Kunst heißt Leben

Kunst heißt Leben

Der Aktionstag „Art’s Birthday“ wird 50. Die Idee geht auf die autonome Fluxusbewegung der 1960er Jahre zurück. Auch in der Hauptstadt haben Fluxus-Künstler ihre Spuren hinterlassen. Milan Knížák kurbelte die Bewegung in Prag an. Ein Rückblick

16. 1. 2013 - Text: Linda LorenzText: Linda Lorenz; Foto: Simon Chang Yung

 

Am 17. Januar feiert die Welt den „Geburtstag der Kunst“ – und Prag feiert mit. Angefangen hat alles vor einem halben Jahrhundert. Der französische Künstler Robert Fillou, ein Hauptakteur der Fluxusbewegung, gründete im Jahr 1963 den „Art’s Birthday“ und verlegte diesen auf eine Million Jahre vor seinen eigenen Geburtstag. Nach Fillous Zeitrechnung wird die Kunst in dieser Woche 1.000.050 Jahre alt. Zahlreiche Prager Galerien werden ihre Tore öffnen, weltweite Radiosender musikalische Experimente wagen und Performance-Gruppen in überraschender Aktionskunst miteinander agieren.

Meist sind es Klangkunst-Happenings, die öffentliche Einrichtungen dem Publikum präsentieren. Vor vier Jahren veranstalteten schwedische und amerikanische Künstler im Berliner Ostbahnhof eine stumme Disco. Passanten bekamen Drahtloskopfhörer und die Musiker spielten virtuose Klänge ein. Letztlich waren im Raum nur die Nebengeräusche tanzender Menschen zu hören, welche die Künstler als Geräuschkulisse weiterverarbeiteten. Außergewöhnliche Ideen – das ist es, was Fluxus ausmacht.

Fluxus als „intellektuelle Kunst“
Entstanden ist die Bezeichnung zu Beginn der 1960er Jahre durch den US-amerikanischen Künstler George Maciunas, der einer Kunstzeitschrift den Namen „Fluxus“ gab. Das Wort stammt aus dem Lateinischen und bedeutet „fließend“. Fortan breitete sich der Begriff aus und sprang schließlich auf viele europäische Länder über. Fluxus ist eine reine Aktionskunst und arbeitet mit Mitteln wie Musik, Performance, Installation und Film. Das Anliegen der Akteure war es, keine konventionelle Kunst zu machen und sich von der althergebrachten Ausstellungskultur zu distanzieren.

Der Stil von Fluxus bestand darin, kein Stil zu sein. Die Bewegung wollte sich nicht historisch einordnen lassen und schon gar nicht unauffällig hinter den Wänden einer Galerie verschwinden. Frei nach dem Credo „Kunst und Leben gehören zusammen“ wurden Zuschauer und Passanten Teil der abstrakten Performances, die entweder in Clubs oder auf der Straße stattfanden. Bekannte Aktivisten waren unter anderem Joseph Beuys und Yoko Ono.

Milan Knížák, ehemaliger Leiter der Prager Nationalgalerie, holte 1962 die Fluxusbewegung nach Prag. Mit dem Begriff kann er bis heute jedoch nur wenig anfangen. „Ich hatte Probleme mit Fluxus, das war mir einfach zu künstlich“, sagt er im Gespräch mit der „Prager Zeitung“. Das Fluxusfestival 1966 zeigte erstmalig internationale Performances im Ostblock. Nach einem Auftritt im Klub Strahov trugen Künstler aus Skandinavien eine überdimensionale Wurst aus Plastik durch die Stadt – aus Liebe zur Provokation. Für Knížák war das zu „konventionell“. Seine Vorstellung von Fluxus war eine ganz andere. „Fluxus ist eine intellektuelle Kunst, sie repräsentiert einen Künstler mit Kopf“, sagt er. „Mein Ziel war es, das alltägliche Leben zu wechseln“.

Knížák wollte mit seinen Aktionen dem Druck des Regimes entfliehen, ohne dabei eine politische Richtung einzuschlagen. Dabei inspirierte ihn die Zeit des „Prager Frühlings“. Immer wieder suchte er den öffentlichen Raum und zeigte seine Happenings auf offener Straße. Darunter die „Demonstration eines Einzelnen“, die er gemeinsam mit seiner fünfköpfigen Performance-Gruppe „Aktual“ organisierte.

Auf der Straße steht Knížák auf einem lebensgroßen Stück Papier. Daneben stellt er ein Schild, auf dem steht: „Ich bitte die Passanten zu wachsen, während sie an diesem Ort vorbeigehen.“ Dann legt er sich auf das Papier und beginnt ein Buch zu lesen. Später zündet er die gelesenen Seiten an – mit ihnen das Transparent. Die Asche kehrt er zusammen, wechselt seine Kleidung und verschwindet. Was zurückbleibt sind verwunderte Zuschauer. Einige runzeln die Stirn, andere müssen schmunzeln. Knížák verstand es als „Wechsel des Alltäglichen“, als den Versuch, „etwas Neues zu schaffen“.

Zerstörte Schallplatten
Bald darauf gründete sich die Musikband „Aktual“ mit ständig wechselnden Künstlern. Vorbild waren Musiker der Ernsten Musik – besonders der Virtuose John Cage. Sie machten Musik aus zerstörten Schallplatten, die heute in der Nationalgalerie ausgestellt sind. Einige haben sie mit Klebestreifen, Gitarrensaiten oder Farbe verfremdet. Andere Platten wurden vergoldet, zerkratzt oder geschmolzen.

Dann erst legten sie die Scheiben auf den Plattenteller. Es entstand eine Geräuschkulisse, die die Band mit alltäglichen Gegenständen wie dem Gebrauch einer Bohrmaschine sowie Gitarren und anderen gängigen Instrumenten kombiniert hat. Die Lieder hießen „Koks“ oder „Fuck ’em“. „Das Publikum fand es grauenhaft“, gesteht Knížák. Aber es gab eine Band, die begeistert war von dieser Musik. „Plastic People of the Universe“ hießen sie und ließen sich von den Ideen Aktuals inspirieren. Noch heute tritt die tschechische Undergroundband „Plastic People“ mit ihrem Repertoire aus psychedelischen Rocksongs auf. Erlaubt waren die Happenings seitens der Behörden niemals. Häufig nahm die Polizei Aktivisten fest . Dass „Aktual“ keine politischen Ziele verfolgte, war der Staatsmacht egal. „Alles was anders war, galt als feindlich für das Regime“, so Knížák.

Nach dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes im August 1968 bekam Knížák ein Visum für die USA und ging nach New York. Dort beteiligte er sich weiter an der Fluxubewegung, bis er zwei Jahre später in  die Tschechoslowakei zurückkehrte. Heute gibt Milan Knížák seine Erfahrungen als Dozent an der Prager Akademie der Künste weiter. Wie es in der Kunst üblich ist, hat sich auch der Charakter von Fluxus im Laufe der Zeit verändert. Knížák sagt: „Heute ist der Begriff ein Name für alle Aktionskünste“. Zwischen modernen Künstlern wie David Černý oder Roman Týc entwickeln sich mittlerweile auch viele von Knížáks Studierenden in diese Richtung. Kopien wolle er jedoch nicht erstellen, versichert der Künstler.

Art’s Birthday 2013
Das Programm zum „Art’s Birthday“ beweist, wie weiträumig sich das Fluxusverständnis mittlerweile entwickelt hat. Die revolutionären Züge der 60er Jahre sind verblasst. Die Aktionen gehen nunmehr mit konventionelleren Methoden einher. In Prag wird eine theatralische Ausstellung in drei Akten stattfinden, ein Garten wird zum Schauplatz einer natürlichen und kulturellen Grenze. Der Tschechische Rundfunk wird auf ČR3, Vltava und Radio Wave experimentelle Klangteppiche erzeugen und im Café Nová Syntéza wird unter anderem die Band „All The Lonely Bitches“ eine Mischung aus Jazz und elektronischer Musik präsentieren. Von Fotografie über Theater, Malerei und Filminstallationen bis hin zu elektronischen Klängen deckt das Programm die gesamte Bandbreite des künstlerischen Schaffens ab. Spannend bleibt, wo die „fließende“ Kunst in den nächsten 50 Jahren münden wird.

Art’s Birthday, Donnerstag, 17. Januar, 18 bis 24 Uhr, weitere Infos unter www.rozhlas.cz/artsbirthday

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