Integration mit Safran und Kardamom
Mit Rezepten aus ihrer Heimat bekochen Migrantinnen bei „Ethnocatering“ bis zu 2.000 Gäste. Die Erträge des Unternehmens fließen in Projekte für Zuwanderer
22. 4. 2015 - Text: Corinna AntonText und Foto: Corinna Anton
Im Keller riecht es wie in Mamas Küche am Tag vor einem Geburtstag. Süßlich und warm ist die Luft, die von Backofen aus bald den ganzen Raum erfüllt. Lucie steht vor dem Sichtfenster in der Ofentür und beobachtet konzentriert, wie die Masse aus Butter, Zucker und Eiern Form annimmt. Dann gießt sie die Sahne für die Creme-Füllung in einen Topf.
Vor der Tür des Wohn- und Geschäftsgebäudes am Strossmayer-Platz in Holešovice deutet nichts auf die Backstube in der untersten Etage hin. Auf dem Klingelschild steht „Inbáze“, der Name einer gemeinnützigen Organisation, die Migranten hilft, sich in Tschechien zurechtzufinden. Auf das Läuten reagiert zunächst lange niemand. Dann öffnet Natela Kukava mit mehligen Händen laut atmend die Tür. „Ja bitte?“ Dass die Chefköchin gerade mitten in der Arbeit steckt, sieht man nur an ihren staubig-weißen Fingern. Zum schwarzen Oberteil trägt sie eine schwarz glänzende Halskette, die weiße Schürze wird sie erst später fürs Foto wieder überziehen.
„Heute machen wir eine Kaffeetorte, eine Datteltorte und Chatschapuri“, erklärt Kukava auf Tschechisch, dazwischen gibt sie Lucie und einer dritten Bäckerin Anweisungen auf Russisch. Sie selbst kam 2008 aus Georgien nach Prag: Schon damals war sie über 50 Jahre alt, hatte noch keine Sprachkenntnisse, dafür aber eine Ausbildung und Berufserfahrung als Kindergärtnerin, mit der sie in Tschechien nichts anfangen konnte. Als „schwer vermittelbar“ werden Frauen wie Kukava in der Behördensprache der Arbeitsvermittler oft bezeichnet, ohne dass jemand nach ihren verborgenen – und manchmal auch ganz offensichtlichen – Talenten fragen würde.
Unbekannte Delikatessen
Die Mitarbeiter von Inbáze hatten dagegen bereits vor etwa zehn Jahren ein Rezept für Fälle wie Kukava. Das heißt, eigentlich hatten die Frauen selbst die Rezepte im Kopf: Weil viele Migrantinnen bei Integrationskursen und anderen internen Veranstaltungen die Gäste immer wieder mit unbekannten Delikatessen bekochten, entstand die Idee, ein Sozialunternehmen zu gründen, in das sie ihre kulinarischen Fähigkeiten einbringen können. Kurz darauf wurde unter dem Namen Ethnocatering erstmals Essen ausgefahren. Mittlerweile beliefere der Betrieb mit wechselndem Küchenpersonal Hochzeitsgesellschaften und Cafés ebenso wie Unternehmensfeiern und Botschaften, erzählt Kukava stolz. Die Angestellten bekommen einen Lohn; was von den Einnahmen übrig bleibt, wird wieder in die Firma und das Angebot von Inbáze investiert.
Die fünf Köchinnen, die derzeit aus Georgien, Armenien und Afghanistan kommen, stellen mit ihren Aushilfen Speisen für bis zu 2.000 Personen her. Auf der Karte stehen zum Beispiel georgisches Chartscho (Hühnerfleisch in Walnusssoße mit Safran), afghanisches Kabuli (Reis mit Hühnerfleisch, Möhren, Rosinen und Kardamom) oder hausgemachte Teigrollen, die auf armenische Art mit Rindfleisch gefüllt und in Tomatensoße serviert werden. Für ein kaltes Buffet kreieren Kukava und ihre Kolleginnen Badridschani (Rollen aus panierten Auberginen) oder Bulani (mit Rindfleisch und Kreuzkümmel gefüllte Fladen). Zum Dessert gibt es armenische Buchteln, georgische Nussrouladen oder eine afghanische Spezialität aus Zucker, Pistazien und Kardamom.
Gewürze im Urlaubskoffer
„Die Rezepte haben wir von unseren Müttern und Großmüttern, sie werden von Generation zu Generation weitergegeben“, sagt Kukava, während Lucie den Teig für das traditionelle georgische Chatschapuri knetet. Für die Füllung des Brotes stehen Käse und Blattspinat bereit. Typisch für die Küche ihres Heimatlandes seien außerdem Walnüsse, so Kukava. Und Gewürze wie Safran oder Koriander, die sie am liebsten direkt am Schwarzen Meer kauft, wenn sie dort Urlaub macht. „Fünf bis sechs Kilo bringe ich jedes Jahr mit.“
Die übrigen Zutaten für kaukasische und andere exotische Gerichte seien mittlerweile in Prag einfacher zu bekommen als noch vor ein paar Jahren, sagt Nermin Cavrk. Der Bosnier kümmert sich um den Einkauf und ist für den Service verantwortlich. Noch heute wird er die fertigen Torten abholen und an Prager Cafés ausliefern. Zu Pfanne und Nudelholz greift er bei Ethnocatering aber nicht, denn zu den Prinzipien des Unternehmens gehört, dass in der Küche ausschließlich Frauen das Sagen haben.
Verzicht auf Brot und Torten
Kukava findet das nicht verwunderlich, Männer und Kochen passen ihrer Meinung nach ohnehin nicht zusammen: Wie jede georgische Frau könne sie alle Speisen zubereiten, obwohl sie keine gastronomische Ausbildung habe. „So ist unsere Mentalität: Die Frau kümmert sich um den Mann, deshalb muss sie ihm alles kochen können. Eine Schule für Köche brauchen wir dafür nicht, wir lernen bei unseren Müttern und Großmüttern.“ Einen Mann am Herd kann sich die 60-Jährige in Georgien in ihrer Generation nicht vorstellen: „Das gibt es höchstens bei den Jüngeren.“
So wie sie alles kochen könne, esse sie auch alles gerne, was die georgische Küche hergebe, sagt Kukava. Wenn sie sich auf ein Lieblingsessen festlegen müsste, dann wäre es das Fleischgericht Chartscho. Auf Brot und Torten versuche sie zu verzichten, weil sie nicht dick werden wolle. Als Küchenchefin müsse sie aber natürlich gelegentlich probieren, was sie und ihre Mitstreiterinnen aus dem Ofen holen. Zuhause in Prag, wo Kukava mit ihrer Tochter und den Enkeln wohnt, kommen auch tschechische Gerichte auf den Tisch, zum Beispiel wenn die Tochter Gulasch oder Schnitzel zubereitet. „Die Kinder mögen das sehr gerne und ich auch.“ Dass ihre Enkelin vor lauter Schule und Lernen keine Zeit habe, richtig georgisch kochen zu lernen, das findet die Oma allerdings ein bisschen schade.
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