Karneval im Schattenreich
Lithografien und Radierungen von James Ensor im Museum Montanelli
22. 10. 2014 - Text: Peter HuchText: Peter Huch; Foto: MM
Der belgische Maler James Ensor (1860–1949) war ein eher untypisches Kind seiner Zeit. Er lebte in der Epoche der Industrialisierung, des Primats rationalen Denkens und des rasanten technischen Fortschritts. Doch für Ensor war die reale Welt nur Sinnbild einer tieferen Wirklichkeit, durchtränkt von Unerklärlichem, leidenschaftlichen Visionen und religiösen Gefühlen.
Das Museum Montanelli auf der Prager Kleinseite erlaubt anhand von 52 Werken einen tiefen Einblick in Ensors bewegtes Seelenleben. Die Ausstellung konzentriert sich dabei auf seine Lithografien und Radierungen. Wie die von der Bibel inspirierte Serie „Szenen aus dem Leben Christus“ zeigt, liegt ein eindeutiger Schwerpunkt auf seinen religiösen Werken. Die monothematische Reihe entstand zwischen 1912 und 1921 und zeichnet sich durch grotesk-makabre Motive aus. So ist in einem als „Die heilige Familie“ betitelten Bild eine handvoll dicht gedrängter Figuren zu sehen, die dem Betrachter mit ihren furchterregenden Karnevalsmasken derart derb ins Gesicht lachen, dass einem die Nackenhaare zu Berge stehen. Im starken Kontrast zum düsteren Inhalt stehen die hellen, schattenlosen Farben auf weißem Papier.
Ensor wurde 1860 im belgischen Ostende geboren, wo er auch den Großteil seines Lebens verbrachte. Er entstammte einer Handelsfamilie, die auch Karnevalsmasken vertrieb. Die bizarren Fratzen übten seit früher Kindheit einen großen Einfluss auf das Werk des Symbolisten aus. Der Ostender steht in einer Tradition von Künstlern, die mit der „Schwarzen Romantik“ im späten 18. Jahrhundert sogar in einer eigenen Kunstrichtung vereint war. Ensor teilt einige Leitmotive mit dieser Strömung, etwa typisch morbid-überzeichnete Körper, dämonische Fabelwesen, den Hang zum Tod und Todessehnsucht sowie ganz allgemein das Düstere. Ensors Traumwelten lösen nicht selten Entsetzen aus. So zeigen einige Radierungen auch mittelalterliche Foltermethoden.
Mit derartigen Darstellungen setzte er sich dem naturwissenschaftlich geprägten Fortschrittsdenken radikal entgegen. Und so gilt Ensor mitunter auch als ein Wegbereiter des Surrealismus. Später nutzte Emil Nolde Ensors Werke als Inspiration für sein eigenes Schaffen. Parallelen sind auch bei Alfred Kubin und Felix Hartlaub zu finden.
Die Schau im Museum Montanelli folgt der gleichnamigen Ausstellung des Saarlandmuseums, aus dessen Bestand die Gemälde stammen. Die Exponate, die kaum größer als 40 Zentimeter sind, wirken in den Räumen gut aufgehoben. Videoprojektionen mit Dokumentationen sowie großformatige Reproduktionen einzelner Stücke ergänzen Ausgestelltes und erlauben einen detaillierten Blick auf die technischen Fertigkeiten des Malers. Höhepunkt ist ein abgedunkelter Raum mit nur wenigen gut beleuchteten Bildern. Es sind Selbstporträts des Künstlers aus den späten 1880er Jahren, mit bezeichnenden Titeln wie „Selbstporträt als Skelett“.
James Ensor: Sterben für die Unsterblichkeit. Museum Montanelli (Nerudova 13, Prag 1), geöffnet: Mi.–Sa. 14 bis 18 Uhr, Eintritt: 80 CZK (ermäßigt 40 CZK), bis 1. Februar 2015, www.museummontanelli.com
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