweise die Aufnahme von Döblins Roman durch die tschechische Literaturkritik dar. Dieser diente er als Kontrastfolie, mithilfe derer das hitzig diskutierte Geschichtsbild Durychs entweder bestätigt oder kritisiert wurde. Mit diesem und weiteren Ergebnissen aus dem deutsch-tschechischen Bereich verdeutlicht Kasten, wie aufschlussreich ein Blick über den nationalphilologischen Tellerrand hinaus ausfallen kann.

Bei aller wissenschaftlichen Nüchternheit bleibt die Frage, was den Wallenstein-Stoff bis heute sowohl in Deutschland, als auch in Tschechien so interessant macht. Ist es etwa eine nationalhistorische Identifikation mit Wallenstein? Tilman Kasten dazu: „Was an Wallenstein zieht, sind die Personalisierung und Kommerzialisierung von Geschichte. Unter anderem in Altdorf, in Memmingen und Cheb erfreuen sich die Wallenstein-Festspiele immer noch großer Beliebtheit. Vor allem Cheb ist interessant, weil dort bereits nach der Jahrhundertwende die Wallenstein-Festspiele ins Leben gerufen und in den dreißiger Jahren in einem sudetendeutschen-nationalistischen Kontext fortgeführt wurden. Seit 2005 deutet man diese lokale Tradition um und verwertet sie auch im Rahmen von Marketing und Tourismus.“

Buchcover

Tilman Kasten: Historismuskritik versus Heilsgeschichte. Die Wallenstein-Romane von Alfred Döblin und Jaroslav Durych. Böhlau Verlag, Köln, Weimar, Wien 2016, 492 Seiten, 70 Euro, ISBN 978-3-412-50333-8