Kriegsgedenken mit Schlachten ohne Blut
Vor 150 Jahren standen sich Preußen und Österreicher bei Königgrätz gegenüber – Für Tschechen sollte das kein Grund zum Feiern sein
22. 6. 2016 - Text: Friedrich GoedekingText: Friedrich Goedeking; Fotos: APZ und Messe Brünn
Mit vielen Veranstaltungen begehen die Tschechen in wenigen Wochen den Jahrestag der Schlacht bei Königgrätz (Hradec Králové). Im Deutschen Krieg trafen am 3. Juli 1866 Preußen und Österreicher aufeinander. Genau 150 Jahre später werden die nachgestellten Schlachten bei Hradec Králové und an benachbarten Orten die Hauptattraktion sein. Die Kämpfe ohne Blut, Schweiß und Tränen erfreuen sich hierzulande großer Beliebtheit. Nach Kanonendonner, heftigem Schusswechsel, viel Pulverdampf und Feuerwerk werden sich die Hobby-Soldaten in historischen Uniformen – mit Pickelhauben, Säbeln und Bajonetten ausgerüstet – heil und unversehrt von den Zuschauern feiern lassen. Ein Spektakel, das mit der historischen Schlacht, bei der etwa 30.000 Soldaten tot oder verwundet auf dem Feld blieben, nichts gemein hat.
Weit höher war noch die Zahl der Toten, die durch die Cholera ums Leben kamen. Sie breitete sich damals in Böhmen und Mähren durch die Eilmärsche der Preußen aus und erfasste vor allem die Zivilbevölkerung.
Zeitgenössische Berichte über das Elend, das der Krieg anrichtete, gibt es nur wenige. Zu groß war die überschäumende Begeisterung vor allem in den preußischen Ländern über den errungenen Sieg.
Ein österreichischer Kriegsbeobachter zeigte da schon mehr Empathie für die Opfer: „Von unsern Schanzen aus übersah man das ganze Schlachtfeld und darüber hinaus jenseits Sadowa das unendliche Lager der preußischen Armee“, heißt es in der Zeitschrift „Die Gartenlaube“ aus dem Jahr 1866. „Dicht vor den Schanzen aber lagen von beiden streitenden Parteien Todte zu Hunderten, stellenweise zwei bis drei übereinander; hinter den Schanzen, nach Königsgrätz zu, sahen die weiten Ebenen von den Leichen der Oesterreicher wie buntgesprenkelt aus. Die Todten lagen theils noch in der Stellung wie sie gefallen waren, Arme und Beine ausgestreckt auf dem Boden; andern sah man an, daß sie sich wie getroffene Hasen überschlagen hatten und zusammengebrochen waren. Viele Leichen hatten das Taschentuch über das Gesicht gedeckt; entweder hatten sie sich so auf den erwarteten Tod vorbereitet, oder barmherzige Cameraden ihnen diesen letzten Liebesdienst erwiesen. Manche hatten beide Hände über die Augen gedrückt.“
Im Juli 1866 fand bei Königgrätz mit insgesamt fast einer halben Million Soldaten die größte Schlacht auf böhmischem Boden statt. Sie sollte darüber entscheiden, ob Preußen oder wie bisher Österreich in Deutschland die führende Macht ausübte.
Bis 1866 hatte Österreich den Vorsitz im Deutschen Bund innegehabt. Der machtbewusste preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck verfolgte hartnäckig das Ziel, die Vorherrschaft Österreichs in Deutschland zu brechen, notfalls mit Waffengewalt. Unverblümt erklärte er im Jahr 1862: „Nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden – das ist der Fehler von 1848 und 1849 gewesen – sondern durch Eisen und Blut.“ Bismarcks Pläne gingen auf. Aus der Schlacht bei Königgrätz ging Preußen als europäische Hegemonialmacht hervor, die fünf Jahre später auch Frankreich besiegte.
Das preußische Heer hatte unter der Führung des Generals Helmuth von Moltke am 22. Juni 1866 mit einer Armee von 221.000 Soldaten die böhmische Grenze überschritten. Vor der Entscheidungsschlacht bei Königgrätz am 3. Juli waren Preußen und Österreich bereits in sechs Schlachten aufeinandergetroffen.
Bei Königgrätz standen dem preußischen Heer 215.000 Soldaten unter der Führung des Oberbefehlshabers Ludwig August von Benedek gegenüber. Als gegen neun Uhr abends der letzte Schuss fiel, lagen auf den Schlachtfeldern bei Königgrätz 7.000 tote Soldaten. Preußen hatte 9.000 Verwundete, Vermisste, Gefangene und Getötete zu beklagen, die Österreicher 42.000.
Eine der Ursachen für die Niederlage Österreichs war der schlechte Zustand des Militärs, dessen Etat in den Jahren 1865/66 um 35 Prozent gekürzt worden war. Es fehlte ein ausgebildetes Offizierskorps. Hinzu kam die ungenügende Ausstattung des Heeres mit modernen Waffen. Im Unterschied zu den Preußen verfügten die österreichischen Soldaten nicht über die damals neuen Zündnadelgewehre, die schneller und genauer schossen als die herkömmlichen Vorderlader. General von Moltkes Taktik „Getrennt marschieren und vereint schlagen“ war aufgegangen und vor allem die Eisenbahn hatte ein schnelles Vorrücken der Truppen ermöglicht.
Dem österreichischen Armeeführer Benedek gelang es gerade noch, der drohenden Einkesselung durch die preußischen Truppen zu entkommen und sich mit 180.000 Soldaten über Olmütz (Olomouc) nach Pressburg (Bratislava) zurückzuziehen. Vergeblich hatte er den Kaiser in Wien schon vor Kriegsbeginn auf die Mängel im Heer aufmerksam gemacht. Vor der Schlacht von Königgrätz hatte er telegraphiert: „Bitte Euer Majestät dringend, um jeden Preis den Frieden zu schließen. Katastrophe der Armee unvermeidlich.“ Als Franz-Joseph von der Niederlage seiner Armee erfuhr, beschimpfte er seinen Feldherrn: „Benedek, der Trottel!“, soll er gesagt haben. Der Feldzeugmeister wurde unehrenhaft entlassen und vor ein Kriegsgericht gestellt. Der Kaiser begnadigte ihn mit der Auflage, keinerlei Details über die Gründe der Kapitulation verlauten zu lassen. An dieses Verbot hielt sich Benedek bis zu seinem Tod.
Nun stellt sich die Frage, was es für die Tschechen 150 Jahre nach den historischen Ereignissen zu feiern gibt? Schließlich war es eine Schlacht, von der sie nur mittelbar betroffen waren – sieht man einmal von den Soldaten ab, die als Freiwillige aus Böhmen und Mähren auf Seiten der Habsburger kämpften, und von den Tausenden zivilen Choleraopfern.
In Hradec Králové und an anderen Schauplätzen bemüht man sich auch, durch Ausstellungen, einen international besetzten Kongress mit Historikern und Militärexperten sowie mit Gedenkmessen für die Gefallenen der Realität des Krieges näherzukommen. So manche Zuschauer der nachgestellten Schlachten wird das wenig beeindrucken. Sie werden sich ihren Spaß nicht nehmen lassen an einem Spektakel, das die grausame Realität eines Krieges verharmlost.
„Wie 1938“
30 Jahre PZ