Karlsbader Oblaten aus Bayern
Vor 70 Jahren schmuggelte die Sudetendeutsche Marlene Wetzel-Hackspacher ein Backeisen nach Schwaben. Seitdem stellt die Familie dort die böhmische Spezialität her
17. 2. 2016 - Text: Petr JerabekText: Petr Jerabek; Fotos: Hans Hackspacher, Jan Nechanický
Es war ein Risiko, das sich auszahlte. Als Marlene Wetzel-Hackspacher von einem Tag auf den anderen ihre böhmische Heimat verlassen musste, versteckte die junge Frau im Kinderwagen ihrer Tochter ein professionelles Oblateneisen. Bald darauf wurde es zum Grundstein ihrer neuen beruflichen Existenz. Vor 70 Jahren, Anfang 1946, kam die Sudetendeutsche nach Schwaben und begann dort, unter widrigen Umständen Karlsbader Oblaten zu backen. Bis heute steht die Wetzel Oblaten- und Waffelfabrik wie kaum eine andere für die böhmische Spezialität.
Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg betrieb die Familie im Kurort Marienbad (Mariánské Lázně) eine große Konditorei. „Wir verschickten damals schon Karlsbader Oblaten in die ganze Welt“, erzählte Wetzel-Hackspacher später immer wieder. Wenige Monate nach Kriegsende wurde sie aus der Tschechoslowakei vertrieben. Binnen weniger Stunden musste die Familie ihr Haus räumen, jeder durfte nur 30 Kilo Gepäck mit auf die Reise ins Ungewisse nehmen. Das 15 Kilo schwere Waffeleisen aus der Bäckerei versteckte die damals 23-Jährige unter ihrer einjährigen Tochter im Kinderwagen.
Hätte einer der uniformierten Tschechen den Schmuggel entdeckt, hätte Wetzel-Hackspacher sich in der aufgeheizten Stimmung der Nachkriegsmonate auf das Schlimmste gefasst machen müssen. „Aber die Kontrolleure kamen nicht auf die Idee, den Kinderwagen auszuräumen“, sagt ihr Sohn Hans Hackspacher. Die Sudetendeutschen wurden in Viehwaggons nach Bayern gebracht. Marlene Wetzel-Hackspacher machte sich mit ihrer Tochter Marlies auf ins schwäbische Zöschingen, den Heimatort ihres Manns Rudi. Dass dieser kurz vor Kriegsende gefallen war, erfuhr sie erst dort.
Neuanfang mit Hindernissen
Karlsbader Oblaten waren in der neuen Heimat völlig unbekannt, Backzutaten schwer zu bekommen. Doch Marlene Wetzel-Hackspacher griff trotzdem zu ihrem Oblateneisen. „Hier hat sie Mehl bekommen, dort Eier und ein paar Nüsse“, erzählt ihr Sohn. „Und so fing sie an, für die Dorfbevölkerung Oblaten zu backen.“ Als erste Frau in Bayern legte sie 1948 die Prüfung zur Konditormeisterin ab. Sie gründete in Dillingen die Firma Wetzel Oblaten, heiratete ein zweites Mal und baute mit ihrem Mann eine Oblatenbäckerei auf. „Mein Vater hat ein paar Eisen nachbauen lassen“, berichtet Sohn Hans. Seine Eltern hätten klein angefangen, zuerst nur Konditoreien in der Gegend beliefert, in Donauwörth, in Augsburg.
Im Jahr 1953 war es wieder die Weltpolitik, die der jungen Unternehmerin das Geschäft verdarb. Wegen der Kubakrise gab es keinen Zucker mehr. „Und ohne Zucker kann man so etwas nicht machen“, sagt Hans Hackspacher, heute Chef der Firma. Drei Jahre später starteten sie einen neuen Versuch. „Dann ging es wunderbar bergauf“, so Hackspacher. „Mein Vater war ein hervorragender Kaufmann. Er knüpfte Kontakte zu den Handelszentralen und kaufte die ersten größeren Maschinen. Bald hatte das nichts mehr mit einem rein handwerklichen Betrieb zu tun, das war schon halb industriell.“
Insgesamt 22 sudetendeutsche Oblatenbäcker stellten nach der Vertreibung in West-Deutschland die böhmische Spezialität her. Mit den Jahren wurden es immer weniger. „Übrig geblieben ist nur unsere Firma“, sagt Hackspacher. Rund 50 Mitarbeiter beschäftigt der Familienbetrieb, der seine Oblaten längst nicht nur in Deutschland verkauft, sondern bis in die USA und nach Kanada exportiert. Solange es ihr möglich war, brachte sich Marlene Wetzel-Hackspacher noch ein. Mit 90 Jahren kam sie mit ihrem Rollator täglich in die Firma. Mittlerweile lässt das die Gesundheit der 93-Jährigen nicht mehr zu.
Deutsch-tschechischer Streit
Wird Bernd Posselt, der oberste Repräsentant der Sudetendeutschen, auf Wetzel-Oblaten angesprochen, gerät er ins Schwärmen. Dabei findet er nicht nur für ihren Geschmack Superlative, sondern preist auch ihre Bedeutung für die Vertriebenen an. Er halte die Firma „für einen der wichtigsten Integrationsfaktoren der Sudetendeutschen“. Sie verbinde „die verschiedenen Gruppen in aller Welt“, aber auch die Generationen, sagt der 59-Jährige. „Jedes sudetendeutsche Kind ist mit Wetzel-Oblaten aufgewachsen.“
Posselt war es auch, der als CSU-Europaabgeordneter jahrelang in Brüssel leidenschaftlich dafür kämpfte, dass die Familie Hackspacher ihre goldgelben Waffeln weiterhin als Karlsbader Oblaten verkaufen darf. Tschechische Hersteller hatten kurz nach dem EU-Beitritt ihres Landes 2004 bei der EU-Kommission beantragt, dass nur noch Waffeln aus Karlsbad (Karlovy Vary) den Namen „Karlsbader Oblaten“ tragen dürfen. Nach jahrelangem deutsch-tschechischem Streit wurde der Schutz der geografischen Ursprungsbezeichnung zwar 2011 beschlossen – aber mit einer Einschränkung: Hersteller, die die deutsche Bezeichnung markenrechtlich geschützt haben, dürfen sie in Deutschland weiterhin auf ihre Packungen drucken. Über den nationalen Markenschutz verfügt ausschließlich die Firma Wetzel. Sie kann somit weiterhin Karlsbader Oblaten verkaufen.
Das mehr als 70 Jahre alte Waffeleisen aus der Heimat ist inzwischen längst nicht mehr im Einsatz – und trotzdem sehr gefragt. „Wir haben es noch, aber es ist ständig verliehen“, sagt Hans Hackspacher und lacht. Im vergangenen Jahr war es beispielsweise bei Ausstellungen im Haus des Deutschen Ostens in München sowie im Dillinger Stadt- und Hochstiftmuseum zu sehen.
Sehr geehrter Herr Hackspacher, ich selbst bin ein Egerländer,
Jahrgang 1940. Seid Jahrzehnten, geniesen wir Ihre Waffeln.
Doch kürzlich kauften wir in im Norma Markt am Unter Main
Kreis Miltenberg wieder Ihre Waffeln und siehe da, im kleichen
Regal liegen die Waffeln aus der Tschechei. Ich war verwundert, denn
die Tschechen sind in der Verbackung besser da gestellt.
(Marlax Husova CZ353 01 Marianske Lazne)