Keine Angst vor Putin
Karlovy Vary lebt von russischen Touristen und Investoren. Daran hat auch die Krise in der Ukraine nichts geändert
21. 5. 2014 - Text: Corinna AntonText: Corinna Anton; Foto: Chiara Marra
Als nächstes könnte Karlovy Vary an der Reihe sein. Seit der Abstimmung auf der Halbinsel Krim gibt es kaum eine tschechische Zeitung, in deren Kommentarspalten dieser Satz noch nicht zu lesen war. Die Warnungen vor einer Invasion sind zwar nicht immer ganz ernst gemeint, dennoch eignet sich die Kurstadt mit all ihren russischen Gästen und Investoren nur zu gut, ein solches Szenario zu beschwören – vor allem bei denjenigen, die sich noch an die Okkupation im Jahr 1968 erinnern. Aber wie sieht es in Karlovy Vary aus? Herrscht dort Angst vor Putin?
Am Vormittag ist es ruhig in der Kurstadt. Am Stadtrand suchen ein paar Plattenbauten nach neuen Besitzern. Manchmal steht auf den Werbetafeln nur auf Russisch „zu verkaufen“, manchmal auch auf Tschechisch oder Englisch. Im Zentrum bauen Künstler und Händler ihre Stände mit gehäkelten Decken und geflochtenen Körben auf. In einem Geschäft, das pflanzliche Produkte anbietet, die schön und gesund machen sollen, grüßt eine Verkäuferin auf Tschechisch mit „Dobrý den“. Noch bevor man antworten kann, schiebt ihr Kollege an der Kasse ein russisches „Zdravstvujte“ hinterher.
Am Ufer des Flusses Tepl, an dem sich die Kolonnaden und Thermalbäder entlangziehen, wartet Antonín Anton auf die ersten Kunden. „Russen gibt es hier wirklich viele“, sagt er, „wenn Sie mich fragen: zu viele“. Er fährt eine von 14 Pferdekutschen durch die Stadt, 30 Minuten für 1.000 Kronen (etwa 36 Euro). Die meisten seiner Passagiere kommen aus Russland. „Ja, wir brauchen die Touristen, aber wegen der Russen kommen die Deutschen nicht. Jetzt ist Krieg, deswegen fahren auch die Russen nicht her. Und die Araber sind gerade nach Hause geflogen, weil der Ramadan begonnen hat. Also kommt niemand, das ist schlecht fürs Geschäft“, erklärt er seine Sicht der Dinge.
Dass er so schlecht auf russische Gäste zu sprechen ist, begründet er damit, dass er sich noch gut an 1968 erinnert. „Meine Mutter hat noch die andere Okkupation miterlebt. Sie mochte die Deutschen nicht, aber mir sind die Deutschen lieber als die Russen.“ Angst vor einer neuen Invasion hat er trotz der Krise in der Ostukraine nicht. „Die reichen Russen sind schon weitergezogen, nach Amerika, Frankreich oder in die Schweiz“, sagt Anton und wünscht sich: „Schreiben Sie, dass die Russen nicht mehr kommen, vielleicht kommen dann wieder mehr Deutsche. Und schreiben Sie auch, dass diese Aufschriften stören.“
In der Tradition des Zaren
Diese Aufschriften – Anton meint die kyrillischen Buchstaben an Werbetafeln, in Schaufenstern und auf Plakaten – stören auch den stellvertretenden Bürgermeister Petr Bursík und die Stadtverwaltung. Deshalb wird derzeit an einem Gesetz gearbeitet, das regeln soll, dass es auch tschechische Aufschriften geben muss. Ansonsten vertritt der ODS-Politiker Bursík aber einen ganz anderen Standpunkt als der Kutscher Anton.
„Sollen wir Deutsch oder Tschechisch sprechen? Wir können alles“, sagt er vor dem Interview im Rathaus, das sich in der Moskevská, der Moskauer Straße, befindet. Parallel dazu verlaufen die Krymská- und die Jaltská-Straße. Bursík entscheidet sich dann doch lieber für Tschechisch und holt gleich bei der ersten Frage nach den russischen Besuchern weit aus, bis zu Zar Peter dem Großen, der im 18. Jahrhundert nach Karlsbad zur Kur kam. Auch der Schriftsteller Dostojewski und „viele andere“ Besucher aus Russland hätten sich hier wohlgefühlt, sagt Bursík, um zu dem Schluss zu kommen: „Die Russen waren immer hier, sie sind hier und sie werden auch in Zukunft hier sein.“
Aber wenn von „den Russen“ gesprochen werde, dann sei das nicht ganz korrekt, gibt der Vizebürgermeister zu bedenken. Meistens werden alle Bewohner der Nachfolgestaaten der Sowjetunion in einen Topf geworfen und als Russen bezeichnet. Gemeinsam machten sie in den vergangenen Jahren etwa die Hälfte aller Kur- und zwei Drittel aller Übernachtungsgäste aus. Genaue Zahlen hat das Rathaus für 2012: Von insgesamt mehr als 90.000 Kurgästen kamen gut 53.000 aus Russland, knapp 5.500 aus der Ukraine. Zum Vergleich: Aus Deutschland waren es 12.600. Die Tschechen bildeten mit gut 3.500 eine Minderheit, so wie die zwei älteren Ehepaare, die sich gerade auf eine kleine Mauer vor der Sprudel-Kolonnade gesetzt haben.
Sie sind zum ersten Mal in Karlovy Vary. Viele Besucher starren hier lange bedächtig auf die Wasserfontäne in der Mitte des Raumes und schweigen. Eine der beiden Tschechinnen hat einen ganzen Stoß mit Informationen über die Sehenswürdigkeiten der Stadt aus dem Internet ausgedruckt und liest nun daraus vor, dass es in der Stadt eine bekannte Kirche von einem gewissen Dientzenhofer geben soll, und einen japanischen Garten, den sie gerne sehen würde. Die andere nippt an ihrem rosa Porzellangefäß, das in der typischen Form mit dem geschwungenen Henkel an eine Schnabeltasse erinnert und aus dem hier alle das heiße Wasser schlürfen. Die tschechischen Männer fragen sich noch, ob die Fontäne vor ihnen wirklich 20 Meter hoch ist, dann geht es weiter zur nächsten Kolonnade. Denn wie so viele Gäste aus Tschechien oder den Nachbarländern verbringen sie nur wenige Tage oder Stunden in Karlovy Vary.
Neue Märkte in Fernost
Die russischsprachigen Touristen hingegen bleiben oft mehrere Wochen. Für Hoteliers und andere Geschäftsleute sind sie daher unentbehrlich. Die Krise in der Ukraine droht das Geschäft zu verderben. Von Einbußen in Höhe von 10 bis 30 Prozent berichten einige, sagt Rathaus-Sprecher Jan Kopál, allerdings habe die Saison gerade erst begonnen. Tragisch sei das aber nicht, meinen Kopál und Bursík. Karlovy Vary habe immer seine Besucher gefunden und werde das auch in Zukunft.
In den achtziger Jahren seien es die Araber gewesen, in den neunziger Jahren die Deutschen, etwa ab 2000 die Russen – und vielleicht werden sie irgendwann von Gästen aus Indien und China abgelöst. „Das sind Märkte, die uns interessieren“, sagt Kopál. Aber auch das Ruhrgebiet mit seiner dichten Besiedlung wolle die Stadt stärker umwerben. Kopál schwebt eine direkte Flugverbindung vor, aber der Flughafen wird von einem privaten Unternehmen betrieben, das bisher regelmäßige Verbindungen nur in Richtung Osten anbietet, hauptsächlich nach Moskau. Linienflüge, etwa ins Ruhrgebiet, müssten auch wirtschaftlich sein. Aber am größten ist die Nachfrage derzeit eben in Russland, und zwar nicht nur von Touristen.
Für Karlovy Vary vielleicht noch wichtiger war und ist das Geld der russischsprachigen Unternehmer. „Im Stadtzentrum sind 80 Prozent der Investitionen im Baubereich aus russischer Hand“, erklärt der Vizebürgermeister, ein gelernter Architekt. Das bringe nicht nur Geld, ohne das so manche schicke Fassade wohl längst nicht so prunkvoll renoviert worden wäre, sondern auch Arbeitsplätze für Einheimische. Wie die Einwohner von Karlovy Vary darüber denken, ist Bursík zufolge auch eine Generationen-Frage. Während seine Eltern noch eine skeptische Einstellung hätten, sei seine, nach 1968 geborene Generation, pragmatischer.
Draußen im Stadtzentrum ist es inzwischen lauter und bunter geworden. Eine junge Frau mit einem Fähnchen in der Hand führt eine Touristengruppe durch die Stadt. Auf eine tschechische Frage nach dem Weg zur Seilbahn antwortet sie achselzuckend, sie spreche nur Russisch. Im noblen Café Azyl begrüßen die Kellnerinnen zwei Damen in hohen Schuhen und teuren Kleidern, ebenfalls auf Russisch. Die Speisekarte hängt in sechs Sprachen an der Wand.
Ein paar Meter weiter machen weniger betuchte Kurgäste mit dicken Füßen in Socken und Schlappen Einkäufe auf dem Jan-Palach-Platz, auch hier wird fast ausschließlich Russisch gesprochen. Die Frauen verhandeln über eine Wanduhr mit Kolonnade-Motiven. Im Café Republica dagegen bedient Filip seine Gäste auf Tschechisch. „Ob Russe oder Tscheche, ich sehe jeden Menschen als Menschen“, sagt der 26-Jährige. Das Café in der Masaryk-Straße liegt etwa zehn Gehminuten vom Kurzentrum entfernt und doch trennen es Welten von den Nobelrestaurants zwischen den Heilbädern. Hier treffen sich Einheimische, manchmal kommen auch Touristen. Ja, es seien viele in der Stadt, vor allem Russen, sagt Filip. Aber er weiß auch, dass sie Karlovy Vary am Leben halten. „Mir gefällt es hier ganz gut so wie es ist.“
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