Kommentar: Unbekannter Held

Kommentar: Unbekannter Held

Sir Nicholas Winton sollte endlich auch in Deutschland eine hohe Auszeichnung erhalten

21. 5. 2014 - Text: Marcus HundtText: Marcus Hundt; Foto: Česká centra

Sir Nicholas Winton, der am 19. Mai seinen 105. Geburtstag feierte, ist für seine Rettungsaktion kurz vor Beginn des Zweiten Weltkrieges mit zahlreichen Auszeichnungen geehrt worden – und nicht nur dafür. Bereits 1983 – also fünf Jahre bevor herauskam, dass er die „tschechischen Kindertransporte“ (gemeinsam mit Freunden und seiner Mutter) ermöglichte, war Winton für Verdienste um das Gemeinwohl zum Member of the Order of the British Empire (MBE) ernannt worden.

Nachdem die BBC Ende der achtziger Jahre eine Dokumentation über seine Rolle in der von Nazideutschland besetzten Tschechoslowakei sendete, folgten weitere Ehrungen – in Großbritannien und vor allem in der Tschechischen Republik. Hierzulande wurden Schulen nach ihm benannt, Filme über ihn gedreht, Denkmäler aufgestellt – eines davon auf dem Prager Hauptbahnhof. In beiden Ländern wird Nicholas Winton bis heute als Held verehrt. Doch warum nicht auch in Deutschland oder Österreich? Die Geschichte von den Winton-Zügen und anderen Kindertransporten ist dort viel weniger bekannt. Dabei würde sich das Thema zum Beispiel im Geschichtsunterricht anbieten.

Der Sohn deutscher Auswanderer, der in der Zwischenkriegszeit in Deutschland gelebt und den Aufstieg der Nationalsozialisten von England aus mit Sorge verfolgt hatte, fühlte sich nach einem Besuch in der Tschechoslowakei Ende des Jahres 1938 zum Handeln verpflichtet. Dabei kam ihm zugute, dass er bereits zuvor Hilfsorganisationen für Verfolgte des Naziregimes unterstützt hatte. Seine Familiengeschichte und jüdische Abstammung spielten dabei sicher eine Rolle. Es drängt sich die Frage auf, warum Winton noch keine hohe Auszeichnung in der Bundesrepublik erhalten hat. Weil er britischer Staatsbürger ist, Prag in Tschechien liegt, er nichts zum Aufstieg von Nachkriegsdeutschland beigetragen hat? Wenn es einer solchen Begründung bedürfte – und das wäre absurd, könnte man entgegenhalten, dass Prag zum Zeitpunkt der Kindertransporte von Deutschen besetzt war und sich unter den geretteten Kindern zahlreiche deutsche befanden. Eine Ehrung ist längst überfällig.