Licht ins Dunkel
Seit 125 Jahren koordiniert die Tschechische Akademie der Wissenschaften die Forschung im Land.
In der „Woche der Wissenschaft“ stellt sie ihre Errungenschaften vor
4. 11. 2015 - Text: Franziska NeudertText: Franziska Neudert; Foto: Carinanebel/ESO/CC BY 4.0
Vor über 450 Jahren befand sich im Mittelpunkt des Universums noch die Erde. Sonne, Mond und die übrigen Planeten drehten sich um sie. Die Sterne funkelten unveränderlich am Nachthimmel, der sich in Sphären um das Erdsystem aufspannte.
Heute ist von dieser Vorstellung nicht viel geblieben. Aus dem überschaubaren Universum ist ein unendlicher Raum geworden, unsere Erde einer von unzähligen Planeten und unsere Sonne nur einer von Milliarden Sternen, die sich darin bewegen. Den Forschern stellen sich neue Rätsel: Was ist die dunkle Materie, die den größten Bestandteil des Universums ausmacht, sich aber nicht direkt beobachten lässt? Wie viele Dimensionen hat der Kosmos? Besteht Materie aus Teilchen oder aus winzigen, schwingenden Saiten, den sogenannten Strings?
Seit 125 Jahren widmet sich die Tschechische Akademie der Wissenschaften (AV ČR) der Frage, was die Welt im Innersten zusammenhält. Die Akademie, die die bedeutendsten Forschungsinstitutionen des Landes umfasst, beschäftigt sich mit der Geschichte, dem Menschen und seinen kulturellen Leistungen. Sie blickt ins Reich der kleinsten Teilchen genauso wie in die Tiefe des Weltalls. Und sie berät den Staat in den Bereichen Forschung und Entwicklung, unterhält wissenschaftliche Programme und koordiniert die Zusammenarbeit mit der Industrie. Ihr rundes Jubiläum begeht die Akademie nun mit einer „Woche der Wissenschaft und Technik“ („Týden vědy a techniky“). Bis 15. November lädt das „größte Festival der Wissenschaft“, wie es die Akademie selbst bezeichnet, Neugierige dazu ein, einen Einblick in ihre Arbeit zu erhalten. Mehr als 60 Ausstellungen, 250 Vorträge, Workshops und Filmvorführungen in zahlreichen Städten Tschechiens informieren über die jüngsten Technologien und Projekte, beleuchten Mythen und führen durch den Zaubergarten von Mathematik, Biologie und Chemie.
Zurück zum Anfang
Im Januar 1890 schlossen sich die damals bedeutendsten Wissenschaftler, Künstler und Architekten aus Böhmen und Mähren unter dem Dach der „Tschechischen Akademie des Kaisers Franz Joseph für Wissenschaften, gesprochenes Wort und Kunst“ zusammen. Zustande kam die Gelehrtengesellschaft vor allem durch die Initiative des Architekten und Mäzens Josef Hlávka, der zum ersten Präsidenten der Akademie ernannte wurde und diese mit großzügigen Spenden unterstützte. Aufgabe der Akademie war es, Wissenschaften und Künste zu fördern, wobei der tschechischen Sprache und Wortkunst ein besonderes Interesse galt. Mit der Gründung der Ersten Republik im Jahre 1918 wurde sie in „Tschechische Akademie der Wissenschaften und Künste“ umbenannt. Als „Tschechoslowakische Akademie der Wissenschaften“ setzte die Institution in den Jahren zwischen 1952 und 1992 ihre Arbeit unter erheblichem politischen Druck eingeschränkt fort. Dennoch gelang es der Akademie, ihrer Aufgabe erfolgreich nachzugehen und auch international Anschluss zu finden. Das belegen nicht zuletzt der Chemiker Jaroslav Heyrovský, der 1959 für die Entdeckung der Polarografie – einem elektrochemischen Verfahren zur Analyse von Ionen und Molekülen in einer Lösung – den Nobelpreis erhielt und Otto Wichterle, dem Erfinder der modernen Kontaktlinsen.
Große Herausforderungen
Heute vereint die Tschechische Akademie der Wissenschaften 54 außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, die sich in drei große Abteilungen untergliedern: Mathematik, Physik und Geowissenschaften, Chemie und Biowissenschaften sowie Human- und Sozialwissenschaften. Etwa 40 dieser Institutionen befinden sich in Prag, die übrigen verteilen sich auf andere Städte des Landes. So beschäftigen sich die Wissenschaftler im Mikrobiologischen Institut im südböhmischen Třeboň mit den kleinsten Lebewesen und der Algenbiotechnologie. Im Astronomischen Institut in der Sternwarte in Ondřejov bei Prag suchen Forscher unter anderem nach den Spuren des Urknalls, mit dem das Universum vor knapp 14 Milliarden Jahren aufblitzte. Das Institut für Soziologie wiederum hinterfragt, was nationale Identität bedeutet. Dabei fand es im vorigen Jahr heraus, dass 95 Prozent aller Tschechen ihre Sprache als wichtigste Voraussetzung dafür halten, als waschechter Tscheche zu gelten; nur 29 Prozent der Befragten nannten das Christentum als notwendige Bedingung.
Jedes Jahr steckt sich die Akademie neue Ziele, um mit ihrer Arbeit auf aktuelle Probleme im eigenen Land und die globalen Herausforderungen unserer Zeit reagieren zu können. In diesem Jahr gilt es unter anderem, im Bereich Kernenergie weiterzuforschen und neue Sicherheitssysteme zu entwickeln. Das Programm „Europa und der Staat: Zwischen Barbarismus und Zivilisation“ untersucht historische Umbrüche und welche Prozesse eine Gesellschaft zusammenhalten beziehungsweise zu deren Auseinanderfallen führen. In der Biomedizin liegt der Fokus darauf, moderne Krankheiten wie Epilepsie zu erforschen und Methoden zu deren Heilung zu finden. Wissenschaftler des Instituts für Geologie versuchen Erdbeben zu durchschauen und Physiker ergründen den Einfluss von Magnetfeldern auf menschliche Krebszellen.
Für besondere Verdienste in der Chemie verleiht die Akademie jedes Jahr die Heyrovský-Medaille, benannt nach dem berühmten Wissenschaftler. Zuletzt erhielt sie Karel Ulbrich für seine Erforschung von Polymeren.
Ausstellungen und Aktionen
Wissenschaft – Nation – Geschichte (Věda – národ – dějiny). Neues Gebäudes des Nationalmuseums (Vinohradská 1, Prag 1), geöffnet: täglich 10 bis 18 Uhr, am ersten Mittwoch des Monats bis 20 Uhr, Eintritt frei, bis 10. Januar, www.nm.cz
Sinn für die Kunst (Smysl pro umění). Salm-Palais (Hradčanské nám. 2, Prag 1), geöffnet: täglich außer montags 10 bis 18 Uhr, Eintritt: 100 CZK (ermäßigt 50 CZK), bis 10. Januar, www.ngprague.cz
Woche der Wissenschaft, verschiedene Städte, freier Eintritt zu allen Veranstaltungen, bis 15. November, www.tydenvedy.cz
Auf unbestimmte Zeit verschoben
Neue Formen des Unterrichts