Kurz und schmerzhaft
Angela Merkel war nur wenige Stunden in Prag. Überzeugt hat sie niemanden
31. 8. 2016 - Text: Corinna AntonText: Corinna Anton; Foto: Úřad vlády ČR
Widersprüchlich sind die Bilder, die vom Besuch der Kanzlerin geblieben sind. Angela Merkel (CDU) und Regierungschef Bohuslav Sobotka (ČSSD) prosteten sich am Donnerstag vergangener Woche freundlich zu – mal mit Blick auf die Moldau und mal mit Blick auf die Burg; Präsident Miloš Zeman überreichte höflich einen Blumenstrauß. Aber draußen vor der Tür waren die Plakate nicht zu übersehen: Merkel mit Kopftuch, Merkel mit Hakenkreuz, Merkel mit Burka und Hitlerbärtchen. Was drinnen gesprochen wurde, ist den Demonstranten – darunter auch einige aus Deutschland – ganz egal. Sie glauben ohnehin zu wissen, dass Merkel an allem schuld ist: an den Flüchtlingen, am Terror und am Untergang des Abendlands womöglich auch.
Wenn er ihr nicht gerade vor einer Horde Journalisten gegenübersteht, dann macht auch der Präsident deutlich, was er von Merkels Flüchtlingspolitik hält: „Ich habe ihr gleich im ersten Satz gesagt: Wenn man jemanden zu sich nach Hause einlädt, dann schickt man ihn nicht zu den Nachbarn zum Mittagessen“, behauptete Zeman nach dem Besuch der Kanzlerin im privaten Radiosender „Frekvence 1“. Nicht ohne sicherheitshalber hinzuzufügen, dass dies eine Anspielung auf Merkels Flüchtlingspolitik gewesen sei. Die Mehrheit der Bürger wird bei dem Satz wohl zustimmend nicken. Einfache Wahrheiten zum Nachsprechen, so funktioniert Politik nach Miloš Zeman. Die Kanzlerin ist derweil längst über alle Berge. Sie war nur wenige Stunden in Prag, der öffentliche Auftritt mit Zeman hatte sich aufs Fotoshooting beschränkt.
Weder ja noch nein
Vor die Mikrofone war die Kanzlerin nur gemeinsam mit Premier Sobotka getreten. Mit anderen Worten als der Präsident, aber mit ähnlicher Botschaft hatte er die innere und äußere Sicherheit als Prioritäten seines Landes bezeichnet. Verpflichtende Quoten lehnte er wie in der Vergangenheit ab. Dass sich daran etwas ändern würde, hatte allerdings auch niemand erwartet. Auf die Frage, ob sie Verständnis für die ablehnende Haltung Tschechiens habe, sagte Merkel weder ja noch nein. Sie räumte aber ein, dass auch Deutschland sich lange gegen Quoten gewehrt habe, und betonte, dass Meinungsverschiedenheiten innerhalb der EU kein Problem seien. Es gebe ja viele Punkte beim Thema Migration, in denen sich beide Länder einig seien.
Bereits im Vorfeld hatten sich die Verantwortlichen zu betonen bemüht, dass es bei dem Besuch nicht nur um die Quote gehe, sondern vor allem um die nachbarschaftliche Zusammenarbeit. Mit Sobotka sprach Merkel daher auch über die Zug- und Autobahnverbindung zwischen beiden Ländern, außerdem besuchte sie die Tschechische Technische Universität Prag, das Kloster Strahov und gratulierte zur Wirtschaftsleistung und der niedrigen Arbeitslosigkeit.
Genutzt haben dürfte das ihrem Image hierzulande nur wenig bis gar nichts. Für viele Tschechen ist Merkel, die seit ihrem Amtsantritt 2005 erst dreimal in Tschechien war, ein Synonym für die Flüchtlingskrise. Die Beliebtheit der Kanzlerin ist im Laufe des vergangenen Jahres stark eingebrochen. Während ihr im April 2014 noch 55 Prozent der Tschechen vertrauten, waren es im Dezember 2015 nur noch 19 Prozent, so die Zahlen des Meinungsforschungsinstituts CVVM.
An der Spitze der Beliebtheitsskala heimischer Politiker steht übrigens derzeit Zeman mit 54 Prozent. Innenminister Milan Chovanec liegt mit 33 Prozent nur auf dem sechsten Platz. Aber in Sachen Flüchtlings-Populismus hat er sich von Zeman offenbar bereits einiges abgeschaut. Drei Tage nach Merkels Besuch erklärte der Sozialdemokrat im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, dass Tschechien bis Ende des Jahres keine Flüchtlinge aus der Türkei aufnehmen werde, da „die Sicherheits-Überprüfungen sehr präzise sind“.
Dem Minister zufolge müssten Griechenland und Italien gezwungen werden, das Thema Migration ernst zu nehmen, andernfalls „haben sie im Schengenraum nichts zu suchen“, so Chovanec. „Aus Griechenland muss leider teilweise eine Haftanstalt werden, wo Migranten wissen, dass sie eingesperrt, überprüft und zurückgeschickt werden.“
Außerdem kündigte der Minister an, dass Tschechien die Grenze zu Deutschland gründlicher überwachen werde, falls das Nachbarland beginnt, die Menschen in ihre Heimatländer zurückzuschicken. Er will darüber Ende September in Berlin mit seinem Amtskollegen Thomas de Maizière (CDU) verhandeln. „Wir werden die Grenze nicht schließen und keine Zäune bauen, aber wir wollen wissen, was dort vorgeht“, sagte Chovanec. Dass Asylbewerber, die abgeschoben werden sollen, aus Deutschland nach Tschechien fliehen, um sich dort niederzulassen, hält der Innenminister aber selbst für „sehr unwahrscheinlich“.
Bisher sind in Tschechien erst zwölf Asylsuchende angekommen, die dem Land aufgrund der europäischen Quote zugeteilt wurden. Bis Ende 2017 sollte Tschechien demnach 2.691 Menschen aufnehmen, die in den Mittelmeerstaaten Schutz vor Krieg und Gewalt suchen. Im Februar hatte die Regierung angeboten, 20 Menschen aus Griechenland und zehn aus Italien Asyl zu bieten.
Eine europäische Armee
Angekommen sind aber nur vier syrische Flüchtlinge. Drei hatten inzwischen die Unterkunft verlassen, in der sie auf den Umzug warten sollten. Die anderen fielen durch die Sicherheitsüberprüfung der hiesigen Behörden, weil sie keine Dokumente vorweisen konnten, die ihre Identität belegten. Acht weitere Flüchtlinge sind kürzlich aus Griechenland angekommen.
Chovanec sprach sich im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise auch für die Gründung einer europäischen Armee aus – ein Projekt, das auch Sobotka befürwortet. „Wir dürfen uns nicht auf die Nato und die Vereinigten Staaten verlassen. Wir müssen selbst kampffähig sein“, sagte Chovanec.
Der ODS-Abgeordnete und ehemalige Justizminister Pavel Blažek widersprach jedoch. Eine solche Armee wäre „mit ein bisschen Übertreibung vor allem eine deutsche Armee“. Und gegen Russland wäre eine europäische Armee ohne Beteiligung der USA ohnehin wehrlos, so Blažek. Angela Merkel sagte dazu in Prag nicht viel. Sie hat gerade andere Prioritäten.
„Wie 1938“
„Unterdurchschnittlich regiert“