Kalenderblatt: 22. Februar
Vor 20 Jahren: Die tschechische Eishockey-Nationalmannschaft gewinnt Gold bei den Olympischen Winterspielen in Nagano
22. 2. 2018 - Text: PZ
Am 22. Februar 1998 gewinnt Tschechien olympisches Gold im Eishockey. Bis heute gilt der Finalsieg gegen Russland als der größte Erfolg in der tschechischen Sportgeschichte. Über 100.000 Eishockey-Fans versammeln sich damals in den frühen Morgenstunden auf dem Altstädter Ring in Prag, um das Spiel live zu sehen. Nach dem Schlusspfiff kennt der Jubel keine Grenzen. Einen Tag später sind es sogar an die 140.000 Tschechen, die den „Helden von Nagano“ einen einzigartigen Empfang bereiten (>>> Video von der Live-Übertragung des Tschechischen Fernsehens).
Für die Olympischen Winterspiele 1998 hatte selbst die nordamerikanische Eishockey-Liga NHL ihren Spielbetrieb unterbrochen und den Profis die Teilnahme ermöglicht. Auch deshalb spricht man in Tschechien vom „Turnier des Jahrhunderts“. Dass der Olympiasieg für die Tschechen weit mehr als ein Sportereignis war, verdeutlicht ein Kommentar, der zum 20. Jahrestag in der Tageszeitung Lidové noviny erschien. Darin fordert der Autor, der 22. Februar müsse zum Nationalfeiertag ausgerufen werden.
Unter dem Titel Jetzt sind wir die Könige von Japan berichtete auch die Prager Zeitung in der Ausgabe vom 26. Februar 1998 über die Auftritte der tschechischen Eishockey-Nationalmannschaft in Nagano – und in Prag:
Der 22. Februar 1998 wird ein für allemal in die Eishockey-Geschichte eingehen. Das Nationalteam des kleinen Landes Tschechien (…) wurde Olympiasieger im „Turnier des Jahrhunderts“. Zum ersten Mal in der Geschichte der schnellsten Mannschaftssportart haben bei den XVIII. Olympischen Winterspielen im japanischen Nagano die 14 besten Eishockeyteams der Welt und mit ihnen die größten Stars der kanadisch-amerikanischen Profiliga NHL teilgenommen.
Schon lange vor Turnierbeginn galten die Mannschaften Kanadas und der USA als die großen Favoriten. Ihre Fans hatten sich kein anderes Endspiel als das Duell zwischen diesen Beiden vorstellen können. Das Spiel um die Bronzemedaile sollte dann zwischen Russland, Schweden oder Finnland ausgemacht werden. Die tschechische Nationalmannschaft wurde dagegen von den meisten Experten und Journalisten als Außenseiter gehandelt. Sie bestehe aus 23 „nur wenig talentierten Spielern“, hieß es in der amerikanischen Presse. Nur wenige Fachleute aus dem Ausland und ehemalige tschechoslowakische Eishockeyspieler hatten die Tschechen als Geheimtipp des Turniers angesehen. Und in der Tat ist das tschechische Team, das das Trainer-Trio Ivan Hlinka, Slavomír Lener und Vladimír Martinec mit Spielern der NHL, der schwedischen und finnischen Liga sowie der tschechischen Extraliga zusammengestellt hat, am Sonntag über seinen Schatten gesprungen. Im Endspiel besiegten die Tschechen die favorisierte russische Mannschaft durch den 1:0-Treffer des Verteidigers Petr Svoboda in der 49. Minute. Die Überraschung war perfekt.
Schon der erste Sieg in der Zwischenrunde gegen Finnland hatte angedeutet, wo die Stärke der tschechischen Auswahl liegt: beim praktisch unüberwindbaren Tormann Dominik Hašek, in der sicheren Verteidigung mit Jiří Šlégr und in der Improvisationskunst der Angreifer Jaromír Jágr und Robert Reichel. Die Stars, die bei den Buffalo Sabres, Pittsburgh Penguins und New York Islanders den Ton angeben, haben sich großartig in die Mannschaft eingefügt. Der Trainer hatte immer wieder betont, dass eine Mannschaft mit 23 Arbeitern mehr bedeutet als eine Gruppe von Einzelstars.
Im Viertelfinale gegen die USA, das für die Tschechen eines der schwersten Spiele war, wurde der Sieg vor allem durch den eisernen Willen und nicht zuletzt dank des ausgezeichneten Tormanns erkämpft. Hašek hielt so gut wie alles, auch die schärfsten Schlagschüsse der Amerikaner Amonte, Hull oder Chelios. Während der amerikanische Torwart viermal hinter sich greifen musste, kassierte Hašek nur einen Treffer. Im Halbfinale gegen Kanda haben sich Stars wie Gretzky, Lindros oder Yzermann an ihm die Zähne ausgebissen. Und im Endspiel auch Russlands Torjäger Pawel Bure.
Der unerwartete Sieg führte zu unbeschreiblichen Freudenszenen bei den tschechischen Spielern in den schneeweißen Trikots auf dem Eis – und wohl noch viel mehr bei den Fans in der gesamten Tschechischen Republik. Zehntausende hatten allein auf dem Altstädter Ring in Prag in den frühen Morgenstunden das Spiel auf Videoleinwänden verfolgt. Der Gewinn der olympischen Goldmedaille löste ein wahres Volksfest aus. Unbekannte lagen sich in den Armen, Autos fuhren hupend durch die Straßen und aus offenen Schiebedächern wehte die tschechische Nationalflagge. Die gelöste Atmosphäre und der Gefühlsüberschwang erinnerten an die Tage der Sanften Revolution im November 1989. Einen Tag später wurden die tschechischen Eishockeyspieler von über 140.000 begeisterten Landsleuten in Prag stürmisch begrüßt. „Jungs, wir danken Euch“ und „Hašek ist ein Gott“ hieß es in Sprechchören. Der Prager Magistrat will ihnen sogar die Ehrenbürgerschaft verleihen.
„Wie 1938“
30 Jahre PZ