Lichter, Lärm und Urlaubsglück
Mitten in der Stadt schlagen Urlauber im „Camp Žižkov“ ihre Zelte auf. Die meisten bleiben nur ein paar Tage, viele sind auf der Durchreise
27. 8. 2014 - Text: Corinna AntonText und Foto: Corinna Anton
Ein Wohngebiet im Stadtteil Žižkov. Südlich liegt die viel befahrene Koněvova-Straße, nördlich ein kleiner Park. Dahinter verlaufen die Bahngleise, über die die Züge in den Hauptbahnhof rollen. Es gibt ruhigere Orte in Prag, und es gibt idyllischere als den Pausenhof der ehemaligen Grundschule an der Straße Nad Ohradou. Ob es auch schönere gibt, darüber lässt sich streiten, zum Beispiel mit David Renza.
Seit 15 Jahren betreibt er hier auf dem ehemaligen Schulgelände den Campingplatz „Camp Žižkov“. Von Mai bis September lebt er selbst in einem Wohnwagen direkt neben der Hütte, in der sich die Rezeption befindet. In diesem Sommer haben etwa 2.600 Touristen im Camp übernachtet, rund 3.000 werden es voraussichtlich insgesamt werden. Doch für Renza ist der Campingplatz zwischen Bahngleisen und Hauptstraßen nicht nur ein Ort für Touristen.
Jeden Abend öffnet er auch die Tür für die Nachbarn, die im Stadtviertel leben. Weil er selbst Hobby-Musiker ist, lädt Renza immer wieder tschechische und internationale Bands in die Bar auf dem Campingplatz ein, in diesem Jahr seien es schon mehr als 60 Konzerte „von Blues bis Rock’n’Roll“ gewesen. „Jeden Abend kommen junge Leute aus der Umgebung in unsere Bar, sie bringen die tschechische Kneipen-Tradition hierher, das mögen die Touristen“, schwärmt der 41-Jährige. „Die Kulturen mischen sich, wenn alle gemeinsam am Lagerfeuer sitzen. Das ist eine wunderbare Symbiose.“ Manchen Urlaubern würde es im Camp sogar so gut gefallen, dass sie sich abends gar nicht auf den Weg ins Zentrum machten, behauptet der Chef. Doch was meinen die Gäste?
Eine Frage der Lebensweise
Kepa Korta sitzt mit Frau und Hund vor seinem Wohnwagen. Auf dem Tisch liegt ein spanischer Prag-Reiseführer. Das Paar kommt aus dem Baskenland. Beide sind leidenschaftliche Camper, in Prag waren sie zuletzt vor 22 Jahren: „Damals hat uns die Stadt besser gefallen. Es ist immer noch fantastisch, aber jetzt sind hier so viele Touristen und all die Geschäfte im Zentrum – die Stadt hat etwas von ihrer Einzigartigkeit verloren.“ Diesmal haben die Kortas ihre beiden fast erwachsenen Kinder mitgebracht, die Tochter kommt mit einer Wanne voll Geschirr vom Abspülen. „Auf dem Campingplatz hier ist die Atmosphäre schon besonders“, sagt Kepa, der Sohn hilft beim Übersetzen. Seine Worte sind kaum zu verstehen – in einer der umliegenden Straßen wetteifern vermutlich ein Presslufthammer und eine Schleifmaschine miteinander, wer mehr Lärm machen kann. „Das gehört doch zur Stadt“, lacht Kepa, „in Spanien ist es noch viel lauter“.
Beim Camping gehe es nicht darum, eine billige Übernachtungsmöglichkeit zu finden, sind sich Gäste und Mitarbeiter einig, sondern um eine Lebensweise, zu der nicht immer die absolute Ruhe gehöre. Die einen fänden eben Erholung unterm Sternenhimmel in der Natur, andere Camper bräuchten die Lichter und den Lärm der Stadt zum Urlaubsglück.
Zu letzteren zählen Zita und Tony, die gerade an der Tischtennisplatte gegeneinander antreten. Die beiden kommen aus der Nähe von London und reisen auf dem europäischen Festland von einer Hauptstadt zur nächsten. Drei Nächte haben sie in Prag verbracht, bald wollen sie über Wien nach Budapest aufbrechen. Sie sind erfahrene Camper und kennen viele Anlagen. Für den Platz in Žižkov fällt ihnen fast nur Lob ein. „Die sanitären Anlagen könnten wirklich besser sein“, sagt Zita. Dafür seien die Atmosphäre und das Personal ausgezeichnet, die kleine Kneipe gemütlich. „Als wir ankamen, sind wir erschrocken, weil hier so viel los war, aber da ist gerade eine französische Gruppe abgereist. Danach wurde es ruhiger.“
Aus Frankreich und Italien kämen derzeit die meisten Gäste, erzählt Zita Strnadová. Sie arbeitet seit sechs Jahren auf dem Campingplatz, den Sommer über lebt sie mit ihrem Sohn im hinteren Teil des Rezeptionsgebäudes. Die 35-Jährige zeigt die Küche, die Bar und die Stellplätze. Insgesamt passen etwa 60 Wohnwagen und Zelte ins Camp. „Die meisten Gäste sind erfahrene Camper, sie stellen keine unnötigen Fragen an der Rezeption, sie kennen sich aus.“ Am Empfang gibt es trotzdem eine Menge Arbeit: Stadtpläne werden verteilt, der Weg ins Zentrum beschrieben und eine aufgelöste Frau aus Deutschland versorgt, die ihr Auto vermisst. „Sie haben draußen im Wohngebiet geparkt“, erzählt Zita. Die Betreiber des Camps raten dringend davon ab, außerhalb der Anlage zu parken, um die Gebühr für den Stellplatz zu sparen. Denn die Kommunikation zwischen Polizei und Abschleppdienst funktioniere ausgezeichnet. Auch die Nachbarn haben ein Auge darauf, dass die Touristen nicht die Parkplätze der Anwohner belegen.
Wohnen statt Campen
Während manche im Stadtviertel gelegentlich auf ein Bier vorbeikommen, wo sie vor Jahren zur Schule gegangen sind, stören sich andere an dem Campingplatz. Sie würden hier lieber Wohnanlagen sehen. Vor vier Jahren habe der Platz schon einmal vor dem Aus gestanden, erzählt Zita. Eine Petition sorgte damals dafür, dass der Betrieb weitergehen konnte. Da das Grundstück der Stadt gehöre, wisse man nun wieder einmal nicht, ob Ende September vielleicht die letzte Saison zu Ende geht. „Darüber werden womöglich auch die Kommunalwahlen im Herbst entscheiden“, glaubt Zita, denn die Parteien hätten unterschiedliche Vorstellungen.
Manche Dauergäste würden die Anlage wahrscheinlich vermissen, eine Künstlerin aus Großbritannien zum Beispiel, die regelmäßig den Sommer in Žižkov verbringt, oder andere Stammbesucher, die jedes Jahr für ein paar Tage anreisen. Viele kommen aber auch nur einmal. Um Prag zu sehen, reichen den meisten zwei bis drei Tage. Zu denen, die nur einmal im Camp haltmachen, zählen außerdem jüngere Gäste, die auf dem Weg zu einem Festival oder auf Europareise sind.
So zum Beispiel Nora und Julie, die ihr Zelt schon wieder abbauen. Ein paar Heringe und Stangen haben sie bereits herausgezogen, der Rest fällt von selbst zusammen. Die beiden kommen aus Göttingen und haben ein Bahnticket, mit dem sie zwei Wochen durch Europa reisen. „Wir fahren heute noch weiter nach Venedig, Prag lag irgendwie auf unserer Route“, erzählt die 21-jährige Nora. Drei Nächte haben sie in Žižkov verbracht. Dass sie in der ersten Nacht nicht gut schlafen konnten, habe daran gelegen, dass ihr Zelt zu klein sei, meint die 20-jährige Julie. Der Lärm der Großstadt hat sie nicht gestört – im Gegenteil: Den Campingplatz haben sie wegen der zentralen Lage und der Nähe zum Bahnhof gewählt. Am besten hat ihnen Prag bei Nacht gefallen. „Die Lichter, der Fluss, das ist schon beeindruckend, wenn man aus einer kleineren Stadt kommt.“
Auf unbestimmte Zeit verschoben
Neue Formen des Unterrichts