Leisten und Leder
Radek Zachariáš fertigt maßgeschneiderte Schuhe an. Ein Werkstattbesuch
3. 2. 2016 - Text: Corinna AntonText und Foto: Corinna Anton
Wer bei Radek Zachariáš Schuhe kaufen möchte, braucht einen großen Geldbeutel. Und Geduld. Sechs bis acht Monate dauert es, bis das erste Paar fertig ist, vier bis fünf Mal muss der Kunde den Schuster in seiner Werkstatt aufsuchen und am Ende etwa 60.000 Kronen zahlen – umgerechnet gut 2.200 Euro. Dafür trägt er an den Füßen dann ein maßgeschneidertes Paar Lederschuhe, das sich in keinem anderen Schrank findet, „ein Luxusprodukt“, wie Zachariáš sagt.
Vor etwa zehn Jahren hat der Prager seine ersten Schuhe für einen Kunden genäht. Beigebracht hat er sich das Handwerk überwiegend selbst. Er habe als Wartungstechniker in einem Betrieb gearbeitet, erzählt der heute 48-Jährige. Als das kommunistische System zusammenbrach, reizte ihn die Möglichkeit, sich selbstständig zu machen. „Die Nachfrage nach Dienstleistungen war Anfang der neunziger Jahre groß, also habe ich angefangen, Schuhe zu reparieren. Der Kontakt mit den Kunden hat mir gefallen, und vor allem, dass so viele Frauen zu mir in die Werkstatt kamen.“
Wirtschaftlich lief das Geschäft aber nicht so, wie Zachariáš sich das vorgestellt hatte. Für viel Arbeit gab es wenig Geld. Nach und nach stieg er deshalb auf Eigenkreationen um. Er fertigte orthopädische Schuhe, besondere Schuhe fürs Theater und für Fechter; er las in Büchern und fragte erfahrene Handwerker um Rat, machte Fehler und lernte daraus.
Mittlerweile hat er sich einen Namen gemacht, Konkurrenz gibt es hierzulande kaum. Derzeit entstehen in der Werkstatt im Prager Stadtteil Košíře etwa vier Paar Schuhe im Monat. Mit Zachariáš arbeitet ein weiterer Schuster daran, außerdem eine Aushilfe und ein Lehrling. „Wir wollen die Produktion steigern“, sagt der Chef; Kunden gebe es genug. Die meisten Käufer kommen aus Prag. Weil er keine Fremdsprachen könne, habe er bisher nur für Tschechen genäht. Das könne sich aber ändern, denn sein junger Mitarbeiter spreche auch Englisch. Der Schuster führt eine Kartei mit Mappen, die an Patientenakten im Krankenhaus erinnern. Etwa 150 bis 170 Klienten zählt er, darunter einige Stammkunden. Die meisten kämen aus der Wirtschaft, überwiegend seien sie männlich, Unternehmer oder Manager.
Der schwerste Schritt
Zachariáš hat für jeden Fuß einen Leisten im Schrank stehen. Wenn jemand sich zum ersten Mal Schuhe nähen lassen will, greift er zunächst zu Maßband, Fotoapparat und Farbe. Ein blauer Fußabdruck auf Papier dient als Grundlage. Daraus – und mithilfe der Fotos und Maße – erstellt Zachariáš ein Modell aus Holz, das dem Fuß nachgebildet wird. „Das ist der schwerste Schritt“, erklärt der Prager. Nach der Vorlage des rechten Holzfußes macht eine Firma zwei Leisten, einen für den linken und einen für den rechten Fuß.
Um den Leisten herum wird im nächsten Schritt ein Probeschuh genäht. Der ist schon aus Leder und sollte den richtigen Schnitt haben, das Material ist aber noch nicht hochwertig. Sobald der Schuh fertig ist, kann der Leisten zusammengeklappt und herausgenommen werden. Für den Auftraggeber steht der zweite Besuch in der Werkstatt an. „Mit dem Probeschuh läuft der Kunde eine Weile herum. Wenn er noch irgendwo drückt, können wir noch nachbessern.“ Manchmal folgt darauf ein weiterer Test; erst sobald alles passt, wird der richtige Schuh genäht.
Für das Endprodukt verwendet Zachariáš meistens Rinder- oder Kalbsleder, das er hauptsächlich aus Frankreich bezieht – aus Regionen, in denen die Huftiere wenig Insektenstiche abbekommen, denn das wirkt sich auf die Qualität des Leders aus. Auf Wunsch des Kunden näht er aber auch mit Krokodilhaut. Die Schuhe würden dann noch einmal um 40.000 Kronen teurer, was vor allem an den Materialkosten liege. Die Haut der Reptilien sei gut zu verarbeiten, aber beim Import müsse man viele Vorschriften beachten. Man benötige zum Beispiel einen Nachweis, dass die Haut von einer Krokodilfarm stamme, nicht von Tieren, die in Freiheit lebten. Darum kümmere sich ein Zwischenhändler.
Wer mit dem ersten maßgeschneiderten Paar zufrieden ist und wiederkommt, muss beim nächsten Mal nicht ganz so lange warten. Außerdem werden die nächsten Schuhe günstiger, weil die Entwicklung des Holzmodells wegfällt. Aber auch beim zweiten Paar fängt der Schuster wieder an zu tüfteln. „Manchmal merkt der Kunde beim ersten Paar, was man noch besser machen könnte.“ Mit den Schuhen sei es wie mit Kleidung nach Maß, mit jedem Mal würden sie bequemer. Wie lange ein Paar halte, hänge davon ab, wo und wie oft der Kunde sie trage und wie er sie pflege. Manche kämen nach ein oder zwei Jahren, um etwas reparieren zu lassen, bei anderen dauere es zehn Jahre, bis der Schuster Hand anlegen muss.
Zachariáš hat in den vergangenen Jahren etwa 20 Paar Krokodilschuhe genäht. Wie viel Paar er insgesamt schon hergestellt hat, kann er nicht genau sagen. „Bei 150 habe ich aufgehört zu zählen.“ Im Laden liegen auch einige Gürtel, ebenfalls Auftragsarbeit, die zu den jeweiligen Schuhen passen. Künftig könnte sich der Schuster vorstellen, auch Handtaschen nach Maß zu fertigen. „Wir haben große Pläne“, sagt er, „aber es wird immer alles Handarbeit bleiben“.
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