Informationskrieg im Klassenzimmer

Informationskrieg im Klassenzimmer

Kurse an tschechischen Schulen sollen die Medienkompetenz stärken und über russische Propaganda aufklären

24. 11. 2015 - Text: Katharina WiegmannText: Katharina Wiegmann; Foto: APZ

Ost und West rüsten wieder auf. Die Waffen im 21. Jahrhundert sind allerdings nicht mehr dieselben wie im Kalten Krieg. Der rote Knopf von heute ist die Eingabetaste am Computer. Sie zündet keine Atomsprengköpfe, sondern jagt in Sekunden Bilder, Videos und Meldungen um den Globus. Medien und ihre Interpretation von Ereignissen erreichen immer schneller immer mehr Menschen. 
   
In Unterrichtsstunden über russische Propaganda sollen sich auch tschechische Schüler mit dem digitalen Kampf um politischen Einfluss auseinandersetzen. Konzipiert hat die Kurse die Nichtregierungsorganisation „Člověk v tísni“ („Mensch in Not“) für ihr Programm „Jeden svět na školách“ („Eine Welt in der Schule“). „Ziel der Lektionen ist es, den Schülern kritisches Denken beizubringen – und vor allem, Medieninhalte kritisch zu bewerten. Wir wollen sie motivieren, Quellen zu prüfen, umfassende Informationen einzuholen und sie so für Hassreden und Hetzkampagnen sensibilisieren“, erklärt Karel Strachota, Direktor des Programms.

Gearbeitet wird mit aktuellen Beispielen: die Annexion der Krim, der Abschuss des Passagierflugs MH17 über dem Osten der Ukraine, die Proteste auf dem Majdan in Kiew und ihre Folgen. „Člověk v tísni“ stellt den Lehrern Filme und Unterrichtsmaterial kostenlos zur Verfügung. Ein Beispiel: Der Dokumentarfilm „The World According to Russia Today“ beschreibt die Arbeitsweise des international agierenden russischen Rundfunksenders RT, der nach eigenen Angaben von 664 Millionen Menschen weltweit gesehen wird. Ehemalige Mitarbeiter werfen dem Sender politisch gelenkte Berichterstattung und Verschleierung der Wahrheit vor. Noch für den Sender Aktive streiten das ab und beklagen Manipulation und Propaganda amerikanischer und anderer westlicher Medien.

Im Anschluss an den Film schlagen die Macher des Programms eine Recherche über den Abschuss des Fluges MH17 vor. Auf verschiedenen Kanälen sollen sich die Schüler über den Hergang der Ereignisse informieren. Danach vergleichen sie ihre Ergebnisse. Andere Arbeitsblätter thematisieren die russischen „Troll-Fabriken“, über die in den vergangenen Monaten die „Zeit“ und die „New York Times“ berichteten. Dort soll der Kreml Menschen angeblich mit der Aufgabe beschäftigen, Artikel westlicher Medien zur russischen Politik in der jeweiligen Landessprache kritisch zu kommentieren.

Historische Bezüge
Sind die Inhalte der Kurse für Teenager hierzulande überhaupt relevant? Laut „Člověk v tísni“  übernehmen viele tschechische Nachrichtenkanäle die russische Sicht der Dinge. „Tschechien ist ein Ziel russischer Propaganda. Es gibt viele Internetseiten und andere Medien, die diese Inhalte verbreiten. Darum haben wir uns entschlossen, unsere Angebote zum Thema Medienkompetenz um diesen Aspekt zu erweitern“, so Programm­direktor Strachota. Der Einfluss des pro-russisch orientierten Präsidenten Miloš Zeman verdeutliche, wie wichtig es sei, Medieninhalte richtig zu bewerten. Auch historische Bezüge werden hergestellt, Parallelen zwischen der Annexion der Krim und der Invasion der Warschauer-Pakt-Staaten 1968 gezogen. Der Titel der Unterrichtseinheit lautet „Bei uns haben sie auch geholfen“ – eine Anspielung auf die Befreiungsrhetorik von russischer Seite.
 
Die erste Reaktion auf die Kurse, die bisher nur an ausgewählten Schulen getestet wurden, ließ nicht lange auf sich warten. Der Server aeronet.cz, der in einem der Lehrvideos als Beispiel für die Verbreitung russischer Propaganda gezeigt wird, veröffentlichte eine Stellungnahme und bezeichnete den kurzen Film selbst als „propagandistisch“, die Organisation „Člověk v tísni“ als Verbündete des amerikanischen Geheimdienstes, die zu den „zentral geplanten Erziehungsmethoden“ der fünfziger Jahre zurückkehren wolle und alternative Medien diffamiere.