Kennenlernen in der Blackbox
Das Theaterprojekt „Art Magica“ zeigt Jugendlichen, wie man sich auch ohne Worte näher kommen kann
25. 4. 2013 - Text: Franziska NeudertText: Franziska Neudert; Foto: Ute Baumann
Tanzende Hände, fliegende Beine und schwebende Köpfe. Wenn Schwarzlicht den Raum in Finsternis taucht, dann passiert, was physikalische Gesetze eigentlich verbieten. In dieser wundersamen Welt ist alles möglich. Leuchtende Figuren erscheinen aus dem Nichts und körperlose Hände werfen sich einen glühenden Vollmond zu. Doch hinter der scheinbar mühelosen Leichtigkeit steckt harte Arbeit. Die rätselhaften Gestalten entpuppen sich als irdische Jugendliche, die spielerische Choreographie als das Ergebnis eines einwöchigen Workshops.
„Art Magica“ heißt das Schwarzlichttheater-Projekt, das jeweils zehn deutsche und zehn tschechische Schüler im Alter von 13 bis 14 Jahren zusammenbrachte. „Das schlimmste Alter überhaupt“, wie Ute Baumann mit einem zwinkernden Auge sagt. Die Stuttgarter Kunstpädagogin ist überzeugte Verfechterin des Schwarzlichttheaters als Methode für die Arbeit mit internationalen Jugendgruppen. Sieben Tage lang betreute sie die Schüler der Berliner Paul-Löbe-Oberschule und der südböhmischen Grundschule in Choustník. Gemeinsames Ziel: ein Theaterstück der anderen Art auf die Beine zu stellen – eine spielerische Annäherung über die Landesgrenzen hinweg.
Im Dunkeln versteckt
Das ist gar nicht so einfach, nicht nur wegen der Sprachbarriere. „Die Jugendlichen sind ja so schüchtern. Meist dauert es einige Tage, bis das Eis gebrochen ist und sie die andere Seite überhaupt wahrnehmen“, weiß Baumann aus eigener Erfahrung. Dann aber geht alles sehr schnell, die Jugendlichen werden ein Herz und eine Seele“, fügt sie hinzu. Es ist bereits das zweite Mal, dass sie das grenzüberschreitende Projekt des Berliner Ludwig-Wolker-Hauses und des Hauses der Kinder und Jugend der Stadt Prag (Dům dětí a mládežě Hlavního města Prahy) künstlerisch leitet. Wie vor zwei Jahren ging auch diesmal am Ende alles gut.
Wenn es darum geht, Hemmungen abzubauen und jenseits der gesprochenen Sprache einen Zugang zueinander zu finden, hat sich Schwarzlichttheater als ein ideales Medium herausgestellt. Es eignet sich daher vor allem, wenn fremdsprachige Gruppen aufeinandertreffen. „Weil alles im Dunkeln passiert und man versteckt ist, kann man sich auch viel mehr trauen“, erzählt die Pädagogin. Nicht nur zwischenmenschliche Barrieren fallen dann innerhalb von kurzer Zeit, auch eigene Hemmschwellen knicken ein. „Hier kommen versteckte Sehnsüchte zum Vorschein”, meint Baumann. Im Rampenlicht würden die Jugendlichen sich nie so ausleben.
Das Prinzip des Schwarzlichttheaters ist simpel. Die Schauspieler agieren in einem völlig abgedunkelten Raum, der sogenannten Blackbox. Als einzige Lichtquelle dienen Schwarzlichtlampen, die lediglich weiße oder neonfarbene Gegenstände zum Leuchten bringen. Die schwarz gekleideten Mimen hingegen bleiben unsichtbar. So kommt es, dass außergewöhnliche Phantome scheinbar dem Nichts entspringen. Das begeistert nicht nur die rund 40 Zuschauer bei der Prager Premiere. Vor allem den jungen Akteuren kann man Freude und Stolz an der Nasenspitze ansehen. Was am meisten Spaß gemacht hat? „Alles!“ schwärmt Julia, die eben noch auf der Bühne einen glühenden Riesenwurm zum Tanzen gebracht hat. Auch der Rest der Gruppe strahlt nach der Aufführung vor Begeisterung.
Der Anfang aber war schwierig. Da musste Dolmetscher Radek Švec am Besten überall gleichzeitig vermitteln. Inzwischen ist seine Hilfe kaum noch nötig. Die Jugendlichen sind längst über Facebook miteinander vernetzt, necken sich mit Nachrichten, obwohl sie keine zwei Meter voneinander entfernt im selben Raum sitzen.
Gemeinsam zaubern
Im Prager Theaterklub Klamovka haben die Schüler in täglichen Workshops an der Aufführung gearbeitet. Nach gemeinsamer Lektüre der Geschichte „Königin der Farben“, die zur Grundlage des Stücks wurde, und einer Einführung in die Geheimnisse des Schwarzlichttheaters ging es ans Tüfteln: Requisiten wurden ausgesucht, Kostüme gebastelt und Bewegungen einstudiert. Auf dem Programm stand auch der Besuch eines „richtigen“ Schwarzlichttheaters. „Die Jugendlichen fanden es ganz toll. Viele waren ja zum ersten Mal in ihrem Leben überhaupt in einem Theater. Ich muss allerdings sagen, dass unsere Effekte wesentlich mehr zu bieten haben als die der Profis“, erzählt Renate Krekeler-Koch vom Ludwig-Wolker-Haus, Projektleiterin von deutscher Seite.
Mindestens genauso groß ist der Erfolg auf zwischenmenschlicher Ebene. „Es gibt ja immer wieder Vorbehalte, dem Fremden zu begegnen, obwohl Berlin noch nicht einmal fünf Stunden von Prag entfernt ist“, so Krekeler-Koch, „und dann ist es immer wieder erstaunlich, wie ähnlich sich die Jugendlichen doch sind. Egal, aus welchem Land sie kommen, sie teilen die gleichen Interessen und lachen über die gleichen Dinge.“
Mit Unterstützung des Koordinierungszentrums für deutsch-tschechischen Jugendaustausch Tandem und dem Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds hofft Krekeler-Koch, auch im übernächsten Jahr wieder mit dem schwarzen Licht zaubern zu können. Dann vielleicht sogar als trilaterales Projekt, erweitert um den Nachbarn Polen. Zuvor aber gibt es ein Rückspiel: Im September reisen die tschechischen Schüler nach Berlin, wo sie ebenfalls eine Woche mit ihren neuen Freunden verbringen. Am Ende werden wieder fantastische Figuren über die Bühne schweben und zeigen, wie viel auch ohne Worte geschehen kann.
„Markus von Liberec“
Geheimes oder Geheimnistuerei?