Inspiration aus Fernost
Die Nationalgalerie stellt Werke böhmischer Vertreter des Japonismus vor
4. 6. 2014 - Text: Stefan WelzelText: Stefan Welzel; Bild: NG
Bunt, lieblich, schwelgerisch und fremdartig: Werke des „ukiyo-e“- und verwandter Kunstformen entführen den Betrachter in eine ferne, traumwandlerische Welt. Genauer gesagt: nach Japan. „Ukiyo-e“ ist der Sammelbegriff für die typische Malerei und Druckgrafik, die den Alltag einer neuen, weltoffenen Bürgerschicht im Land der aufgehenden Sonne ab Mitte des 19. Jahrhunderts sowie idyllische, romantisierte Landschaften zum Gegenstand hat.
Im Salm-Palais präsentiert die Nationalgalerie eine umfangreiche Auswahl an Werken von tschechischen und deutschen Künstlern, die jenen für sie exotischen Stil übernahmen, kopierten und mit ihrem westlichen Kunstverständnis kombinierten. Daneben sorgen Dokumentationen über japanische Literatur, Fotografie und Serien originaler „ukiyo-e“-Exponate für einen umfassenden Einblick in den Japonismus, der in Europa um die Wende des 19. zum 20. Jahrhundert „en vogue“ war.
Zum ersten Mal tauchte der Begriff des Japonismus 1872 in Frankreich auf. Das Interesse an fernen Ländern wuchs in Europa proportional zum technischen und wissenschaftlichen Fortschritt. Gelehrte und Künstler entdeckten durch japanische Exportschlager ihre Faszination für ein Land, das so fern schien wie gerade entdeckte Galaxien. Von Paris aus sprang der Funke auf ganz Europa über.
In der französischen Hauptstadt wohnten zu dieser Zeit auch die tschechischen Maler Alfons Mucha und Vojtěch Preissig. Die Jugendstil-Vertreter zeigten sich von „ukiyo-e“-Holzschnitten tief beeindruckt. Die stilisierten zweidimensionalen Kompositionen, die teilweise strengen geometrischen Motive, die sich mit verspielten Naturdarstellungen abwechselten, stachelten das ethnologische Interesse genauso an wie die handwerkliche Adaption.
Emil Orlik war es dann, der als erster böhmischer Künstler die spezielle Technik des Holzschnitts und der Radierung erlernte, und zwar direkt vor Ort bei japanischen Meistern. Das Mitglied der Wiener und später der Berliner Secession bereiste Asien zwei Mal. Die Eindrücke, die Orlik dort gewann, schlugen sich in Darstellungen der Menschen nieder, die er auf seinen „Expeditionen“ antraf. So begegnet man in „Zwei Japaner“ aus dem Jahr 1900 seinem typisch kühlen Blick auf die dort vorherrschenden Lebenswirklichkeiten.
Doch Orlik bewegte sich auch ständig zwischen Jugendstil und Realismus. Gerade letzterer führte dazu, dass er die für westliche Künstler bezeichnende Zentralperspektive sowie die lebensnahe Wiedergabe des Gemalten nicht ausblenden konnte.
Diese Unterschiede in der kulturellen Prägung fallen dem Besucher beim Vergleich mit Originalen von Utagawa Kunisada oder Katsushika Hokusai auf, um nur zwei der bekanntesten Vertreter des „ukiyo-e“ zu nennen. Sie spiegeln sich zum Beispiel in Kunisadas Portrait des Schauspielers Iwai Hanshiro von 1852 wider, das an die symbolträchtige Überhöhung einer Comic-Zeichnung erinnert.
Orliks Beispiel folgten in den Jahrzehnten danach viele weitere deutsch- sowie tschechisch-stämmige böhmische Künstler. Dazu gehören Václav Fiala, Ota Matoušek, Bohumil Kubišta, Otto Gutfreund oder Jindřich Štyrský. Ihnen allen war das Interesse an einer äußerst poetischen Ästhetik gemein, die nicht wenige zeitgenössische Rezipienten zu Unrecht als japanische Volkskunst interpretierten.
Die Schau im Salm-Palais ist nicht nur für Freunde fernöstlicher Kunst lohnenswert, sondern auch für diejenigen, die sich für die kulturgeschichtlichen Aspekte jener Epoche und deren Weltbild interessieren.
Japonismus in der tschechischen Kunst. Salm-Palais (Hradčanské náměstí 2, Prag 1), geöffnet: täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, Eintritt: 100 CZK (ermäßigt 50 CZK), bis 7. September
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